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Fukushima – Leben mit dem unsichtbaren Tod

Der Dokumentarfilmer Thorsten Trimpop im Gespräch mit Anne Backhaus

Was bedeutet es, wenn die eigene Heimat verseucht ist? Der Film «Furusato - Wunde Heimat» begleitet Menschen in Japan bei ihrem Alltag im Strahlengebiet.

Im März 2011 wird die Küste Japans von einer Dreifachkatastrophe heimgesucht. Auf Erdbeben und Tsunami folgt der Atomunfall. Das Ausmaß der Zerstörung ist nur schwer begreiflich, die Folgen des Reaktorunglücks sind lange unklar. Nun, genau sieben Jahre nach der Katastrophe, läuft der preisgekrönte Dokumentarfilm «Furusato – Wunde Heimat» im Kino. Der Regisseur Thorsten Trimpop hat über einen Zeitraum von vier Jahren immer wieder die Stadt Minamisoma besucht und einige ihrer Bewohner begleitet.

Minamisoma befindet sich rund 30 Kilometer nördlich des zerstörten Atomkraftwerks in der Präfektur Fukushima. Die japanische Regierung wirbt zwar dafür, dass die Bewohner zurückkehren, doch noch immer ist die Strahlung dort gefährlich hoch. In manchen Teilen so hoch, dass sie weiterhin unbewohnbar sind.

Nach der Nuklearkatastrophe flohen Tausende aus ihrer Heimat, manche aber sind freiwillig geblieben – oder in die verlassenen Häuser zurückgekehrt. Einige, weil sie nicht wissen, wo sie sonst hinsollen. Einige, weil es eben ihre Heimat ist. Im Hamburger Abaton-Kino spricht Trimpop vor der Premiere seines Films über die Dreharbeiten, die Menschen, denen er durch ihren neuen Alltag gefolgt ist – und die stille Tragik einer verstrahlten Landschaft.

 

Zwei Männer mit Messgeräten knien in Schutzanzügen hinter einem Rettungswagen, im Vordergrund steht ein Mann, der sie beobachtet.
Foto aus dem Film «Furusato – Wunde Heimat»

 

Herr Trimpop, ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe haben Sie begonnen, in Japan zu drehen. Sie haben mehrere Menschen begleitet, die in Gebieten mit hohen Strahlenwerten leben. Was hat Sie dazu gebracht?

Als die Katastrophe passiert ist, habe ich in Berlin gelebt und alles im Fernsehen und in den Medien verfolgt. Ich war schockiert. Da war auch diese Panik, die mich ganz stark an die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl erinnerte. Damals war ich ein Kind, aber ich kann mich gut daran erinnern, wie machtlos ich mich gefühlt habe. Als Kind wusste ich nicht, was ich machen kann, aber 2011 dachte ich mir: Du bist jetzt Filmemacher. Du kannst es zumindest abbilden.

Was genau wollten Sie abbilden?

Die Berichterstattung war ja relativ schnell vorbei und die Filmteams aus aller Welt sind weitergezogen. Klar, es ging noch um den Reaktor, aber man hat nur noch wenig von den Leuten aus der Evakuierungszone gehört. Ich habe mich gefragt, was ist denn aus diesen Hunderttausenden Menschen geworden? Damals träumte ich nachts oft von einem Foto, das meine Oma zeigt, als sie aus Breslau floh. Sie war im Zweiten Weltkrieg eine junge Frau, und es müssen ihr schreckliche Dinge passiert sein. Sie hat darüber nie gesprochen. Auf dem Foto steht sie da mit einem Koffer in der Hand, wie im Nichts. Wie die Leute aus Fukushima, die hatten auch nur immer einen Koffer in der Hand.

Nach der ersten Evakuierung sind viele Japaner trotz hoher Strahlenwerte in ihre Heimatorte in Reaktornähe zurückgekehrt, manche sind nie geflohen. Sie stellen mit Ihrem Film die zentrale Frage, warum Menschen an einem Ort leben, der sie wahrscheinlich umbringt. Ist das eine Frage, die Sie von Anfang an begleitet hat?

Eine Gruppe vornehmlich älterer japanischer Menschen mit skeptischem Blick
Foto aus dem Film «Furusato – Wunde Heimat»

Nein, diese konkrete Frage entstand erst später. Mich hat zuerst die Beziehung der Menschen zu der Landschaft beschäftigt. Diese Beziehung stellt gleichzeitig viele Fragen. Was bedeutet Heimat? Was die Verbundenheit zu ihr? Daher auch der Filmtitel: «Furusato». Das Wort bedeutet Heimat. Auf einer tieferen Ebene meint es aber außerdem die erste Landschaft, die ein Mensch sieht, wenn er geboren wird. Und die letzte, die er sehen will, bevor er stirbt. Das ist Furusato. Das hat mich umgehauen. Das ist genau das, worum es geht.

Menschen in der Geisterstadt

Wie sind Sie vorgegangen?

Viel hat sich aus den Umständen ergeben. Eigentlich wollten zwei deutsche Fernsehanstalten den Film mitproduzieren, die sind aber ausgestiegen, als ich in Japan angekommen war. Damals kam die Vorankündigung für die Berlinale raus, und da waren eben 2012 schon Filme zu Japan angekündigt. Und dann haben die sich zurückgezogen. Ich habe an diesem Tag viel Sake getrunken und vier Zigaretten geraucht. Dann habe ich gedacht: Die können mir das nicht nehmen, diesen Film zu machen. Ich hatte die Kamera schon dabei, und so habe ich schließlich ohne Unterstützung, nur mit einem Assistenten angefangen. Es war eine enorme Herausforderung. Ich hatte noch nie alleine einen Film gemacht und war plötzlich auch noch für die ganze technische Seite verantwortlich. Es hat aber funktioniert. Die Nähe zu den Protagonisten und der sehr persönliche Blick meines Films wurzeln darin.

Japaner gelten aufgrund ihrer Kommunikationskultur als Menschen, die sich nicht unbedingt schnell öffnen. Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden?

Zuerst habe ich einen Aktivisten begleitet, über den ich auch auf diese verrückte Stadt Minamisoma aufmerksam geworden bin.

Minamisoma liegt im Distrikt Fukushima und ist eine geteilte Stadt. Der eine Teil befindet sich in der evakuierten Sperrzone um das Atomkraftwerk, der andere gilt weiterhin als bewohnbar.

Diese Grenzziehung ist absurd. Und sie ist interessant, weil man da einen Mechanismus erkennt, wie wir Menschen mit solchen Vorkommnissen umgehen. Man denkt ja schnell, na gut, das sind halt die Japaner. Ich glaube aber, in Deutschland wäre das gar nicht so anders. Beim ersten Dreh war ich viereinhalb Monate in dieser Stadt, und sonst waren kaum Menschen dort – inzwischen sind es knapp 60.000. Ich habe über die Jahre auf verschiedene Weise die Hauptpersonen meines Films gefunden. Der junge Musiker lief zum Beispiel mit zwei Freunden, alle Schutzmasken auf dem Gesicht und Gitarren auf dem Rücken, die Straße runter. Mitten in dieser Geisterstadt. Als ich ihn fragte, wo sie hingehen, hat er ganz schüchtern erzählt, dass sie eine Punkband haben und auf dem Weg zur Probe sind.

Die Probe ist auch eine Szene im Film.

Genau, das war sogar die erste, die ich mit ihm gedreht habe. An diesem Abend. Das ist eine interessante Erfahrung für mich gewesen. Da ich ja kein Japanisch spreche, musste ich mich von meiner Intuition leiten lassen. Und die ist da ganz wach geworden. Ich hatte ein gutes Gespür, was interessant werden könnte. Vieles, was wir gedreht haben, hat es aber nicht in den Film geschafft.

 

Video-Vorschau

Der Trailer zum Film «Furusato – Wunde Heimat»

Ein weinender Tepco-Angestellter

Ein Mitarbeiter der Reaktorbetreiberfirma Tepco hat es in den Film geschafft und weint vor der Kamera. Das wirkt durchaus befremdlich. Warum wollten Sie ihn zeigen?

Tja, da weiß man nicht, ob das nun echte Tränen sind oder nicht. Den brauchte der Film aber, weil ich mich nicht nur auf eine Opferperspektive konzentrieren wollte. Das würde es zu sehr vereinfachen. Den Tepco-Mann zu finden, war hingegen gar nicht einfach. Nach vielen Anfragen, als ich eigentlich schon aufgegeben hatte, konnte ich ihn plötzlich in Cambridge treffen. Er war da, um einen Vortrag zu halten. Ich dachte nur, was mache ich bloß mit diesem Typen? Ich kann den doch nicht über den Unirasen laufen lassen und dann sagt der da was.

Im Film hält er nun einen Vortrag ohne Publikum. Das wirkt fast verrückt.

Ja, das ist völlig gaga. Ich dachte aber, was anderes bekomme ich von dem wahrscheinlich sowieso nicht, dann mache ich es eben extrem. Also habe ich ihn in seinem Hotel in einen Konferenzraum gesetzt, und er hat den Vortrag gehalten, mit dem er an den amerikanischen Unis unterwegs war. Da sitzt er alleine an einem Tisch und keiner hört ihm zu. Und plötzlich fängt er an zu heulen. Das war einer der merkwürdigsten Momente der gesamten Dreharbeiten. Ich hatte einen Freund dabei, der den Ton gemacht hat, und danach saßen wir zusammen im Auto, haben uns angesehen und nur gesagt: Was war das denn?

Es ist ja schon eine Entscheidung, so eine Person in den Film zu nehmen und einfach für sich stehen zu lassen. Wie haben Sie die getroffen?

Er war immer wieder drin und wieder raus. Im Schnitt hat sich dann aber einfach gezeigt, dass diese Szene total gut ist. Er springt ja sogar in die erste Person und beschreibt die Katastrophe so, als ob er im Reaktor gewesen ist. Er war gar nicht da, das waren seine Mitarbeiter, aber er sagt: «ich».

Ihr Film verzichtet auf einen Sprechertext. Warum wollten Sie solche Momente nicht erklären?

Das war nie eine Option. Das wusste ich auch schon beim Drehen. Ich mag solche Filme eben nicht, die sind für mich kein Film, sondern Fernsehen. Die einzige Möglichkeit ist, es essayistisch zu kommentieren, aber auch das wäre nicht mein Film gewesen. Die Gedanken, die ich hätte beisteuern können, wären zu eindeutig. In den Bildern steckt so immer noch etwas Geheimnisvolles, was auch ich nicht fassen kann.

 

Thorsten Trimpop, gestikulierend, in einer Gesprächssituation
Foto: Burkhard Peter

Mich hat dieser Film stark verändert. Er hat mich furchtlos gemacht.

Thorsten Trimpop

Zurück zu der Ausgangsfrage: Warum leben Menschen in einer Landschaft, die für sie eine tödliche Gefahr bedeutet?

Das ist ganz simpel: Weil sie die Gefahr nicht sehen können. Sie ist unsichtbar und leicht zu ignorieren. Du lebst da die ganze Zeit mit dem Gefühl: Vielleicht ist es schlimm, vielleicht geht es aber ja auch. Das macht einen auf die Dauer komplett irre.

Wird so eine Lebensbedrohung auf eine Art auch normal?

Leider ja, das ging mir auch so. Bei den letzten Dreharbeiten war ich in der Fünf-Kilometer-Zone um das Kraftwerk, und 100 Meter vom Reaktor entfernt bin ich aus dem Auto gestiegen und habe das Stativ aufgebaut. Da hat meine Assistentin gesagt: «Ich steige hier nicht aus und du hörst jetzt auf.» Das war gut. Ich war wie besessen von der Idee, dass ich da unbedingt filmen muss. Im ersten Jahr hatte ich zum Glück auch einen sehr strengen Assistenten. Der hat immer gesagt: «Du kannst das nicht essen und nein, auch kein Wasser hier trinken.»

Wie haben Sie sich geschützt?

Manchmal habe ich einen Ganzkörperanzug getragen, aber meistens habe ich nur meine Schuhe nach jedem Dreh entsorgt. Ich habe nicht geduscht und hatte immer eine Atemmaske auf, weil die innere Kontamination die größte Gefahr ist. Mich hat dieser Film stark verändert. Er hat mich furchtlos gemacht. Ich kann mir wenig vorstellen, vor dem ich noch Angst hätte, es zu drehen. Japan war zu extrem.

Viele der Menschen in Ihrem Film schützen sich gar nicht mehr. Fürchten Sie um deren Tod?

Auf jeden Fall. Ich wünschte, ich könnte es ändern. Sie leben dort aber auf ihre Weise so entschieden, davon bringt sie nichts ab.

Das Filmplakat zu «Furusato – Wunde Heimat» zeigt eine Flusslandschaft, das Wasser ist gelblich; eine Absperrung verläuft durchs Wasser und über die Uferböschung.

Am 8. März 2018 startete der Dokumentarfilm in ausgewählten Kinos in Deutschland. Wann und wo «Furusato – Wunde Heimat» läuft sowie weitere Informationen finden Sie auf der Webseite zum Film.

Der Kinoverleih wird von .ausgestrahlt, der HALEAKALA Stiftung und den EWS unterstützt.

 

Der Wahnsinn der Atomkraft

In einer Szene weint die Frau eines Zen-Priesters und spricht von dem Irrsinn, dass ausgerechnet in Japan, das den ersten und bislang einzigen Einsätzen von Atomwaffen ausgesetzt war, überhaupt Atomkraftwerke betrieben werden.

Das Tolle an dem Moment ist, dass sie das da auch zum ersten Mal gedacht hat. Oder vielleicht zum ersten Mal laut gesagt. Es trifft sie, diese Erkenntnis, was für Idioten wir eigentlich sind. Warum machen wir das? Wir müssten es doch besser wissen. Alle sind immer noch schockiert, aber nachdem erst alle Atomkraftwerke heruntergefahren wurden, sind nun schon wieder fünf Kernreaktoren in Betrieb. Die Menschen haben damit auch das Vertrauen in ihren Staat verloren.

Was soll Ihr Film im besten Fall auslösen?

Ich hoffe, die Leute denken darüber nach, was das für eine Welt und für ein System ist, in dem wir leben. Die gesamte Atomindustrie ist eine Kriegsindustrie. Das sagt nur keiner. Die Atomkraft existiert nur, damit man Atomwaffen bauen kann. Das ist meiner Meinung nach der eigentliche Grund. In Japan versteht man, was für ein Wahnsinn das ist. Ich hatte diese Gedanken vorher nicht, die sind mir erst bei der Arbeit gekommen. Trotzdem soll mein Film nicht didaktisch sein. Es ist ein emotionales Werk, das haben ja auch einige Kritiker bemängelt.

Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, dass Sie sich zu wenig auf Fakten konzentrieren?

Den Vorwurf verstehe ich. Den Kritikern muss ich aber auch sagen: Dann ist das eben nicht dein Film. Du stellst dir etwas vor, wo es um Fakten geht. Mir ist aber das Emotionale viel wichtiger. Das bewegt die Leute. Faktisches Wissen kann man wegdrücken. Erlebt man etwas mit betroffenen Menschen, dann bleibt es.

 

Porträt von Thorsten Trimpop vor dem Berliner Kino fsk

Thorsten Trimpop, 1973 in Lüdenscheid geboren, ist ein deutscher Filmemacher. Er studierte an der Hochschule für Film und Fernsehen «Konrad Wolf» in Potsdam-Babelsberg und lebt heute in Chicago. Dort ist er Dozent an der «School of the Art Institute of Chicago».

Sein erster Film «Der irrationale Rest» feierte 2005 Premiere auf der Berlinale und erhielt weltweit zahlreiche Auszeichnungen. Sein neuer Film «Furusato – Wunde Heimat» ist ebenfalls mehrfach preisgekrönt, unter anderem auf dem Dok Leipzig Filmfestival 2016.

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10. März 2018 | Energiewende-Magazin