Irm Scheer-Pontenagel – Steine ins Wasser werfen
Ein Porträt von Tom Jost
27 Jahre lang war sie die Seele von Eurosolar – konzentriert, prinzipienfest und diskursfreudig. Jetzt hat sie die Rollen getauscht.
Das quadratische Motiv atmet konstruktivistischen Geist: keine Personen, Blumen, Landschaften, sondern simple geometrische Formen. Horizontale Streifen in verschiedenen Farben dominieren, verwischen sogar leicht die Kontur des Viertelkreises, der im Hintergrund gelb seine Leuchtkraft entwickelt. Man braucht nicht viel Fantasie, um eine Sonne zu erkennen, die sich durch dunstige Schlieren drängt – und sie über kurz oder lang auflösen wird. «Ein neues Jahrhundert bauen» hieß das Motto der 5. Europäischen Konferenz «Solarenergie in Architektur und Städteplanung», zu der 1998 ein Fassaden-Banner mit diesem Bild nach Bonn einlud. Entstanden ist es im Atelier von Irm Pontenagel – einer der wichtigsten Frauen der Energielandschaft. Nicht nur der deutschen.
Mich gab’s als Person und Künstlerin ja schon vorher.
Gründerin, Organisatorin, Transformerin
Ende 2015 ist Irmgard Scheer-Pontenagel nach 27 Jahren als Geschäftsführerin von EUROSOLAR ausgeschieden – jener Schrittmacher-Vereinigung für Erneuerbare Energien, die sie im ehelichen Tandem mit Hermann Scheer mitbegründete. Er: der SPD-Politiker, Visionär, Überzeugungstäter in des Wortes bester Bedeutung, schließlich Träger des Alternativen Nobelpreises und einer der «Eltern» des deutschen EEG. Sie: die konzentrierte Transformerin und Organisatorin, prinzipienfest und diskussionsfreudig, stets auch neue Akzente setzend. «Ich habe ganz lange nicht begriffen, dass Irm einen Doppelnamen trägt», sagt einer ihrer Wegbegleiter. Treffender lässt sich ihre Eigenständigkeit kaum beschreiben. «Na, den gesetzlichen Namen benutzte ich auch nur zum Unterschreiben von Dokumenten», entgegnet sie. «Mich gab’s als Person und Künstlerin ja schon vorher.» Seit dem für viele unfassbaren Tod von Hermann Scheer 2010 ist der Doppelname auch offiziell reaktiviert.
Gegen den Muff von tausend Jahren
Anders als viele aus den Bürgerbewegungen ist Scheer-Pontenagel nicht von den Erneuerbaren Energieformen zur Politik gekommen, sondern umgekehrt. Den politischen Kopf trug sie schon früh auf den Schultern. Aufgewachsen im Münsterland, gehörte sie zu den «rebellischen Kindern», die hinterfragten, was bis dato lieber verschwiegen blieb. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche im Nationalsozialismus scheint das kritische Bewusstsein enorm befördert zu haben. Das Ende der 60er-Jahre erlebte die junge Malerin in Schweden – auf der Suche nach politischen Gruppen: «Uns haben alle die amerikanischen Deserteure beeindruckt, die den Krieg in Vietnam nicht mitmachen wollten.»
Alternativen politisch durchsetzen
Anfangs hatte sie sich auch für die friedliche Nutzung der Atomenergie eingesetzt. Aber eine Häufung von Pseudokrupp-Fällen im familiären Umfeld und später der Tschernobyl-GAU nährten die Erkenntnis, «dass diese Energieversorgung so nicht mehr hinnehmbar war.» Als sich auch noch Forscher im Gespräch beklagten, Deutschland läge technologisch bei den Alternativen im Spitzenfeld, man stünde aber politisch vor verschlossenen Türen, war dies der auslösende Moment zur «Gründung einer Bürgergesellschaft». Hier war von Beginn an «International« als Devise gesetzt: Als »Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien» (EUROSOLAR) orientierte man sich direkt über die Landesgrenzen hinweg: «Um auch gleich zu sagen, dass es die Welt was angeht.» Scheer-Pontenagel übernahm die Geschäftsführung und wurde zur Seele einer beispiellosen Unternehmung, die heute auf 16 europäische Sektionen baut, von Spanien bis zur Ukraine und von Großbritannien bis zur Türkei.
Steine ins Wasser werfen
All die Veranstaltungen und Konferenzen sind kaum zu zählen: Architekten und Stadtplaner, Stadtwerke-Chefs und Landwirte, Politiker und Speicher-Tüftler holen sich regelmäßig Input über neue Entwicklungen. Man betrieb die Gründung des «Weltrats» und schließlich der «Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien». Letzterer sind inzwischen 144 Staaten und die EU als Organisation beigetreten. Wie die Geschäftsführerin Zeit fand, zudem mit diversen Publikationen streitbar «Steine ins Wasser zu werfen», bleibt vermutlich ihr Geheimnis. Dabei fand sie nicht automatisch alles toll, was mit dem Logo «solar» jubelnd bepappt wurde. Dem Wüstenstrom-Projekt «Desertec» ist sie stets mit kritischer Abneigung begegnet.
Gelungene Beispiele lokalen Handelns aufs Podium zu stellen – dafür hat Irm Scheer-Pontenagel auch intern gestritten. Nicht einen Top-Gewinner auszuzeichnen, sondern jährlich bis zu acht europäische und neun deutsche Solarpreis-Träger, ist ihr persönliches Anliegen: «Damit unterstützen wir doch die Dezentralität.» 2003 fanden sich so (irgendwie unvermeidbar) die Schönauer EWS im Lichte der europäischen Öffentlichkeit. In einer Zeit gegründet, als andernorts Stadtwerke aufgelöst und verkauft wurden. «Und dann auch noch ein Erfolgskonzept, das auf familiären Synergien beruht – einfach fantastisch! Ich wünsche mir, dass sie eine Sonderform bleiben.» 2007 zeichneten die Schönauer sie dann anerkennend als Stromrebellin aus. Was ebenso unvermeidbar gewesen ist.
Das war die größte Entwicklungshilfe, die Deutschland je geleistet hat.
Energiewende auf Erfolgsspur halten
Deutschland und seine aktiven Bürger hätten die Energiewende auf die Erfolgsspur geführt, die Photovoltaik als einst teuersten Energieträger weltweit bezahlbar gemacht, sagt sie. «Das war die größte Entwicklungshilfe, die Deutschland je geleistet hat.» Aber ausruhen kann man sich nicht, inzwischen zeichnen sich neue Kämpfe ab. Mächtige Verbündete schielen auf eine «Energie-Union» und Scheer-Pontenagel fürchtet, dass die stärksten Interessenvertreter das Sagen haben werden. Es werden die Netze sein, mit denen künftig die Geschäfte gemacht werden.
Doch man täusche sich nicht. Irm Scheer-Pontenagel hat sich mit der Aufgabe der EUROSOLAR-Geschäftsführung nicht zurückgezogen, «lediglich die Rolle gewechselt». Weiterhin arbeitet sie im Vorstand der Organisation – und hat auch noch diverse Steine parat, die ins Wasser geworfen werden wollen. Zum Malen ist sie freilich seit dem Ende der Neunziger nicht mehr gekommen.