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«Bangladesch kann zum Vorbild werden»

Der Aktivist Jahangir Hasan Masum im Gespräch mit Sebastian Drescher

Die Klimakrise betrifft Bangladesch besonders. Gerade deshalb, so Jahangir Hasan Masum, sollte dort in eine nachhaltige Energiezukunft investiert werden.

Jahangir Hasan Masum weiß, welche Zerstörungskraft die Natur haben kann. Der 43-Jährige ist in Chitta­gong an der Küste Bangladeschs aufgewachsen. Im April 1991 überlebten er und seine Familie einen der stärksten Tropenstürme der Geschichte, bei dem 140.000 Menschen ihr Leben verloren. Heute leitet der Geologe und Umweltwissenschaftler die NGO «Coastal Development Partnership» (CDP). Die Organisation unterstützt betroffene Dorfgemeinschaften bei der Anpassung an den Klimawandel und engagiert sich für die Energiewende. Masum ist Aktivist und Netzwerker. Er hält Kontakt zu Politikern in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka und reist zu internationalen Klimakonferenzen.

Ende Juni ist Masum zu Besuch in Europa, um mit Politikern über die Situation in Bangladesch zu sprechen. Zum Interview treffen wir ihn in Berlin, in den Räumen von «Brot für die Welt», einem Partner von CDP. Zuvor hat der Klimaaktivist im Deutschen Bundestag an einem Parlamentarischen Frühstück zum Thema Energiepolitik und Entwicklungszusammenarbeit teilgenommen.

Jahangir Hasan Masum ist kein Typ lauter Töne, meist spricht er ruhig und überlegt. Aber das Zögern der internationalen Gemeinschaft, mehr für den Klimaschutz und die Betroffenen zu tun, macht ihn wütend.

 

Bengalisch aussehender Mann im grauen Anzug, gestikulierend im Gespräch
Foto: Burkhard Peter

Herr Masum, worüber haben Sie mit den Abgeordneten im Bundestag gesprochen?

Ich habe ihnen gesagt, dass sich Deutschland für eine Energiewende in Bangladesch einsetzen und Geld und Know-how dafür bereitstellen solle. Und dass Deutschland dies aus reinem Eigeninteresse tun sollte.

Wie meinen Sie das?

Unsere Wirtschaft wächst jedes Jahr mit sechs bis sieben Prozent. Bangladesch hat einen enormen Energiehunger. Wenn wir den weiterhin vor allem mit fossilen Energieträgern stillen, ist Bangladesch, was die Treibhausgasemissionen angeht, in 30 Jahren das neue Deutschland – während ihr bis dahin eure Emissionen deutlich reduziert habt. Das hilft dem Klimaschutz nicht. Deshalb habe ich den Abgeordneten gesagt, dass es im Interesse ihrer Enkel und Urenkel ist, uns bei einer nachhaltigen Energiewende zu unterstützen.

Hat Bangladesch nicht vor allem mit der Anpassung an den Klimawandel zu kämpfen?

Natürlich, das Argument bekomme ich auch oft von meinen Landsleuten zu hören. Die Anpassung ist ein großes Thema. Aber wir sollten aus den Fehlern anderer lernen und uns Gedanken machen, wie viel Energie wir brauchen. Und wie wir sie nachhaltig produzieren können – auch weil sich das auf lange Sicht wirtschaftlich rechnet.

Ihre Organisation arbeitet mit Menschen in den Küstenregionen. Wie wirkt sich die Erderwärmung dort aus?

Die meisten Küstenbewohner leben von Landwirtschaft und Fischfang. Die steigenden Wassertemperaturen führen dazu, dass es weniger Fische gibt. Das bedroht die Lebensgrundlage der Fischer. Ein anderes großes Problem ist die Erosion der Flussufer. Bangladesch hat rund 700 Flüsse, an deren Ufern Millionen Menschen leben. Die klimabedingte Gletscherschmelze im Himalaya und die häufiger werdenden Starkregen beschleunigen die Erosion. Jedes Jahr verlieren allein deshalb bis zu 200.000 Menschen ihren Grund und Boden. Viele ziehen dann in die großen Städte.

Welche Perspektive haben die Vertriebenen dort?

Viele haben keine Berufsausbildung und müssen sich in der Stadt als Rikschafahrer oder Tagelöhner durchschlagen. Sie ziehen in die Slums, die in allen großen Städten des Landes wachsen. Bis 2040 wird die Mehrheit der Bevölkerung in Städten leben, heute sind es 37 Prozent. Wir müssen daher die Urbanisierung besser steuern und dort die Lebensbedingungen verbessern. Bangladesch alleine kann das nicht schaffen. Aber wenn wir jetzt nicht damit anfangen, drohen später noch chaotischere Verhältnisse. Die Industrieländer sollten deshalb ihre Versprechen einhalten und uns dabei unterstützen.

Sollten die Industriestaaten, die mit ihren Emissionen den Klimawandel erst ausgelöst haben und nun weiter anheizen, Menschen aus Bangladesch als Klimaflüchtlinge aufnehmen?

Natürlich stellt sich die Frage, wohin die Menschen gehen sollen, wenn sie ihr Land verlieren. Der steigende Meeresspiegel wird in den kommenden Jahrzehnten viel Lebensraum zerstören, auch in Bangladesch. Dort leben heute über 160 Millionen Menschen auf einer Fläche, die nicht einmal halb so groß ist wie Deutschland. Die internationale Gemeinschaft muss sich darüber Gedanken machen. Allerdings lehne ich den Begriff «Klimaflüchtling» ab – der führt in eine falsche Richtung. Ich würde eher von Menschen sprechen, die vom Klimawandel zur Migration gezwungen werden.

Worin liegt der Unterschied?

Ein Flüchtling ist einer politischen Krise ausgesetzt, die kaum vorhersehbar ist. Der Klimawandel kommt schleichend. Man weiß ungefähr, wann die Menschen in bestimmten Küstenregionen oder auf den Inseln im Pazifik ihre Heimat verlieren werden, und kann sie da­rauf vorbereiten. Die Begriffe haben auch eine unterschiedliche politische Konnotation. Flüchtlingen fällt es oft schwerer, ihre Rechte einzufordern als Migranten, die legal ins Land kommen und sich dort ein neues Leben aufbauen. Aber um das zu gewährleisten, braucht es entsprechende Regeln. Die Vereinten Nationen müssten dafür den Rahmen schaffen.

Deckblatt einer IPPCC-CPD-Studie von 2019
«RENEWABLE ENERGY FOR BANGLADESH»

Gemeinsam mit «Brot für die Welt» und der Stiftung «World Future Council» hat die CDP eine wissenschaftliche Studie verfasst, die aufzeigt, wie Bangladesch bis 2050 komplett mit Strom aus Erneuerbaren versorgt werden kann. Im September 2019 stellte Jahangir Hasan Masum die Studie in Dhaka vor.

Die Studie kann hier heruntergeladen werden.

Zugleich haben sich mit dem Abkommen von Paris auch ärmere Länder zum Klimaschutz verpflichtet, die bislang am Pro-Kopf-Verbrauch gemessen relativ wenig Emissionen verursachen. Sie setzen sich dafür ein, dass Bangladesch bis ins Jahr 2050 komplett auf Ökostrom umstellt. Wie weit ist das Land heute davon entfernt?

Erneuerbare Energien haben bei uns nur einen Anteil von fünf Prozent am Strommix. Gut 60 Prozent des Strombedarfs decken die Gasvorkommen des Landes, 30 Prozent stammen aus der Verarbeitung von Schweröl und Kohle. Hinzukommt, dass rund ein Drittel der ländlichen Bevölkerung noch immer keinen Zugang zum Stromnetz hat.

Was stimmt Sie dann so optimistisch, dass Bangladesch die Energiewende schaffen kann?

Erneuerbare helfen, gleich mehrere Probleme zu lösen: Sie sorgen für Energiegerechtigkeit, lassen die Wirtschaft wachsen – und begrenzen zugleich den Klimawandel. Außerdem gehört es für viele Menschen in Bangladesch längst zum Alltag, ihren eigenen Strom zu produzieren. Ich bin überzeugt, dass Bangladesch zum Vorbild für andere Länder des Globalen Südens werden kann.

Auf einem sehr breiten Fluss, bei dunstigem Wetter, fährt ein schmales Boot mit drei Männern; geladen ist ein kleines Solarpanel.
Keine Straßen, kein Stromnetz: Solartechniker fahren mit einem Boot zu einer Insel im Fluss Jamuna. Solarstrom ist die einzige sinnvolle Stromquelle für die Inselbewohner. Foto: Laurent Weyl / Visum
Auf einem Hausdach sitzt ein Mann und installiert ein kleines Solarpanel. Im Hintergrund sind grüne Felder zu sehen.
Auf der Insel Kharzanir: Ein Techniker installiert ein Solarpanel auf einem Haus. Foto: Laurent Weyl / Visum
Vor einer Blechhütte im Dunkeln steht ein Mann. Oben auf dem Dach ist ein Solarpanel angebracht, in der Hütte brennt ein Licht.
Solarstrom lädt auch die Batterien der Lampen für die örtliche Moschee. Foto: Laurent Weyl / Visum
In einer einfachen Behausung sitzen drei Kinder vor Schulheften an einem Tisch, von oben scheint das fahle Licht einer Lampe.
Die Kinder können nun bei ausreichender Beleuchtung ihre Hausaufgaben machen … Foto: Laurent Weyl / Visum
In einer einfachen Behausung schauen zwei Jungen Fernsehen.
… und danach auch ein wenig fernsehen. Foto: Laurent Weyl / Visum

Wo würden Sie beim Umbau des Stromsystems ansetzen?

Auf jeden Fall in den ländlichen Regionen. Dort haben heute schon fünf Millionen Haushalte kleine Photovoltaikanlagen installiert, die rund 30 Millionen Menschen mit sauberem Strom versorgen. Die meisten dieser Haushalte sind nicht an das nationale Stromnetz angeschlossen – und für rund zehn Prozent der Bevölkerung wird das auch so bleiben, weil sie in schwer zugänglichen Regionen leben, zum Beispiel auf Inseln. Dort müssen wir ansetzen, wenn wir für Energiegerechtigkeit sorgen wollen.

Und wie soll das geschehen?

Zum Beispiel, indem man die vielen kleinen PV-Anlagen in den Dörfern vernetzt. Also lokale Stromnetze aufbaut, die Batterien aus den Haushalten an einem Ort zusammenschließt und dadurch ermöglicht, dass der Strom gespeichert und geteilt werden kann. Man muss das Stromnetz von unten aufbauen. Unsere Organisation wird das in Modelldörfern testen. Was dort funktioniert, kann zum Vorbild für den Rest des Landes werden.

Aber die kleinen Hausanlagen werden doch kaum ausreichen, den wachsenden Energiebedarf zu decken?

Ja, das stimmt, wir brauchen größere Anlagen. Flächen dafür gibt es, obwohl Bangladesch so dicht besiedelt ist – zum Beispiel auf Dächern oder Brachflächen. Eine interessante Option sind schwimmende PV-Anlagen, rund zwölf Prozent des Landes sind von Wasser bedeckt. Wir gehen davon aus, dass das Potenzial für Solarstrom bei 100 Gigawatt Leistung liegt. Auch Offshore-Windanlagen und die Energiegewinnung aus Abfällen bieten große Möglichkeiten, die wir ausschöpfen könnten.

Bengalisch aussehender Mann, von der Seite fotografiert, gestikuliert im Gespräch.
Foto: Burkhard Peter

Sie haben in Ihrer Studie berechnet, dass die Energie­wende in Bangladesch bis 2050 rund 310 Milliarden US-Dollar kosten wird, das sind rund acht Milliarden pro Jahr.

Genau, aber zugleich werden wir weniger abhängig von den steigenden Preisen für Erdgas, Kohle und Öl. Wir können damit in den kommenden 30 Jahren zwischen 140 und 200 Milliarden Dollar einsparen.

Trotzdem muss erst mal investiert werden. Wer soll das bezahlen?

Natürlich braucht es Investitionen aus dem Ausland. Zum Beispiel über die Entwicklungshilfe und die Gelder für die Anpassung an den Klimawandel. Nötig sind auch Investitionen privater Firmen – egal ob aus Bangladesch oder dem Ausland. Unsere Regierung könnte das stärker fördern, etwa indem sie Unternehmen Steuernachlässe gewährt, wenn diese sauberen Strom beziehen oder selbst produzieren. Auch eine Einspeisevergütung wäre hilfreich, die gibt es bislang nicht.

Die Regierung Bangladeschs will bis 2020 auf zehn Prozent Erneuerbare kommen, setzt aber weiterhin auf Kohlekraft und lässt mit russischer Hilfe ein Atomkraftwerk bauen. Wie passt das zusammen?

Es fehlt ein ganzheitlicher Ansatz in der Energiepolitik. Kohle- und Atomkraft werden uns nicht weiterhelfen, ganz abgesehen von den dramatischen Risiken für die Umwelt. Die Regierung sagt, dass der erste der beiden Blöcke des Kernkraftwerks in Ruppur schon 2023 ans Netz gehen soll. Ich glaube das nicht. Für das Kraftwerk wird ein alter Reaktor aus Russland erst dort abgebaut und bei uns wieder aufgebaut. Das dauert mindestens 15 Jahre. Auch bei der Kohlekraft wird nicht wirtschaftlich gedacht. Ich bin mir sicher, dass wir die Kraftwerke in 30 Jahren abschalten werden – einfach deshalb, weil sie sich nicht mehr rechnen werden.

Warum dringen solche Bedenken nicht zur Regierung durch?

Die Kraftwerke werden von Russland, China, Japan oder Indien finanziert, die unsere Regierung mit vermeintlich attraktiven Partnerschaften locken. Unsere Regierung wäre von sich aus nie auf die Idee gekommen, ein Kernkraftwerk zu bauen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Länder wie Deutschland in Bangladesch Projekte im Bereich der Erneuerbaren anschieben und ihre Erfahrungen mit der Energiewende teilen.

 

Junger Mann im Anzug, draußen im Grünen fotografiert
Coastal Development Partnership

Die 1997 gegründete «Coastal Development Partnership» (CDP) in Dhaka, dessen Direktor Jahangir Hasan Masum heute ist, wurde schnell ein wichtiger Teil der wachsenden Umweltbewegung in Bangladesch. Mit rund 40 Mitarbeitern und Büros in mehreren Landesteilen unterstützt die CDP neben der politischen Arbeit Projekte in zwölf Dorfgemeinschaften und Stadtteilen. Zudem unterstützt die CDP Gemeinden dabei, ein Komitee für Klimaschutzfragen zu bilden.

Hier geht es zur Website der Organisation.

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12. September 2019 | Energiewende-Magazin