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Eidgenossen steigen sich aufs Dach

Ein Bericht von Petra Völzing

Eine Energiegenossenschaft in Bern realisiert bezahlbare Photovoltaikanlagen am Laufmeter – gegenseitige Hilfe macht das möglich.

Der Wind bläst ordentlich auf dem Dach des Einfamilienhauses in Boll nahe Bern. Das Gerüst quietscht, Schutzplanen knattern. Das alles ficht Hausherrn Roger Spycher nicht an. Gemeinsam mit seinem Bauleiter und Planer Martin Kohli von der Energiewendegenossenschaft (EWG) schraubt er Haken auf die Lattung und setzt dann ein Photovoltaikmodul nach dem anderen auf sein Dach. Die beiden Geschäftsführer der EWG, Niels Mahler und Syril Eberhart, stehen ebenfalls im Wind, um sich ein Bild vom Fortschritt des Projekts zu machen.

Die Laune ist bestens, es wird gelacht und geplaudert. Da oben zu arbeiten macht auch Spaß, denn von dort ist der Rundblick bis zu den Berner Alpen überwältigend. Es ist bereits später Nachmittag. Roger Spycher ist gerade erst von seinem Job als stellvertretender Geschäftsführer eines großen Logistikunternehmens zurückgekommen und hat sich sofort in die Arbeitsklamotten geschmissen. Vor drei Tagen haben sie mit der Installation der Photovoltaikanlage begonnen, die Hälfte der Module sitzt, heute Abend sollen bereits alle 56 Module installiert sein.

Testanlage auf dem elterlichen Dach

Auf dem Dach arbeiten die drei Männer zusammen an der Installation der Solaranlage.
Roger Spycher setzt seine PV-Anlage selbst aufs Dach. Syril Eberhart und Martin Kohli helfen ihm. Foto: Maximilian Lederer

Roger Spycher gehört das großzügige Haus mit Pool seit 17 Jahren. Zug um Zug hat er es gemeinsam mit seiner Frau Cornelia renoviert. Nun war das Dach dran. «Ich habe da vier Tonnen Eternitplatten runtergeschafft», erzählt er schmunzelnd. Für die Photovoltaikanlage holte er viele Offerten ein. «Ich bin jedes Mal erschrocken über den Preis», sagt er. Dann ist er im Internet auf die Energiewendegenossenschaft gestoßen. «Tatsächlich ist es in der Schweiz problematisch, kleinere Anlagen zu realisieren.»

«Die Kosten sind bei konventionellen Installateuren so hoch, dass sich diese nicht rentieren», sagt Syril Eberhart, der die EWG 2013 gegründet hat. Der überzeugte Verfechter der Energiewende kam bereits während seines Studiums der Elektrotechnik auf die Idee, die Installation von PV-Anlagen genossenschaftlich und im Selbstbau zu organisieren, um Kosten zu sparen und auch kleine Anlagen wirtschaftlich zu machen. Sein Ziel: Eine Zehn-Kilowatt-Peak-Anlage für unter 10.000 Schweizer Franken.

Der Student machte sich schlau und baute 2012 im Selbstversuch die erste Anlage auf das Dach seines Elternhauses in Spiez. Es folgten drei weitere. 2013 schloss er sein Studium ab und gründete gemeinsam mit sieben Mitstreitern die Energiewendegenossenschaft. Richtig durchgestartet sind sie ein Jahr später, denn der Gründer war zunächst auf Reisen. 

Ihr Prinzip: Wer mit der EWG eine PV-Anlage realisieren will, muss Mitglied der Genossenschaft werden. Die Anlage wird dann von einem Planer der EWG konzipiert und unter dessen Anleitung im Selbstbau umgesetzt. Die EWG stellt dafür den notwendigen Planer zur Verfügung. Für die Installation einer Anlage mit zehn kW-Peak rechnet die EWG mit 70 Arbeitsstunden.

Kann der Bauherr oder die Bauherrin die Zeit nicht aufbringen, so greifen ihnen andere, bereits erfahrene Selbstbauer und Selbstbauerinnen unter die Arme. Diese Stunden müssen sie dann wiederum bei nachfolgenden Selbstbauern abarbeiten. Ist das innerhalb von zwei Jahren nicht geschehen, so werden von der Genossenschaft 50 Schweizer Franken pro Stunde in Rechnung gestellt, ein recht bescheidener Stundensatz. 

«Das Prinzip funktioniert sehr gut», sagt Planer Kohli, die Bauherren würden überwiegend ihre Stunden leisten. Die EWG besorgt auch die notwendigen Materialien und erhebt eine Marge von lediglich fünf Prozent. Das Geld braucht sie für Administration, Versicherungen und Rückstellungen für Garantiefälle. 

Die vier EWG-Genossen stehen auf dem Dach.
Das Team bespricht den Stand der Bauarbeiten. Foto: Maximilian Lederer
Roger Spycher hält ein Solar-Modul, zwei andere inspizieren es vor dem Platzieren.
Martin Kohli bereitet das nächste Modul vor. Foto: Maximilian Lederer
Ein Solar-Modul wird auf die Dachbalken aufgelegt.
Roger Spycher setzt das Modul an seinen Platz. Foto: Maximilian Lederer
Mit Hilfe einer Schablone werden die Befestigungspunkte angezeichnet.
Beim Platzieren der Schrauben ist Präzision gefragt. Foto: Maximilian Lederer
Eine Schablone wird weitergereicht.
Die Hälfte der Module ist installiert. Foto: Maximilian Lederer
Ein Wechselrichter im Keller eines Hauses
Der Wechselrichter hängt bereits. Foto: Maximilian Lederer
Niels Mahler vor den Berner Hügeln
Niels Mahler, Geschäftsführer der EWG Foto: Maximilian Lederer
Syril Eberhart schaut in die Kamera.
Syril Eberhart, Gründer der EWG Foto: Maximilian Lederer
Martin Kohli lacht in die Kamera, mit verschränkten Armen und voller Tatendrang.
Planer Martin Kohli Foto: Maximilian Lederer

Mit dem Konzept sind wir in eine echte Marktlücke gestoßen.

Syril Eberhart, Gründer und Vorstand der EWG Bern

Schon bei der ersten Infoveranstaltung rannten die Interessenten der EWG die Türen ein. Die junge Organisation startete quasi von Null auf Vollauslastung. Inzwischen haben die Genossen 150 Anlagen auf Schweizer Dächer gehoben, und es werden immer mehr. Der Planerstab ist auf elf Personen angewachsen, Tendenz steigend.

Auch die Schweizer kürzen PV-Förderungen

Für eine kurze Kaffeepause sind die Solararbeiter in die schicke Küche der Familie Spycher gewechselt. Dort backt Cornelia Spycher mit den beiden Töchtern gerade einen Kuchen fürs Schulfest. Roger Spycher ist zufrieden mit dem Arbeitsfortschritt. «Ich muss das sehr genau planen und auch Urlaubstage nehmen», sagt er. Und er hat Glück gehabt, das Wetter hat recht gut mitgespielt. Spycher hat entschieden, alles selbst zu machen und keine Hilfe von anderen Genossen in Anspruch zu nehmen. Ursprünglich wollte er sein gesamtes Dach mit 30 kW bestücken. Nun sind es doch nur 10 Kilowatt. «Der Grund dafür sind Änderungen des lokalen Energieversorgers», erklärt Planer Kohli. Dieser kürzte die Einspeisevergütung von neun auf vier Rappen, was schweizweit der tiefste Tarif ist.

Seit 2009 gibt es in der Schweiz eine kostendeckende Einspeisevergütung, hier hat sich allerdings eine Warteliste mit aktuell 37.000 Projekten gebildet, sodass es unwahrscheinlich ist, in den Genuss dieser Vergütungsform zu kommen. Roger Spycher hat sich daher für die Einmalvergütung entschieden. Diese gibt es in der Schweiz für Anlagen mit einer Leistung mit weniger als 30 Kilowatt. Aber auch diese Vergütung wird Jahr für Jahr zurückgefahren. Aktuell erhält ein Bauherr so noch maximal 30 Prozent der Investitionen zurück.

Inzwischen entscheiden sich auch Bauherren großer Anlagen gegen die Einspeisevergütung und für die Einmalvergütung. Dabei war es die Schweizer Kleinstadt Burgdorf, die das Konzept der Einspeisevergütung bereits 1991 – noch vor den Deutschen – als erste eingeführt hat.

Abenteuer beim Kabelziehen

Die Familie Spycher mit ihren beiden kleinen Kindern und einem Hündchen vor idyllischer Landschaft
Familie Spycher baut eine Solaranlage mit der EWG. Foto: Maximilian Lederer

Was den Eigenverbrauch des Stroms angeht, ist Roger Spycher sehr ambitioniert: «Im Durchschnitt verbrauchen Anlagenbesitzer ein Drittel des erzeugten Sonnenstroms selbst, da möchte ich deutlich drüber», sagt er. Die Familie will Geschirrspüler und Waschmaschine dann laufen lassen, wenn die Sonne scheint. Auch die E-Bikes werden entsprechend geladen.

Ein Dorn im Auge ist ihm jetzt noch seine Elektroheizung. Die wird er im Herbst durch eine Wärmepumpe ersetzen, die dann auch mit der Photovoltaikanlage betrieben werden soll. Der Trupp steigt wieder aufs Dach und überprüft noch mal die Verkabelung. «Gestern haben wir die Kabel zum Wechselrichter im Keller gezogen», erzählt Martin Kohli, «das war schwieriger als gedacht. Geplant war, die Kabel durch die Wasserleitung der Solarthermie zu ziehen, die davor auf dem Dach installiert war. «Es hat sich herausgestellt, dass da noch Ventile dazwischen waren», sagt der Bauherr und lacht – das habe er nicht gewusst. Die beiden haben das Problem aber gelöst.

Ich bin froh, dass ich durch den Selbstbau meine Anlage jetzt auch sehr genau kenne.

Roger Spycher

Die eigene Anlage bis ins Detail zu kennen, sei auch für viele andere Selbstbauer eine wichtige Motivation, ihr Projekt mit der EWG umzusetzen, bemerkt Niels Mahler. Für den Einstieg bietet die Genossenschaft Einführungskurse in den Selbstbau an. Auch diese Kosten können mit Arbeitsstunden abgegolten werden. So hat auch Niels Mahler angefangen, der nebst der Planer-Ausbildung der EWG zudem auch den Zertifikatslehrgang (CAS) «Photovoltaik und Solarthermie im Gebäude» der Hochschule Luzern absolviert hat.

Die Planer-Ausbildung der EWG ist Voraussetzung dafür, dass ein Planer im Namen der EWG Anlagen konzipieren darf. Teil dieser Ausbildung ist, dass ein Experte den Planer bei der Konzipierung und Realisierung der Anlage begleitet und somit eine Patenfunktion ausübt, erklärt Syril Eberhart.

Die EWG legt viel Wert darauf, alle Vorschriften genau einzuhalten, das gilt natürlich auch für die Baustellensicherheit und den notwendigen Versicherungsschutz. «Wir wissen, dass uns die normalen Installateure sehr genau auf die Finger schauen, da wollen wir uns keinesfalls etwas zuschulden kommen lassen», sagt Syril Eberhart. Es gebe aber durchaus auch Installateure, die sie nicht als Konkurrenz begreifen und sogar Aufträge weiterleiten. Die Idee verbreitete sich über Mund-zu-Mund-Propaganda und Berichte in der Presse – der Andrang ist groß, sodass die jungen Genossen noch nicht viel Werbung machen mussten.

Ein Genossenschaftsnetz entsteht

Syril Eberhart blickt nach links in die Landschaft.
Syril Eberhart, Gründer und Vorstand der Energiewendegenossenschaft Foto: Maximilian Lederer

Syril Eberhart wundert das nicht sehr. Er macht sich auch schon Gedanken darüber, wie die Genossenschaft in Zukunft mit diesem Andrang umgehen soll. Zurzeit ist er dabei, in anderen Kantonen die Gründung weiterer Genossenschaften anzustoßen. Die zweite Genossenschaft startete Anfang des Jahres in Winterthur. Schon jetzt sind 60 Genossenschaftler dabei und neun Planer in Ausbildung. Weitere Genossenschaften entstehen im Züricher Oberland und in Neuchâtel. Der junge Gründer zieht sich allerdings wieder auf Zeit zurück.

Für ihn steht eine weitere einjährige Weltreise an, natürlich über Land und Wasser, Fliegen kommt für den Klimaschützer nur im äußersten Notfall infrage. Syril Eberhart denkt aber auch schon an die Zeit danach. Angedacht ist eine Art Dach-Genossenschaft, die alle vernetzt, sodass die Genossen noch stärker voneinander profitieren können – im Grunde der Urgedanke genossenschaftlichen Handelns.

 

Auf einem Dach posieren vier Mitglieder der EWG mit verschränkten Armen.

Die Energiewendegenossenschaft (EWG) unterstützt ihre Mitglieder dabei, sich selbst eine Photovoltaikanlage zu installieren. Sie wurde 2013 gegründet und sitzt in Bern. Um auch in anderen Regionen der Schweiz den Bedarf zu decken, werden derzeit weitere Genossenschaften gegründet, unter anderem in Winterthur und Neuchâtel.

Internetauftritt der Genossenschaft

25. Juli 2017 | Energiewende-Magazin