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Mut kann man spüren

Gedanken von Dr. Michael Sladek

Ohnmacht überwinden, Mut finden, Gemeinschaft sammeln: Michael Sladek, Pionier und Mitbegründer der EWS, über Anläufe, Hürden und Siege.

Wenn ich zurückdenke, habe ich über die Jahre hinweg viel Ohnmacht erlebt. Und ich weiß: Bei der Ohnmacht ist es immer wichtig, dass es einem gelingt, sie schnell zu überwinden – damit man aus der Ohnmacht in die Macht kommt. Und Macht bedeutet für mich, dass man handeln kann. Auch wenn die Umstände, die Politik oder wer auch immer sagen, das geht alles gar nicht, dass man trotzdem einen Weg findet. Als Arzt weiß ich auch: Ohnmacht führt ohne eine Perspektive, wie sie überwunden werden kann, zwangsläufig zu somatischen oder psychosomatischen Erkrankungen.

Deshalb muss man schnell Antworten finden. Bei uns hat das damals nach Tschernobyl so angefangen, dass wir alle nicht nur ein Gefühl der Ohnmacht hatten, sondern sofort auch ein Feindbild. Für uns war klar, gegen wen sich unser Protest richten sollte: gegen die Politik und vor allem gegen die Konzerne, die die Atomkraftwerke und das Monopol zur Energieversorgung besaßen.

Jawohl, wir machen es! 

Wie aber kann ich den Weg von meinem Gehirn, das über die Informationen verfügt, zu meinem Herzen, das die Entscheidungen über mein Verhalten trifft, verkürzen? Mein Bild war: Fühle ich mich machtlos wie ein Muckenschiss im Weltall – oder sage ich: Auf mich kommt es an, ich will ins Handeln kommen? Das ist meine Wahl.

Es ist also zunächst eine Frage des Wollens. Und das erlebe ich oft: Wenn ich etwas will, dann werde ich es in der Regel auch können. Man muss seinen Blick nach vorne richten und sagen: Ja, es wird vielleicht ein schwerer, riskanter Weg. Und vielleicht wird daraus auch nichts. Aber nichts zu tun und an der Klagemauer zu jammern ist sinnlos.

Uns gelang es damals recht schnell, auch andere Menschen dafür zu begeistern, dass es nicht nur anstrengend ist, ins Handeln zu kommen, sondern dass es auch richtig Spaß macht, in der Gemeinschaft etwas umzusetzen. Unsere Utopie war klar, zielorientiert und emotional aufgeladen: eine Zukunft ohne Atomstrom. Eine riesige Aufgabe, an der man natürlich scheitern kann – aber wir sagten uns: Jawohl, wir machen es! Wir entwickelten anfangs Stromsparwettbewerbe unter dem Motto «Wir sparen die AKWs weg», denn auch am eigenen Herd wird entschieden, wie schnell wir die AKWs loswerden. So fing es an. Und ein paar Jahre später haben wir gesagt, wir bringen das Schönauer Stromnetz in Bürgerhand und damit auch die Energieversorgung im Ort.

 

Schwarzweiß-Foto: Ein kräftiger Mann mit Rauschebart und Brille steht im Publikum und spricht zu den Menschen um ihn herum.
Michael Sladek 1996 bei einer Veranstaltung im Gymnasium Schönau. Er trägt ein T-Shirt mit dem Slogan der damaligen EWS-Spendenkampagne «Ich bin ein Störfall.» Foto: Archiv EWS

Den Weg finden und Etappen feiern

Wir wussten, wir müssen unseren Weg in Etappen zerlegen. Man kommt nicht mit einem Happs dorthin, man muss dafür viele kleine Schritte und vielleicht auch Umwege gehen. Von manchen wussten wir anfangs gar nicht, dass man sie machen muss. An diesem Weg und seinen Etappen arbeiteten eigentlich nur ein paar wenige Leute. Aber als uns klar war, wo es langgeht, stießen andere dazu und sagten: «Wow, da mach ich mit!» Und wir hatten das Glück, so viele Mitstreiter zu gewinnen, die die unterschiedlichsten Themen, die wir bespielen wollten, auch tatsächlich bespielen konnten. So hatten wir bald darauf einen Notar in unseren Reihen – das war gerade im Hinblick auf die Bürgerentscheide sehr wichtig. Ich glaube jedoch, Glück fällt einem nicht nur zu, sondern man muss eine Bindungskraft haben und Gefühle bei anderen auslösen.

Jetzt kommt ein bisschen meine Geschichte in der Geschichte – dass man jede Etappe, wenn sie erfolgreich war, auch ausreichend würdigt. Dass man genießt, was man erreicht hat, und sich sagt: Jetzt ist Zeit zum Feiern. Aber auch die Zeit des Ausruhens und der Gelassenheit. So tanke ich wieder Kraft für den nächsten Schritt. Das Tollste ist: Ich muss ihn ja nicht alleine gehen. Ich bin in einer Gemeinschaft – und die trägt mich. Und wenn manche Dinge nicht gelingen, dann klopft man sich gegenseitig auf die Schulter und sagt: Gut, das ist nicht optimal gelaufen. Aber deswegen geben wir nicht auf. Uns schmeißt da nichts so schnell aus der Bahn. Das hat was mit Stursein zu tun, aber vor allem auch mit Mut. Sonst wagst du dich nicht auf den Weg. Und Mut kann man spüren.

 

Der Mann mit Rauschebart trägt eine rote Strickjacke während er den Menschen um sich herum mit einem Weinglas zuprostet.
Siege erringen – und feiern: Sladek bei der Einweihung des «Schöpfungsfensters», einer PV-Anlage, die auf rebellische Weise ihren Weg aufs Dach der evangelischen Kirche Schönau fand. Foto: Archiv EWS

 

Wir haben das immer auch auf unseren «Stromseminaren» erfahren: Da sind so viele ganz unterschiedliche Leute gekommen, von überall her. Sie reisten nicht nur nach Schönau, um Vorträge zu hören und sich mit uns auszutauschen, sondern auch, um in der Gemeinschaft wieder Kraft zu tanken. Da haben viele erlebt: Ich bin nicht der Einzige, der so tickt, obwohl zu Hause alle meinen, ich spinne. Hier aber bin ich in einer Gemeinschaft von ein paar hundert Leuten – das baut mich wieder auf und gibt mir Mut, etwas zu wagen und in die Zukunft zu gehen. Wenn die Leute dann zurück in ihrem Heimatort waren und damit anfingen, Solaranlagen zu planen oder irgendwelche Aktionen zu machen, habe ich immer gedacht: Das ist das Schönauer Gefühl!

Dieses Gefühl ist auch geprägt von Kultur, Sinnlichkeit – und von Humor. Zu jedem Stromseminar gehört die «Stromnacht» mit Kabarett, Musik, Essen und einem Fass Gutedel, das wir gemeinsam unterm Sternenhimmel leeren. Wir machen das nicht nur für unsere Gäste, sondern auch für uns selbst, denn Lebensfreude und Lebenslust sind treibende Kräfte. Das hat uns als Gemeinschaft auch im Alltag geholfen, weil wir wussten: Selbst wenn wir mal durch eine beschissene Situation durchgehen müssen, haben wir das Lachen nicht verlernt.

Uns war es immer auch wichtig, alle fünf Sinne anzusprechen. Man muss auf die Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Erwartungen zugehen – und häufig war das nicht das Thema Energie. Also haben wir Volksmusik und «Rock für EWS» gemacht, zu klassischen Konzerten und Ausstellungen eingeladen – und auch medizinische Vorträge und noch vieles mehr veranstaltet. Manche Dinge dürfen einem dabei auch mal so richtig unter die Haut gehen. Wir wollten nicht nur auf eine Taste drücken – wir wollten einfach richtig toll Klavier spielen.

Den anderen als Mensch sehen

Ich denke, man muss aber auch immer seine Haltung klar vertreten und die Dinge klar benennen – sagen, um was es wirklich geht. Auch wenn ich im Moment vielleicht in der Minderheit bin. Man muss das dann auch aushalten können. Das hat uns auch ein Stück weit ausgemacht. Wir haben mit aller Macht gesagt: So geht es nicht weiter!

Man muss natürlich auch im politischen Raum kämpfen. Aber muss ich die dann alle verprügeln und sagen: «Ihr seid Pflaumen, ihr könnt nix»? Das ist nicht die beste Strategie, um erfolgreich zu sein. Für mich war immer wichtig, respektvoll miteinander umzugehen, wenn ich mit Bürgermeistern oder mit anderen verhandelte. Auch wenn ich eine andere Meinung habe und um sie kämpfe, sehe ich den anderen immer als Mensch. Nicht er ist mein Angriffsziel, sondern das, wofür er sich entschieden hat.

Und wenn man gewinnt, braucht es auch eine Kultur des Siegens – man muss auf den anderen zugehen können und versöhnend wirken. Das gelingt nicht immer, weil man ja selbst nicht nur von heiligen, sondern auch von unheiligen Motivationen getrieben ist. Zugegeben: Auch mir macht es richtig Spaß, einem Dinosaurier so fest in den Hintern zu piksen, dass er schreiend davonrennt. So haben wir gegen die Atomenergie gekämpft – und dazu beigetragen, dass dieser Kampf auch erfolgreich war.

 

Immernoch in roter Strickjacke steht der Mann nun am Mikro – im Hintergrund ist ein Banner mit der Aufschrift "Atomendzeit" zu erahnen.
«Atom-End-ZEIT» – Sladek spricht auf einer BUND-Veranstaltung zum 10. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl. Foto: Archiv EWS

 

Ein wichtiger Teil war für uns auch, die Energiewende ganz konkret voranzutreiben. Dafür mussten wir natürlich Geld in die Hand nehmen. Unsere Idee war, die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an der Energieerzeugung und der Infrastruktur zu ermöglichen – ein Unternehmen auf die Beine zu stellen, das den Ansprüchen der Ökologie und der Ökonomie gerecht wird und dabei auch die ­so­ziale Frage im Blick hat. Wir wollten beweisen, dass man diese Trias zusammenschnüren kann. Das hat auch viele Menschen inspiriert.

Geld regiert die Welt. Na, dann nichts wie mitregiert!

Slogan auf einem der ersten EWS-Flyer

Aber wie viel Geld brauchen wir wirklich? Klar verschafft uns Geld Freiheit. Wenn du jeden Tag überlegen musst, wie du deine Brosamen zusammenkriegst, bist du unfrei. Doch bevor das Geld nur auf der Bank rumliegt, sollte man die Freiheit, die das Geld verschafft, auch nutzen, um Gutes zu bewirken. Das heißt auch, ins Risiko zu gehen. Denn Geld ist für mich nur Mittel zum Zweck.

Und da komme ich zum genossenschaftlichen Gedanken: Mir geht es nicht darum, wie viel Dividende am Ende ausgeschüttet wird, sondern was die Genossenschaft mit dem Geld macht. Und da spielt Vertrauen eine entscheidende Rolle: Ich vertraue dir mein Geld an – und ich vertraue dir, dass du das Richtige damit tust. Daher muss man sich in der Genossenschaft immer überlegen: Wenn ich Gefahr laufe, dieses Vertrauen zu beschädigen, dann lasse ich sofort die Finger davon. Denn Vertrauen zu gewinnen ist ein langer Weg, aber man hat es auch schnell verspielt. Deswegen ist Vertrauen für eine Genossenschaft überlebenswichtig.

Wie schaffen wir eine enkeltaugliche Zukunft?

Angesichts der Klimakrise stehen wir vor einer noch größeren Herausforderung als damals. Natürlich liegt wieder viel Verantwortung bei der Politik, die nicht handelt, und bei den Konzernen, die weiter Millionen scheffeln – aber auch wir selbst stehen mit in der Verantwortung.

Wir müssen uns heute entscheiden, ob wir den kommenden Generationen – und damit meine ich nicht nur meine Enkel, sondern auch die Enkel dieser Enkel – ein Leben ermöglichen möchten oder ob wir sagen, dieses Ziel ist uns zu ambitioniert und wir wollen lieber zu unseren Lebzeiten möglichst viel Komfort und Luxus erleben.

In der Klimakrise ist jeder von uns durch sein Handeln direkt Mittäter. Wir müssen erkennen, dass jede Handlung – jede Entscheidung, die wir treffen – das Potenzial hat, die Erde zu heilen oder weiter zu schädigen. Es geht darum, bewusst zu wählen, welchen Weg wir einschlagen wollen, und zu verstehen, dass unsere Entscheidungen und Handlungen das Erbe sind, das wir hinterlassen. Der Feind sitzt also nicht nur außerhalb, sondern auch in uns selbst. Wie gehen wir mit dieser Ohnmacht gegenüber uns selbst um? Das ist für mich ein ungelöstes Problem. Trotzdem glaube ich an das Wunder, dass wir den Schalter noch rechtzeitig umlegen werden.  

Wir brauchen wieder viel mehr das Gemeinschaftliche.

Dr. Michael Sladek, Mitbegründer der «Schönauer Energie-Initiativen» und ehemaliger EWS-Vorstand

Dazu müssen wir uns nicht nur eine bessere Welt vorstellen können, sondern auch eine neue Form von Gemeinschaft entwickeln. Erst wenn beim Einzelnen dieses «gute Gefühl» entsteht, kann er seine eigene Verhaltensänderung als Gewinn erleben und seine politische Veränderungskraft wieder spüren. Wir müssen kraft unserer Lebensfreude einen Weg finden, wie wir nicht nur die Menschheit, sondern auch die Schöpfung an sich bewahren können – indem wir nicht nur an uns denken, sondern auch an das Leben in seiner Gesamtheit. Und deshalb brauchen wir auch wieder viel mehr das Gemeinschaftliche. Dazu gehören auch Kultur und das gemeinsame Erleben von Freude, Sinnlichkeit und Spaß an der Gestaltung einer besseren Welt. Das stärkt nicht nur unsere Gemeinschaft, sondern auch unser Durchhaltevermögen und unseren Optimismus.

 

Vor der gelben Stele stehen Bürgermeister Schelshorn mit Katja Diehl, Michael und Sebastian. Die drei umarmen sich und alle lachen herzlich.
Auf dem Stromseminar lässt sich Mut tanken – und Aktivismus feiern, wie hier im Sommer 2023, als die Mobilitätsaktivistin Katja Diehl den Stromrebellen-Preis der EWS erhielt. Foto: Albert J. Schmidt

 

Aber ich werde mutig gegen jene kämpfen, die von Egoismus geprägt sind und nur sich selbst im Mittelpunkt sehen – denen es total egal ist, wenn das Leben auf unserem Planeten zugrunde geht; die leichtfertig mit dem Feuer spielen und unsere Gemeinschaft und unsere Demokratie gefährden. Die Demokratie ist ein unschätzbares Gut, denn sie gibt uns die Freiheit zu handeln und die Möglichkeit, selbst zu agieren. Wir haben dank ihr die Wahlfreiheit, auch unterschiedliche Lösungen zu suchen und zu finden. Das ist gerade angesichts der Klimakrise wichtiger denn je.

Es ist eine Zeit gekommen, in der wir den Mut haben müssen, um grundlegend neue Wege zu gehen. Auch Wege, die uns heute vielleicht noch fremd erscheinen. Nur so können wir hoffentlich eine Welt schaffen, die nicht nur lebenswert, sondern auch lebenssicher für alle nachfolgenden Generationen ist. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen!

Ich glaube an das Gute im Menschen. Obwohl ich weiß, es geht auch andersrum – so blöd bin ich nicht. Aber es gibt eben auch diesen anderen Teil, den man unterschätzt. Vielleicht ist das Gute nicht nur eine Kulturleistung des  Einzelnen, sondern vielmehr eine Kulturleistung der Gemeinschaft. Ich bin mir sicher, am Ende geht es nur in Gemeinschaft. Und Gemeinschaft braucht Mut!

Ein grauhaariger, betagter Mann mit Rauschebart, weißem Hemd und offener grauer Strickjacke lächelt entwaffnend in die Kamera
Dr. Michael Sladek

Michael Sladek, geboren 1946 in Murrhardt, ist Allge­meinmediziner und Mitbegründer der «Schönauer Energie-Initiativen». Von 2009 bis 2014 war er Vorstand der EWS eG. Für sein außerordentliches und vorbildliches Engagement erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den «Nuclear-Free Future Award», den «Europäischen Solarpreis» und den «Deutschen Gründerpreis»

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28. Juni 2024 | Energiewende-Magazin