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«Erdwärme hier nicht zu nutzen, wäre ignorant»

Ein Bericht von Tom Jost

Zehn Jahre lang feilte eine Aachener Bürgerstiftung an dem Plan, Heizenergie aus Thermalquellen zu gewinnen. Ende 2017 ist sie ans Ziel gelangt.

Mit Wonne im Aachener Warmwasser geräkelt wurde sich schon oft in den letzten 2.000 Jahren. Römische Besatzer bauten das erste Heilbad, zu Zeiten Karl des Großen war ein 100-Personen-Becken gesellschaftlicher und politischer Treffpunkt. Trinkbrunnen, Kurhotels und Spielbank sorgten ab dem 18. Jahrhundert dafür, dass sich Aachen zu Europas Bäderstadt Nummer eins entwickelte. Dürer und Napoleon, Casanova und Clausewitz sind nur einige Namen aus der langen Wellness-Kundenliste.

Das Aachener Kaiserbad, Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert

Thermalwasser ist eine angenehme Nebenwirkung jener Hitze im Inneren der Erde, die schon seit 4,5 Milliarden Jahren anhält. Unter unseren Füßen ist es mehr als nur kochend heiß: Vermutlich 6.000 Grad Celsius würde man im flüssigen Erdkern messen, die Temperatur verringert sich stufenweise in Richtung Oberfläche. Diese Energie gilt wie die Solarstrahlung als unerschöpflich und reicht theoretisch für weitere Milliarden – an Jahren und an Menschen. Wissenschaftler schätzen, dass allein in den oberen 3.000 Metern Erdkruste so viel Energie steckt, wie die Menschheit in den kommenden 100.000 Jahren benötigt.

Bohren muss man – so oder so

Man muss eigentlich nur bohren: entweder ein paar Dutzend Meter oder gleich richtig tief. So oder so stößt man, ganz unabhängig von Jahreszeit und Wetter, auf konstante Erdwärme, die sich mit unterschiedlichen Technologien erschließen und energetisch nutzen lässt. Gegenwärtig reichen vor allem bei Neubauten Bohrungen bis circa 70 Meter Tiefe aus, um per elektrischer Wärmepumpe die Heizungswärme für Wohnungen zu gewinnen. Stößt man in Bereiche jenseits der 3.500 Meter vor, findet man Temperaturen von über 100 Grad Celsius. Damit kann man klassische Fernwärmenetze bedienen, die bisher über fossile Energieträger versorgt werden.

Manchmal kommt aber auch alles ganz anders – wie in Aachen, wo eine Bürgerstiftung nicht im Untergrund, dafür aber sprichwörtlich «dicke Bretter» bohren musste. Bis kurz vor Weihnachten 2017 unverhofft die Mühe belohnt wurde, für die Nutzung einer besonderen Spielart der Geothermie zu werben.

 

Zwei Männer und eine junge Frau lehnen rechts und links einer Thermalquelle, deren Wasser aus einem Metallschlitz hervorsprudelt.
Ulrich Lieser, Eva Stock und Axel Meßling von der «Bürgerstiftung Lebensraum Aachen» Foto: Annette Etges

70 Grad, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr

Basis der epochalen Beliebtheit Aachens ist eine glückliche Laune der Geologie: Während man sonst auch Thermalwässer erst durch Bohrungen erschließen muss, sprudelt es hier ohne menschliches Zutun. Regen, der auf die Nordeifel fällt, versickert, erwärmt sich in vulkanischer Tiefe und speist – durch Gesteinsbrüche an die Oberfläche gelenkt – insgesamt 30 Quellen. Deren heißeste sind die Landesbad- und Schwertbadquelle mit über 70 Grad Temperatur und stündlich mehr als 60.000 Litern Ausstoß: rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr.

Wie man diesen Schatz außerhalb der Gesundheitsbrunnen energetisch nutzen könnte, fragten sich interessierte Aktive der «Bürgerstiftung Lebensraum Aachen». 2005 gegründet, kümmert sie sich um eine breite Palette lokaler und regionaler Themen: Bildung und Kultur, Jugend und Senioren, Integration und Denkmalpflege. «Natürlich gehört der Umweltschutz dazu», sagt ihr Vorstandsmitglied Ulrich Lieser. Und weil man über die Zeit mitbekam, «dass die thermale Energie immer stärker ins Hintertreffen geriet, musste mal gegengesteuert werden. Diese Erdwärme nicht zu nutzen ist einfach ignorant.»

Neue Dynamik durch die Braunkohle-Diskussion

Das Kohlekraftwerk Weisweiler, das Fernwärme nach Aachen liefert, muss mittelfristig ersetzt werden. Foto: Annette Etges

Seit zehn Jahren «bohrt» eine Arbeitsgruppe der Stiftung an dem Thema, macht Vorschläge, organisiert Veranstaltungen und Führungen, richtete im Vorraum der Kaiserquelle sogar ein kleines Museum ein. Und stupst immer wieder lokale Politik, Stadtverwalter und die Stadtwerke Aachen (Stawag) an. «Eine direkte Rückmeldung haben wir bis heute nicht bekommen.» Möglicherweise, weil Stadt und Stawag bisher auf Fernwärme aus dem Braunkohlekraftwerk in der Region setzten und die Nutzung der Thermalenergie als wenig lohnend einschätzten. «Mit der CO2-Diskussion um die Braunkohle ist natürlich eine neue Dynamik im Spiel», freut sich Lieser, «und es ist auch absehbar, wann das Kraftwerk Weisweiler keine Wärme mehr liefern wird.»

Die Stiftung hat es verstanden, Wissenschaftler der RWTH Aachen mit ihrem Sachverstand in die Diskussion einzubinden. Am Forschungsinstitut für Wasser- und Abfallwirtschaft der Hochschule ist es beispielsweise Dr. Henry Riße, der Nutzungsoptionen so erklärt: «50 Grad heißes Thermalwasser – so viel liefern hier im Minimum fast alle Quellen – erlauben 45 Grad Entnahmetemperatur. Das ist für normale Konvektor-Heizkörper zu wenig. Aber bei Fußbodenheizungen im Neubau sieht das ganz anders aus, die brauchen nur 35 Grad. Und wenn man auch noch Wärmepumpen einsetzt, ist sogar eine Mehrfachnutzung hintereinander möglich. Das alles ist kein Hexenwerk.»

Eine echte Alternative – deutschlandweit

Mit warmen Quellen zu heizen, funktioniert längst in der Praxis, wie eine Bestandsaufnahme des Hannoverschen Leibniz-Instituts für Angewandte Geophysik zeigt: Die Datenbank «GeotIS» listet 166 Thermalquellen in Deutschland auf, von denen 61 eine Wärmeversorgung von Gebäuden als Neben- oder sogar Hauptzweck ausweisen. Vornehmlich in Süddeutschland sprudeln die Quellen, aber auch Kommunen wie Arnsberg, Neuruppin oder Wiesbaden finden sich auf der Liste. In der hessischen Landeshauptstadt heizt der «Kochbrunnen» Wohnungen im ehemaligen Palasthotel und eine weitere Nahwärme-Insel.

Klassizistische Säulenhalle mit zwei Wandelgängen rechts und links
Im «Elisenbrunnen» fließt das 52 Grad Celsius warme Wasser der Kaiserquelle. Foto: Annette Etges
Außenschwimmbecken im Winter, aus vier Wasserhähnen ergießt sich das dampfende Thermalwasser in das Becken
Die Außenanlage der Carolus-Therme  Foto: Annette Etges
Durch einen Spiegel sieht man in das Innere des gekachelten Brunnens, der mit Plexiglas abgedeckt ist
Der Kaiserbrunnen: Im Spiegel sieht man die Öffnung der Quelle. Foto: Annette Etges
Ein Heizraum mit Rohren, Kesseln und Pumpen
Aus dem Verteilerraum wird die Wärme in den Neubau und das alte Landesbad geleitet. Foto: Annette Etges
Ein freundlich in die Kamera blickender Mann mit grauen Haaren und Brille
Ulrich Lieser vor den Aufbereitungskesseln der Kaiserbades Foto: Annette Etges

Problem: Korrosion und Abwassergebühren

Über längere Zeit gehörte dort sogar das Rathaus zu den Wärmeabnehmern. Die Versorgung sei derzeit aber abgestellt, bedauert Gunnar Feuerbach vom städtischen Bäderbetrieb Mattiaqua. Der Grund: «Je größer die Tiefe, aus der das Thermalwasser kommt, desto stärker sein Salzgehalt, und umso aggressiver ist das Wasser. Wärmetauscher und Pumpen müssen dann aus Titan oder Bronze sein. Im Moment ist es für uns ein wirtschaftliches Problem. Öl ist fast gleich teuer, Erdgas aber günstiger.» Ein weiteres Manko ist der skurrile Umstand, dass Thermalwasser, dem kein Stoff hinzugefügt und über Tauscher nur Wärme entzogen wird, rechtlich als Abwasser gilt. Und – hier – 59 Cent pro Kubikmeter Gebühr extra kostet. Zwar hatte die SPD-/FDP-Bundesregierung schon 1980 im Anzapfen der Aachener Thermalwärme «einen begrüßenswerten Beitrag zur Energieeinsparung» erkannt. Aber an der Rechtslage wurde nichts geändert.

Heizenergie für 500 Wohnungen – und mehr

Im alten Kaiserbad Aachen ist der Salzgehalt freilich deutlich niedriger. Und wirtschaftlich wäre die Nutzung auch, hat Caroline Schroeder in einer Bachelor-Arbeit an der RWTH Aachen vorgerechnet. Zusammen mit Henry Riße stellte sie im Frühjahr 2017 in einer Bürgerveranstaltung vor, dass sich der Energiegehalt der vier größten lokalen Quellen auf gewinnbare 3,5 Megawatt Leistung addiere – damit könnte man durchaus 500 Wohnungsneubauten beheizen. Damit nicht genug: Auch der Pfarre Franziska von Aachen schlugen die beiden vor, den alten Gasheizkessel der Kirche St. Foillan durch Thermal-Nahwärme zu ersetzen. Kostenvorteil ohne Fördermittel: etwa 12.500 Euro pro Jahr. Dem Vernehmen nach überlegen die Gremien der Pfarre noch. Denn zunächst wären Investitionskosten von geschätzt 170.000 Euro aufzubringen.

Die mit der besten Erfahrung sollen es auch machen.

Ulrich Lieser, Vorstand der Bürgerstiftung Lebensraum

Freudig überrascht wurden alle Aktiven pünktlich zum Advent: Da gingen Stawag und der Reha-Badbetreiber «Salvea» mit der Mitteilung an die Öffentlichkeit, ab 2018 nacheinander Teile des Schwertbad-Gebäudes, einer angrenzenden Rheumaklinik sowie ein neues Quartier mit Wohnungen und Ärztehaus mit Wärme aus der Landesbadquelle zu versorgen. Dafür sollen – so verkündete Wolfgang K. Hoever als Chef der Salvea-Muttergesellschaft Inoges AG – 2,5 Millionen Euro Eigenmittel in die Hand genommen werden. Derzeit muss das heiße Wasser sogar mit einem kalten Bach vermischt und abgekühlt werden, damit man im Schwertbad überhaupt baden kann. Das sei doch anachronistisch, findet Hoever.

Dieser Neubau ist Teil des Quartiers, das mit Thermalwärme versorgt werden wird. Foto: Annette Etges

In der Pressemitteilung fehlte freilich auch der kleinste Hinweis auf die jahrelange Vorarbeit der Bürgerstiftung. «Rückendeckung ist immer gut», schmunzelt Stawag-Sprecherin Eva Wußing nach dem geglückten Finale. «Aber wir mussten auch die Abnehmer für die Wärme finden.» Stiftungsvorstand Ulrich Lieser grämt sich nicht über die Entwicklung. «Es sollen diejenigen das Projekt umsetzen, die über die beste Erfahrung verfügen. Das muss nicht zwangsläufig eine Bürgergesellschaft sein. Die Hauptsache ist: Es wird umgesetzt.»

Übrigens: Aus heißem Thermalwasser lässt sich neben Wohnwärme auch lupenrein emissionsloser Strom erzeugen. Das geschieht gegenwärtig an sieben Standorten in Deutschland mit einer Leistung, die für 50.000 Familienhaushalte reicht. Deutschlands bisher größtes Geothermiekraftwerk ging Anfang 2014 südlich von München in den Regelbetrieb. Aus mehr als 4.000 Metern Tiefe fördert man 140 Grad heißes Wasser, mit dem eine Dampfturbine angetrieben wird. Sie allein versorgt mittlerweile 16.000 Haushalte und sie soll auch nicht die letzte sein.

21. März 2018 | Energiewende-Magazin