Balkonsonne in die Steckdose
Ein Bericht von Tom Jost
Kleine Komplett-Solaranlagen liefern Ökostrom zum Direktverbrauch in die Wohnung – gerade für Mietwohnungen eine sinnvolle Alternative.
Es ist Frühling in Berlin. Ein sonnenheiterer Samstagmittag versammelt knapp 30 Menschen auf der Büroetage der Genossenschaft «BürgerEnergie Berlin» (BEB), die allesamt eine gewisse «Rebellenader» in sich spüren. Anlass ihres Treffens ist ein Workshop, denn sie wollen möglichst bald einen Teil ihres Haushaltsstroms selbst erzeugen, die Energiewende unterstützen – und nebenbei die Rechnung ihres Energielieferanten kürzen. Mittel zum Zweck sind dabei «Balkonkraftwerke» oder «Steckdosenmodule», die man an der Hausfassade oder der Balkonbrüstung befestigt. Wenn das Anschlusskabel in die nächstgelegene Steckdose gestöpselt wird, fließt, solange es hell ist, saubere Energie direkt in die Wohnung.
«Das ist Ökostrom, den ich quasi vor meinem Fenster ernten kann», sagt BEB-Vorstand Christoph Rinke, «zum Beispiel, wenn keine größere Photovoltaikanlage auf dem Dach möglich ist.» Die Anschaffung sei erschwinglich und setze ein sichtbares Signal für den Klimaschutz in der Stadt. Solche Kleinanlagen eignen sich vor allem für Mieter, denen der Zugriff auch auf das besser geeignete Hausdach verwehrt bleibt. Und die Module können bei einem Umzug einfach an die neue Adresse mitgenommen werden.
Energie nutzen statt einspeisen
Dass die Bundeshauptstadt solch eine Initiative bitter nötig hat, belegt Johannes Poetzsch von der «Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie» (DGS) den Workshopteilnehmern mit lokalen Zahlen. «Berlin hat einen jährlichen Bruttostromverbrauch von 12,5 Milliarden Kilowattstunden. Davon kommen gerade einmal 2,5 Prozent aus Erneuerbaren Energien – also unglaublich wenig.» Seine Angaben stammen aus dem Jahr 2014, aber an der Relation dürfte sich bis heute, so schätzt Poetzsch, nur wenig geändert haben. In vielen anderen Großstädten sähe es kaum anders aus.
Seit 2012 haben die letzten drei Bundesregierungen trotz gegenteiligem Versprechen die Solarenergie immer weniger attraktiv gemacht, indem sie die EEG-Einspeisevergütung mehrfach radikal kürzten. Was aber, wenn die EEG-Vergütung gar keine Rolle mehr spielt, weil nicht eingespeist, sondern alles gleich selbst verbraucht wird? Ein 300-Watt-Steckdosenmodul guter Qualität, das mit Befestigungs- oder Aufstellkonstruktion um die 700 Euro kostet, erzeugt unter optimalen Bedingungen 300 Kilowattstunden Ökostrom pro Jahr, die bei den gegenwärtigen Tarifen die jährliche Haushaltsstromrechnung um etwa 80 Euro entlasten würden.
Mindestens 25 Jahre lang sauberen Strom
Freilich sollte in den meisten Fällen mit weniger gerechnet werden, denn die senkrechte Befestigung nutzt das solare Einstrahlungspotenzial nicht vollständig aus. Der beste Platz für ein Balkonkraftwerk ist ironischerweise ein Garagendach, unverschattet und mit einer 25-Grad-Neigung gen Süden. Trotzdem: «Jedes Modul wird in über Lebensdauer sieben bis acht Tonnen CO2 aus Braunkohlestrom ersetzen», berichtet Poetzsch. «Und wenn wir einhundert Prozent Erneuerbare Energien wollen, brauchen wir nicht nur die Dächer, sondern auch die Balkone.» Zur Einschätzung der Lebensdauer eines Moduls hilft womöglich die Information, dass Qualitätshersteller eine Produktgarantie von zehn und eine Leistungsgarantie von 25 Jahren geben.
Sind solche «Rebellen»-Kraftwerke überhaupt erlaubt? Sind sie sicher? Und mit welchen Problemen muss man rechnen? Derartige Fragen kennt Wolfgang Müller aus seinen Workshops nur zu gut. Der Ingenieur und Umweltaktivist betreibt seit fast 30 Jahren ein Unternehmen für Solartechnik und Energieberatung in Neustadt an der Weinstraße. Auch er setzt sich für die Balkonkraftwerke als kleine Lösung ein – viele Mitglieder der EWS-Genossenschaft haben den Pfälzer beim jährlichen «Stromseminar» in Schönau bereits kennengelernt.
Auch rechtlich im grünen Bereich
Nach einigen Jahren in der Grauzone sind die «steckerfähigen PV-Systeme», wie sie in der Produktnorm bezeichnet werden, inzwischen auch offiziell zugelassen. Lange Zeit beriefen sich ihre Anbieter auf EU-Regeln, wonach ein Produkt in der Gemeinschaft erlaubt sein soll, wenn es in einem EU-Mitgliedsstaat über die Zulassung verfügt. Das war bei Balkonmodulen der Fall: In den Niederlanden soll es allein mehr als 200.000 solcher Panels geben.
Verlässliches Grünlicht für Deutschland leuchtet seit der Änderung der DIN VDE 100-551 im Herbst 2017. Danach können auch Laien «stromerzeugende Geräte» in jedem Stromkreis normgerecht anschließen. «Technisch gibt es drei Möglichkeiten», sagt Müller, der als Sachverständiger die VDE-Regelung mit erarbeitete: «Entweder ein Festanschluss vom Elektriker, eine separate Schuko-Steckdose am Endstromkreis oder die verriegelbare Wieland-Steckdose.» Letztere favorisiert der VDE, weil es bei Billigmodulen vorkommen kann, dass am Anschlussstecker noch kurze Zeit Spannung anliegt, wenn man ihn aus der Schuko-Dose holt.
Die Wechselrichter von Qualitätsmodulen schalten innerhalb von 0,2 Sekunden nach Trennung ab. «Ein Wieland-Umbausatz unterbricht den Stromfluss noch schneller, kostet 20 Euro und ist sehr einfach anzuschließen», versichert Müller. Aber er weiß auch: Eine VDE-Norm ist kein Gesetz. Und «Stecker ziehen» ist ja das genaue Gegenteil der Anschaffungsidee.
Neuland für Netzbetreiber
Bei der Bundesnetzagentur muss man mobile Balkonpanels nicht anmelden. Mit den örtlichen Netzbetreibern (also etwa Stadtwerken) gibt es unterschiedliche Erfahrungen. Manchen reicht eine formlose Mitteilung mit Standort und Leistungsdaten der angeschlossenen Module. Andere schicken fünfseitige Formulare und wollen den Haushaltsstromzähler austauschen – vor allem, wenn dieser keine Rücklaufsperre besitzt wie die meisten alten Ferraris-Modelle mit Drehscheibe. Bei bestem Sonnenstand und gleichzeitig geringem Stromverbrauch im Haushalt könnte es zu einer Realeinspeisung ins Netz kommen. «Das hieße, den Strom ohne Vergütung zu verschenken», meint Müller. Um zu verhindern, dass der Netzbetreiber kostenpflichtig einen neuen Zähler oder gar dauerhaft teureren Zweiwegezähler einbauen will, sollten Balkon-Solaristen ihm gegenüber versichern, dass es sich um keine EEG-Anlage handele und die Modulleistung nicht mehr betrage als der gleichzeitige Haushaltsstromverbrauch. «Für LAN-Router, Netzteile oder die Telefon-Basisstation fällt ja immer eine gewisse Grundlast an», weiß Marcus Vietzke (DGS). «Und dann kommen noch Kühlschrank, Computer, Bildschirm und andere Geräte hinzu. In einem Vier-Personen-Haushalt übersteigt die Realleistung von zwei 300-Watt-Steckermodulen eigentlich nie diesen Mindestverbrauch.»
Das ist auch die Erfahrung von Robert Kuntz im pfälzischen Kirrweiler, der sich im vergangenen Sommer zwei Steckersolarpanels auf das Gartenhaus setzte. Nach Westen ausgerichtet, um die Nachmittags- und Abendsonne einzufangen. Es war bereits seine dritte Installation: Die Solaranlage von 2006 speist ins örtliche Netz ein, die zweite auf dem Carport versorgt das kleine Elektroauto. «Meine App zeigt an, dass die beiden neuen Module jetzt zur Mittagszeit 250 Watt liefern», berichtet er an einem sonnigen Apriltag. «Am späten Nachmittag sind es dann in der Spitze 350 bis 380 Watt. Die gehen komplett in den Eigenverbrauch.»
Überzeugungsarbeit oft vonnöten
Baurechtlich sind solche Anlagen an der Fassade genehmigungsfrei – es sei denn, dass Denkmalschützer mitreden. Für Bewohner von Mehrfamilienhäusern stellt sich allerdings eine weitere Frage: Was sagt der Vermieter oder die Eignergemeinschaft dazu? Wer schon einmal erlebte, wie eine Eigentümerversammlung über vereinzeltes Fassadengrün stritt, mag fast alle Hoffnung fahren lassen. Jede hat ihre eigenen Gesetze, meist müssen alle zustimmen. «Wir haben es aber auch schon erlebt, dass eine Gemeinschaft einen Haushalt zum Ausprobieren vorschickte», schmunzelt Wolfgang Müller. «Wenn es dann klappt, wollen die anderen auch.»
Sofern im Mietvertrag das Anbringen von Dingen am Balkongeländer nicht ausdrücklich verboten ist, muss man den Vermieter nicht um Erlaubnis bitten. Dennoch rät die DGS zum Gespräch, auch um Sicherheitsbedenken zu zerstreuen. Wenn nicht mehr als 600 Watt Leistung an einem Stromkreis betrieben würden, reiche die Energie nicht aus, um eine normgerechte Elektroinstallation zu überlasten. Die Befestigung müsse natürlich stabil sein, damit nichts runterfalle. Also ganz so wie beim Blumentopf.
Kleiner Beitrag, großes Ziel
Rund 6.000 installierte Balkonkraftwerke sind gegenwärtig in Deutschland in Betrieb. Nicht nur Berlins Bürgerenergiegenossenschaft, die DGS und Wolfgang Müller setzen sich dafür ein, dass es allmählich mehr werden – obwohl die Rebellen-Attitüde nach dem VDE-Plazet eigentlich verflogen sein könnte und es sich, bei Lichte betrachtet, um einen Minibeitrag zur Energiewende handelt. Jede zwanzigste Wohnung in Berlin mit einem Modul ausgerüstet, würde eine Erzeugung von 21 Millionen Kilowattstunden bedeuten. Also 0,2 Prozent des Hauptstadtverbrauchs. «Aber viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, verändern das Gesicht der Welt», zitiert BEB-Vorstand Christoph Rinke ein Sprichwort, das wahlweise afrikanischen Volksstämmen oder dem Schriftsteller Stefan Zweig zugeschrieben wird.
Wolfgang Müller grinst – und setzt noch eine Pointe drauf: «Die ehemalige NRW-Umweltministerin und Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn brachte 2015 von einem parlamentarischen Auslandsbesuch ein Bild mit, das Hunderte von PV-Balkonmodulen an Hochhäusern zeigte. Das Foto entstand in Pjöngjang, der Hauptstadt von Nordkorea.» Es müssen also nicht immer kleine Orte sein. Bitburg, Biberach, Berlin – Balkonkraft geht überall.
Weiterführendes zum Thema
Weitere Antworten zu rechtlichen und technischen Fragen sowie ein Vergleich von Anbietern rund um die Balkonkraft finden Sie auf der Website der «Deutschen Gesellschaft für Sonnenergie».
Die «BürgerEnergie Berlin» teilt auf Anfrage gern ihr Wissen zu dem Thema – und unterstützt Berliner mit Rat und Tat, wenn sie über eine Anschaffung nachdenken.
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