Raus mit der Kohle!
Ein Bericht von Maike Brzoska
Seit einigen Jahren fordern Aktivisten und Nichtregierungs-Organisationen, Investitionen aus fossilen Brennstoffen abzuziehen. Was hat die «Divestment»-Bewegung bisher erreicht?
Dass er mal Abgeordnete des Bundestags zum Frühstück einladen würde, hätte Mathias von Gemmingen noch vor ein paar Jahren nicht gedacht. Aber es geht schließlich um ein paar Milliarden Euro. Da kann man schon mal zusammen Kaffee trinken. Neben Obst und Croissants bekamen die Politiker eine Forderung serviert: Nämlich das Geld, das der Bund für die 900.000 Pensionen der Bundesbeamten zurücklegt, nicht mehr in fossile Brennstoffe zu investieren. «Wir wollen, dass der Bund diese Aktien verkauft», sagt von Gemmingen von «Fossil Free Berlin». Die Aktivisten halten es für falsch, auf der einen Seite Klimaziele zu beschließen und andererseits weiter in Öl und Gas zu investieren. «Das passt doch nicht zusammen.»
Ob das Frühstück, das im März stattfand, die gewünschte Wirkung hat, muss sich noch zeigen. Von Gemmingen ist aber optimistisch. Denn Fossil Free Berlin kann bereits einen ähnlichen Erfolg vorweisen.
Aktivisten und Großanleger gemeinsam
Überall auf der Welt kämpfen Aktivisten derzeit dafür, dass Investoren ihr Geld aus fossilen Energien abziehen. Der etwas sperrige Begriff «Divestment» hat sich dafür eingebürgert. Manche sprechen auch von «Devestition» oder «Desinvestition». Er beschreibt das Gegenteil von Investition. Es geht darum, Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen Geld verdienen, das Kapital zu entziehen.
Die Bewegung hat recht unterschiedliche Mitstreiter: Erst protestierten Aktivisten, darunter viele Studenten. Dann begannen Universitäten, Kirchen und Stiftungen, zum Beispiel die «Bill & Melinda Gates Foundation», ihr Geld aus Kohle-, Öl- und Gasfirmen abzuziehen. Städte wie New York, Paris oder Münster folgten, und auch einige deutsche Bundesländer. Daneben ziehen mehrere Pensionsfonds und Versicherungskonzerne mit, etwa Munich Re, AXA oder Allianz, die Hunderte Milliarden Euro verwalten. Außerdem hat Irland 2018 als erstes Land der Welt beschlossen, innerhalb von fünf Jahren sämtliches Kapital aus Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen Geld verdienen, abzuziehen. Insgesamt haben sich laut einem Report der US-amerikanischen Beratungsfirma «Arabella Advisors» von 2018 rund 1.000 Organisationen und Unternehmen der Divestment-Bewegung angeschlossen. Sie verwalten fünfeinhalb Billionen Euro.
Mathias von Gemmingen ist seit vier Jahren Aktivist. Lange Zeit hatte er Berichte von Klimakonferenzen verfolgt – und sich geärgert. Weil viel zu wenig passierte, wie er fand. Irgendwann, erzählt der 43-Jährige, war er es leid und wollte selbst etwas tun. Deshalb stieß er zu Fossil Free Berlin, einem lokalen Ableger des ursprünglich US-amerikanischen Netzwerks. Sie schrieben an Michael Müller, den Regierenden Bürgermeister von Berlin, mit der Forderung, die Pensionen der Landesbeamten fossilfrei anzulegen. Als keine Antwort kam, war klar: Eine spektakuläre Aktion muss her!
Wie Berlin zur «Divestment-Hauptstadt» wurde
Es war kurz vor Mitternacht, als von Gemmingen und seine Mitstreiter vor das Rote Rathaus zogen. Mit einem Projektor warfen sie riesige, hell leuchtende Schriftzüge an das Berliner Rathaus. «Divest Berlin Today!» war dort unter anderem zu lesen. Eine Stunde lang projizierten sie ihre Forderungen. «Wir waren ziemlich aufgeregt, weil wir keine Ahnung hatten, was passieren würde», erzählt von Gemmingen. Aber weder kam die Polizei, noch machte die ums Rathaus patrouillierende Security Ärger. Die Aktivisten konnten die Aktion in aller Ruhe fotografieren. Und gerade solche Fotos seien wichtig für soziale Medien wie Facebook, so von Gemmingen.
Es gab Monate, da hatte ich das Gefühl, es geht überhaupt nicht voran.
Die Aktion fand im April 2015 statt. Es blieb nicht die einzige. Fossil Free Berlin veranstaltete Demos und Flashmobs, außerdem suchten die Aktivisten das Gespräch mit einzelnen Politikern und veranstalteten Arbeitsessen, zu denen sie auch Experten aus der Finanzwirtschaft einluden. Insgesamt 500 Tage beackerte die Berliner Gruppe die Politiker. Das sei oft auch frustrierend gewesen, erzählt von Gemmingen. «Es gab Monate, da hatte ich das Gefühl, es geht überhaupt nicht voran.» Doch 2016 stimmten die Berliner Abgeordneten dann tatsächlich dafür, Investitionen aus Kohle-, Öl- und Gaskonzernen abzuziehen. Man sei nun «Divestment-Hauptstadt», hieß es in der Pressemitteilung aus der Senatskanzlei. Seitdem werden die Pensionsrücklagen weder in den fossilen oder nuklearen Sektor noch in die Rüstungsindustrie investiert. Im Juli 2019 waren das 230 Millionen Euro – also der komplette Teil der Rücklage, der in Aktien angelegt werden darf.
Initialzündung in den Appalachen
Entstanden ist die Divestment-Bewegung 2011 am «Swarthmore College» in Pennsylvania. Bei einem Ausflug in die Appalachen, ein Mittelgebirge im Osten der USA, war eine Gruppe Studenten schockiert, als sie abgesprengte Bergkuppen sah. Die Gipfel waren für den Kohlebergbau abgetragen worden. Der Schutt landete mitsamt giftigen Chemikalien in einem nahegelegenen Tal. Dabei gelangten Schwermetalle in die Flüsse. Weil ihr College auch in den Kohlesektor investiert hatte, forderte die Studentengruppe, das Geld abzuziehen. Sie wolle nicht, dass ihre Studiengebühren auf diese Weise angelegt werden, sagte eine Studentin der New York Times.
Studenten an anderen Colleges und Universitäten in den USA forderten bald dasselbe von ihren Leitungen. Einige kamen dem Drängen der Studenten nach, darunter auch die renommierte «Stanford University» in Kalifornien. Andere weigerten sich, oft mit dem Argument, dass allein der größtmögliche Gewinn zähle und nicht soziale oder ökologische Belange. Damit rechtfertigt sich bis heute auch das Swarthmore College, das sein Geld immer noch im Kohlesektor investiert.
If it’s wrong to wreck the climate then it’s wrong to profit from that wreckage.
Wirklich Fahrt nahm die Divestment-Bewegung auf, als der amerikanische Umweltaktivist Bill McKibben 2012 einen Artikel im Magazin Rolling Stone veröffentlichte. Er zitiert darin die «Carbon Tracker»-Initiative, eine von zwei ehemaligen Fondsmanagern gegründete NGO. Die legt dar, dass, wenn wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen wollen, der Großteil der bekannten Kohle-, Öl- und Gasvorkommen unter der Erde bleiben muss, weil sonst viel zu viel Kohlendioxid emittiert würde. Nur rund ein Fünftel dürfte noch verbrannt werden. Weil die Firmen aber alles daransetzten, die Vorkommen auszubeuten, sei es nötig, ihnen das Kapital zu entziehen. Denn: «Wenn es falsch ist, das Klima zu zerstören, dann ist es auch falsch, von dieser Zerstörung zu profitieren», lautet ein viel zitierter Satz von McKibben. Seine Organisation «350.org» hat das Fossil-Free-Netzwerk ins Leben gerufen. Mittlerweile gibt es Ableger auf allen Kontinenten, allein in Deutschland sind es mehr als 30 lokale Gruppen.
1.400 Kohlekraftwerke derzeit in Planung oder Bau
Das Pariser Abkommen von 2015 hat der Bewegung großen Zulauf beschert. Auf der UN-Klimakonferenz beschlossen die Staaten, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius, möglichst unter eineinhalb zu begrenzen. Seitdem berichtet das «Intergovernmental Panel on Climate Change» (IPCC) der Vereinten Nationen jährlich, wie sich klimaschädliche Sektoren über die Zeit verändern müssten, um das politisch gesteckte Ziel zu erreichen. Laut dem aktuellen Report von 2018 müsste Kohle als Energieträger bis 2030 um 78 Prozent heruntergefahren und bis 2040 ganz eingestellt werden.
Dennoch setzen viele Unternehmen und Staaten weiter auf fossile Energien. 2018 waren laut NGOs in 59 Ländern rund 1.400 neue Kohlekraftwerke in Planung oder Bau. Und Kraftwerke sind Investitionen für Jahrzehnte, auch wenn sie mit Öl oder Gas betrieben werden. Dazu kommt, dass Konzerne mittlerweile selbst in den entlegensten Winkeln der Welt nach Rohstoffen suchen. Der Mineralölkonzern «ExxonMobil» etwa entwickelt seine Bohrtechnologie immer weiter, um an bisher unerschließbare Vorkommen in der Tiefsee zu gelangen. In Alaska und Sibirien nutzen Unternehmen inzwischen Fracking, um Öl und Gas aus dem Boden zu pressen.
Droht eine neue Investmentblase?
Das alles passt nicht mit dem Pariser Abkommen zusammen – weshalb es zunehmend Warnungen vor einer Investitionsblase im Kohlenstoffsektor gibt. Unternehmen aus der Kohle-, Öl- und Gasbranche könnten massiv an Wert verlieren, wenn die Staaten mit Klimaschutz und CO2-Reduktion Ernst machen würden. Denn dann dürfte nur noch ein Bruchteil der bekannten Kohle-, Öl- und Gasvorkommen verbrannt werden. Die Unternehmen müssten viele Milliarden abschreiben, weil ihre Kraftwerke und Förderlizenzen größtenteils wertlos wären. Einige Ökonomen meinen, dass die Aktienkurse dieses Risiko bislang nicht genügend widerspiegeln. Die Frage ist: Warum nicht? Christian Klein, Professor für Unternehmensfinanzierung an der Universität Kassel, ist der Meinung, dass viele Akteure an den Finanzmärkten momentan nicht davon ausgehen, dass die Staaten tatsächlich strengere Klimaschutzregeln beschließen werden. «Einen anderen Schluss lassen die derzeitigen Bewertungen nicht zu.»
Bei manchen Anlegern und Analysten beginnt allerdings ein Umdenken. Sie fangen an, Investitionen in fossile Brennstoffe als risikoreich einzustufen. «Die Einsicht ist auch bei einigen großen Investoren angekommen», sagt Heffa Schücking, Geschäftsführerin der Umwelt- und Menschenrechts-NGO «urgewald». Sie selbst war daran nicht unbeteiligt. Dass der norwegische Pensionsfonds – mit 900 Milliarden Euro der größte Vermögensverwalter der Welt – seine Beteiligungen an Kohle abstößt, ist auch ihr Verdienst.
2015 war es, als das norwegische Parlament beschloss, sein Fondskapital aus fossilen Investments abzuziehen. Schücking hatte den Politikern bei einer öffentlichen Anhörung ins Gewissen geredet – und eindrucksvolle Bilder gezeigt, unter anderem von besagten abgesprengten Bergkuppen in den Appalachen. Die norwegische Zeitung «Aftenposten» machte das am selben Tag zu ihrer Titelgeschichte, erzählt sie. Als erstes gegen den norwegischen Pensionsfonds anzugehen, sei eine strategische Entscheidung gewesen: Das Land hat keine Kohlelobby, und die Richtlinien, wie der Fonds anlegen darf, werden jährlich neu vom Parlament festgelegt. Schücking ist seit mehr als drei Jahrzehnten in der NGO-Szene – lange genug, um zu wissen, dass es einen benötigt, der vorangeht, einen «First Mover», und zwar am besten «das größte Tier in der Herde».
Führungspersonal will Zahlen sehen
In Norwegen ist Schücking auch klar geworden, dass es beim Kohleausstieg ein ganz praktisches Problem gibt, und zwar die Frage: Wer gehört dazu? Deshalb hat sich urgewald die 8.000 Firmen angeschaut, an denen der Fonds Anteile besitzt. Das Ergebnis: Über acht Milliarden Euro steckten in Unternehmen, die in irgendeiner Form im Kohlesektor aktiv sind. Da war Schücking klar: Wir brauchen mehr Transparenz. Zwei Jahre lang wurde bei urgewald deshalb intensiv recherchiert, gelesen und nachgefragt. Ergebnis dieser Herkulesleistung: die «Global Coal Exit List» (GCEL), eine Datenbank, die alle größeren Unternehmen mit Verbindungen zum Kohlesektor auflistet. Die Geschäftsfelder reichen von Exploration über Handel und Verstromung bis zum Bau von Kraftwerken. Die Datenbank sei deshalb so wichtig, weil bei manchen Unternehmen gar nicht erkennbar sei, dass sie zur Kohlebranche gehören – wie zum Beispiel bei «Silver Unicorn Trading» oder «China Africa Sunlight Energy».
Mittlerweile hat der norwegische Pensionsfonds vier Milliarden Euro aus dem Kohlesektor abgezogen. Die Kehrtwende des Fonds sei ein gutes Argument im Gespräch mit anderen Großinvestoren. «Wenn die das können, dann könnt ihr das auch», sagt Schücking oft. Das Führungspersonal sei bei dem Thema durchaus aufgeschlossen. «Aber die wollen Zahlen und Fakten sehen», berichtet sie. Mit der Global Coal Exit List kann urgewald den Entscheidern valides Hintergrundmaterial zur Verfügung stellen. Die Rolle als Faktengeberin passt gut zu Heffa Schücking. Sie ist ein Zahlenmensch, hat im Gespräch erstaunlich viele ad hoc parat. Etwa wie viele Milliarden Versicherungsunternehmen in den Kohlesektor investiert haben oder wann die einzelnen Länder aus der Kohle aussteigen wollen.
Dicke Bretter bohren
Inzwischen passiert auch bei anderen Großinvestoren einiges. Eine ganze Reihe von Versicherungsunternehmen ist aktuell dabei, Kapital aus der Kohlebranche abzuziehen. Das zieht sich oft über mehrere Jahre – und manchmal bleiben die Investoren auch hinter ihren vollmundigen Ankündigungen zurück. So steigt die Allianz beispielsweise nur mit dem Eigenkapital aus. Das Fremdkapital, das die Versicherung für andere managt, bleibt in der Fossilwirtschaft investiert. Schücking fordert deshalb beharrlich weitere Zusagen ein. Trotzdem ist sie zufrieden. Es gebe zwar noch viel zu tun, aber sie und ihr Team hätten bereits eine Menge erreicht.
Die größten Kapitalgeber Europas sind dabei, ihr Geld aus der Kohle abzuziehen.
Auch Mathias von Gemmingen ist stolz auf das, was Fossil Free und die Divestment-Bewegung insgesamt bisher erreicht haben. Berlin war immerhin das erste deutsche Bundesland, das seine Pensionsrücklage aus fossilen Brennstoffen abgezogen hat. Was ihm Mut macht: Mit Irland gibt es inzwischen sogar den ersten Staat, der mitzieht. Derartige Erfolge machten es leichter, auch andere Politiker zu überzeugen. Im Moment sind von Gemmingen und seine Mitstreiter mit Abgeordneten des Bundestags im Gespräch. «Wäre doch toll, wenn sich Deutschland als zweiter Staat der Welt der Divestment-Bewegung anschließt», sagt er – und wirkt dabei recht zuversichtlich.
Fossil Free Berlin und urgewald e.V.
Fossil Free Berlin ist ein lokaler Ableger des weltweiten Fossil-Free-Netzwerkes. Das Berliner Kernteam besteht aus 10 Campaignern, alle arbeiten ehrenamtlich. Insgesamt gibt es 1.300 Fossil-Free-Gruppen auf allen fünf Kontinenten.
urgewald ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Sassenberg im Münsterland, der 1992 gegründet wurde. Die NGO deckt auf, wo Banken und Investoren mit ihrem Geld Projekte ermöglichen, welche die Umwelt zerstören oder Menschenrechte gefährden.
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