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MoorFutures: Zertifikate für die Zukunft

Ein Bericht von Isabel Metzger

Die Wiedervernässung trockengelegter Moore ist anspruchsvoll und aufwendig – CO₂-Kompensationsmodelle 
können zur Finanzierung beitragen.

Für seinen Job benötigt Martin Szaramowicz Gummistiefel. Mit ihnen stapft er an diesem Morgen über seinen Arbeitsplatz, eine Lichtung in Brandenburg. Unter seinen Sohlen rascheln Gräser und Schilf. Es ist Juli, die Sonne sticht. Wochenlang hat es kaum geregnet, die Felder sind ausgetrocknet. An einer Böschung macht er halt. Im Graben darunter türmen sich Äste und Zweige. Ein Biber hat das Gerüst wie einen Schutzwall konstruiert. Dort staut sich das Wasser, auf seiner Oberfläche schwimmen Seerosenblätter, am Ufer schwirren Libellen. «Einfach genial», sagt Szaramowicz. «Genau das, was wir für unser Projekt brauchen.»

Schutz und Wiederbelebung der Moore

Projektleiter bei den MoorFutures: Martin Szaramowicz Foto: Monika Keiler

Martin Szaramowicz ist Landschaftsplaner, sein Projekt die «Rehwiese», eine Fläche von zehn Hektar im Landkreis Oberhavel. Seit 2012 arbeitet er mit der «Flächenagentur Brandenburg» daran, die Rehwiese wieder zu dem zu machen, was sie früher einmal war: ein Tiefmoor. «MoorFutures» heißt das Projekt, Wiedervernässung nennen es Wissenschaftler. Bis ins 18. Jahrhundert war die Rehwiese Moorfläche. Dann begannen Bauern, sie als Weide und Ackerboden zu nutzen. Ein Fließgraben sorgte für die Entwässerung der Fläche – bis 2012. Jetzt soll die Rehwiese wieder nass werden. «Keine Badewanne», sagt Szaramowicz. «Nur feucht bis zur Oberfläche.»

Der Landschaftsplaner ist kein Mann großer Worte, studiert hat er sein Fach in den 1990er-Jahren, «damals noch in einer Welle der Weltverbesserer», sagt er. Heute lebt Martin Szaramowicz in einem Mehrfamilienhaus mit kleinem Garten, im eher bürgerlichen Süden Berlins. In seinem Büro in Brandenburg an der Havel ist die Rehwiese als Karte mit Zahlen, Höhenlinien und Wasserständen präsent. Läuft er über das Gelände, wie an diesem Julimorgen, wandert sein Blick in die Weite. Der wassergefüllte Fließgraben zieht sich, überzogen von einer Schicht Wasserlinsen, in Richtung Süden. Über die Fläche klingen Vogelrufe. Ein Kranichpaar sei inzwischen hier heimisch geworden, sagt Szaramowicz. Seit letztem Jahr auch der Biber.

Der Biberbau zeigt, dass unser Projekt funktioniert.

Martin Szaramowicz, Landschaftsplaner

Die Rehwiese ist eines von insgesamt fünf Projekten der MoorFutures. Die Idee stammt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt in Mecklenburg-Vorpommern. Dort ging 2012 das erste Projekt an den Start, das Moor «Polder Kieve». Wenig später zogen Schleswig-Holstein und Brandenburg nach, ihr gemeinsames Ziel: der Erhalt und die Wiederverwässerung von Mooren. Die drei Bundesländer gehören zu den moorreichsten – mit rund 60 Prozent aller Tiefmoore in Deutschland. Doch die meisten davon sind heute trockengelegt. Die MoorFutures wollen dem nun entgegenwirken.

Wiedervernässung als Klimaschutzmaßnahme

Moore sind Kohlenstoffspeicher. Bei Nässe bleibt das Element im Boden gebunden. Bei Trockenheit dagegen oxidiert Kohlenstoff und entweicht als Kohlendioxid. 
 Illustration: Ole Häntzschel

In Mooren sind große Mengen an Kohlenstoff gebunden. Wird ein Moor entwässert, dringt Sauerstoff in den Torf ein, in der Folge entweicht Kohlendioxid. Mit der Wiedervernässung kann dieser Prozess gestoppt werden. Allein die Rehwiese könnte so nach Berechnungen der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNE Eberswalde) 6.744 Tonnen CO2 dauerhaft binden.

Finanziert werden die MoorFutures über ein CO2-Kompensationsmodell: Interessierte können die Projekte durch den Kauf von Zertifikaten unterstützen. Ein MoorFutures-Zertifikat garantiert die Ersparnis von einer Tonne CO2. Auf den Polder Kieve mit einer Ersparnis von 14.325 Tonnen Kohlendioxid folgten vier weitere Projekte in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Brandenburg.

Das Projekt Rehwiese wurde durch die «Stiftung Naturschutzfonds Brandenburg» vorfinanziert. 100.000 Euro betrug das Startkapital für die Wiedervernässung. Ab 2012 rollten Bagger über die Wiese, schaufelten Erde vom Ufer und schütteten Kieselsteine in den Graben. Vier Staustufen sorgen seitdem dafür, dass das Wasser wieder im Moor bleibt.

Regelmäßige Monitorings zur Überprüfung

Zur Abschätzung der potenziellen CO2-Ersparnis nutzt MoorFutures den sogenannten «GEST-Ansatz» (Treibhausgas-Emissions-Standort-Typen). Dazu untersuchten Wissenschaftler das Moorgelände nach Vegetationstypen. Ausgehend von Wasserstand und Verteilung der Pflanzengruppen schätzen sie das CO2-Einsparpotenzial ab. Denn auch die Vegetation bestimmt, wie viel Kohlendioxid gebunden werden kann: So haben sumpftypische Pflanzen wie Seggen und Rohrglanzgräser ein höheres Einsparpotenzial als Pflanzen, die vor allem auf Weideland zu finden sind.

Überprüft wird das Projekt Rehwiese von der HNE Eberswalde die alle fünf Jahre ein Monitoring durchführt. Die Wissenschaftler dokumentieren Veränderungen des Wasserhaushalts und der Vegetation. Mindestens einmal im Quartal besucht Martin Szaramowicz die Rehwiese und misst an mehreren Stellen die Grundwasserstände.

 

Ein Mann steht auf einer Wiese an einer Wasserstandsmessstelle.
Mindestens viermal im Jahr überprüft Martin Szaramowicz den Grundwasserpegel der Rehwiese. Foto: Monika Keiler
Mit einem kleinen Handheld-Computer werden Notizen an einer Wasserstandsmessstelle gemacht.
An der Messstelle kann er ablesen, wie hoch das Wasser steht. Foto: Monika Keiler
Eine Sperre aus Rundhölzern sorgt in einem Fließ dazu, dass das Wasser langsamer abfließt.Fließ
Der Fließgraben sorgt für Wassernachschub. Foto: Monika Keiler
Ein Mann in Karohemd und Jeans läuft in einem ausgetrockneten Fließgraben.über Kieselsteine.
Im Sommer 2019 hat es zu wenig geregnet. An manchen Stellen ist der Graben gar ausgetrocknet. Foto: Monika Keiler
Ein Computermonitor in einem Büro mit einem Foto von einem Feuchtgebiet.
Langfristig soll die Fläche möglichst kontinuierlich geflutet werden. Das Wasser erreicht schon jetzt im Frühling fast den Waldrand. Foto: Monika Keiler

Revitalisierung von Mooren: nicht zum Einheitspreis

Nicht jedes ehemalige Moor eignet sich zur Wiedervernässung. Brandenburg hat laut Landesumweltamt heute noch eine Moorfläche von 220.000 Hektar, von der allerdings nur zwei- bis dreitausend Hektar als «ungestörte und wachsende Moore» eingestuft werden. Der Rest gilt als gefährdet bis extrem gefährdet. Besonders Moorflächen, die trockengelegt und seit Jahrzehnten intensiv bewirtschaftet werden, lassen sich nur unter erheblichem Aufwand wieder vernässen. Häufig fehlt zudem eine direkte Wasserzufuhr.

Das Finanzierungsmodell der MoorFutures steht und fällt allerdings mit der Rentabilität des Standorts. Mit anderen Worten: Um die Wiedervernässung zu bezahlen, muss die Fläche so viel Potenzial zur CO2-Kompensation bieten, dass ausreichend CO2-Zertifikate zu bezahlbaren Preisen verkauft werden können.

Jedes Projekt hat andere Ansprüche.

Martin Szaramowicz, Landschaftsplaner

80 Euro kostet ein Zertifikat bei den MoorFutures für die Rehwiese. In Schleswig-Holstein sind es 64 Euro, in Mecklenburg-Vorpommern gerade einmal 40 Euro. Der Gegenwert pro Zertifikat ist bei allen dreien der gleiche: eine Tonne CO2, eingespart über den Zeitraum von 50 Jahren. Nicht alle Interessenten haben für die Preise Verständnis. «Manche Leute fragen mich, warum die Zertifikate in Brandenburg so viel teurer sind als in den anderen Bundesländern», sagt Szaramowicz. «Dabei hat jedes Projekt andere Ansprüche.»

Kompensation per Online-Kauf

Inzwischen sind über 2.000 Zertifikate verkauft. Zu den Unterstützern zählen mehrere Unternehmen, darunter ein Tourismus-Anbieter aus der Uckermark, sogar ein Pharmakonzern. «Solche Betriebe wollen oft mit dem Kauf von Zertifikaten Flüge und lange Autofahrten klimaneutral stellen», sagt Anne Schöps. Aber es gebe auch private Käufer: «Die einen wollen ihrem Enkel ein MoorFuture zum Geburtstag schenken, die anderen ihren nächsten Urlaub kompensieren», so Schöps. Ein Rechner auf der Webseite zeigt die persönliche Klimabilanz in Zahlen. Einen Mittelstreckenflug mit sechs Hotelübernachtungen beispielsweise berechnet er pauschal mit 690 Kilogramm CO2. Mit einem Klick auf den Button «Ausgleich» kann dann ein Zertifikat erworben werden. CO2-Kompensation per Klick – geht das so einfach?

Wiedervernässung ist ein langfristiger Prozess.

Martin Szaramowicz, Landschaftsplaner

«Das entspricht natürlich nicht der eigentlichen Arbeit hinter dem Projekt», sagt Szaramowicz. «Wiedervernässung ist ein langfristiger Prozess.» Einer, der ständige Kontrolle verlangt. Szaramowicz macht an einer Insel aus Gras halt. Aus dem Boden ragt ein Metallschutzrohr, ein Zugang zum Inneren der Moorfläche. Hier in der Tiefe, unter Pflanzenwurzeln, Erde und Geröll, liegen noch Schichten aus Torf. Einmal pro Tag wird hier automatisch der Wasserstand gemessen.

Szaramowicz überprüft die Messstelle regelmäßig und kontrolliert mit seinem Maßband am aktuellen Grundwasserstand gegen, ob die Messung noch korrekt ist. Dann liest er die Daten der letzten Monate aus und beobachtet deren Schwankungen. Normalerweise liegen die Torfbestände unter dem Grundwasserspiegel und sind damit konserviert. Ziel der Wiedervernässung ist es, den Grundwasserspiegel dauerhaft anzuheben, sodass er unmittelbar unter der Grundoberfläche steht. Bei extremer Trockenheit sank er aber auch schon deutlich unter den oberen Rand der Torfschicht. «Wenn das passiert, sind wir alarmiert», sagt Szaramowicz. Denn dann sei das eigentliche Ziel gefährdet: die Speicherung von CO2.

 

Eine frischgemähte Moorwiese, von Wald umgeben
Noch ist die Vegetation auf der Rehwiese nicht völlig umgestellt. Im Sommer mäht ein Landwirt Gras. Nur wenn er es von der Fläche holt, ist sichergestellt, dass es nicht verrottet. Foto: Monika Keiler

Von Rückschlägen und Widerständen

«Für die Anfangsphase haben wir solche Rückschläge mit eingerechnet», sagt der Landschaftsplaner. Noch wächst auf der Fläche typische Wiesenvegetation. Die Pflanzen zersetzen sich und geben damit Emissionen frei. Ein Landwirt mäht deshalb einmal im Jahr die Rehwiese, trägt das Heu ab.

Manche Anwohner in der Region zweifeln allerdings an der Wirksamkeit der MoorFutures. Als die Agentur mit dem Projekt an den Start ging, kam Kritik von der Bürgerinitiative «Müggelspree». Dem Klima würden Vernässungsprojekte nicht helfen. Stattdessen würden sich Unternehmer mit schlechter Klimabilanz mit den Zertifikaten freikaufen. «Die Klage vom ‹Ablasshandel› bekommen wir immer wieder», sagt Szaramowicz. «Wenn aber Landschaften wiederhergestellt werden und gleichzeitig CO2 eingespart wird, ist daran doch nichts Schlechtes.»

Nichtstun ist für mich auch keine Option.

Anne Schöps, Geschäftsführerin, Flächenagentur Brandenburg

Szaramowicz zeigt eine Geländekarte der Rehwiese, zeichnet mit dem Finger die Höhenlinien nach. Bis 2050 könnte das Wasser fast bis zum Waldrand reichen, so der Plan. Und erste Erfolge der MoorFutures sind bereits nachweisbar: 2018 stellten die Wissenschaftler der HNE Eberswalde beim ersten Monitoring fest, dass sich der Wasserstand auf der Rehwiese erhöht und die Vegetation sich angepasst hat.

Wie es weitergehen könnte, zeigt die Polder Kieve – dieses erste MoorFutures-Projekt ist mittlerweile erfolgreich abgeschlossen. Nach dem Projektstart 2012 wurden nach und nach sämtliche Zertifikate verkauft. 14.325 Tonnen an CO2 bleiben damit auf Dauer im Boden. Zu den Käufern gehören Privatleute – aber auch Firmen wie McDonalds oder die Commerzbank. Nach der Wiedervernässung der ehemaligen Weidefläche sind Kraniche und Seeadler in die Polder Kieve zurückgekehrt.

 

Ein Biber hat in sumpfigem Wasser Äste und Bruchholz zu einem Haufen  aufgetürmt.
Heute ist die Rehwiese auf dem besten Weg, wieder Moorfläche zu werden: Seit 2018 lebt hier ein Biber. Foto: Monika Keiler
Seerosenblätter liegen auf der Wasseroberfläche eines Fließes.
An einigen Stellen wachsen Seerosen, die hauptsächlich auf ruhigen Gewässern zu finden sind. Foto: Monika Keiler
Durch eine Landschaft mit offener Wiese und Wald im Hintergrund zieht sich ein Fließ.
Die Rehwiese war dafür anfangs noch nicht geeignet: Das Wasser bewegte sich in relativ hohem Tempo über einen Fließgraben über die Fläche. Foto: Monika Keiler

Klimaforscher warnen vor Moorschwund

Ein Risiko allerdings bleibt: In den letzten Jahren gab es lange Trockenphasen, 2019 fiel sogar im Frühjahr zu wenig Regen. Die Forscher des «Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung» (PIK) gehen von weiter abnehmenden Niederschlägen in der Region aus und warnen deshalb vor einem zunehmenden «Moorschwund». «Der Klimawandel macht uns bei unserem Projekt am meisten zu schaffen», sagt Szaramowicz. Am deutlichsten sichtbar wird das am Südende der Rehwiese. Der Fließgraben ist an diesem Vormittag die 200 Meter hinter der letzten Staustufe augetrocknet; Baumstämme liegen wie Skelette auf dem Boden.

Ohne Niederschläge können wir nicht viel machen.

Martin Szaramowicz, Landschaftsplaner

Später an diesem Julitag lädt Szaramowicz die Messdaten in seinen Computer. Die Kurve für Mai und Juni weist einen deutlichen Knick auf. So wie schon 2018. Der Grundwasserspiegel ist seit Jahresanfang zurückgegangen. Der Landschaftsplaner hofft auf die Herbst- und Winterzeit. «Dann werden wir sehen, ob es genug regnet, um die Wasserreserven wieder aufzufüllen», sagt er. Mut macht ihm aber die Natur selbst. Der Bau des Bibers halte das Wasser immerhin ein Stück weiter auf der Fläche zurück: Der neue Moorbewohner habe mit seinem Astgeflecht «eine perfekte Staustufe geschaffen».

 

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MoorFutures

Mehr Informationen zu MoorFutures-Projekten in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein finden Sie hier.

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12. September 2019 | Energiewende-Magazin