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Armut bekämpfen – mit Erneuerbaren

Ein Bericht von Thomas Goebel

Der Verein «greenap» fördert unter anderem Solarlampen in indischen Dörfern. Das spart Petroleum – und verändert auch den Alltag. Selbst nach einem Zyklon.

Am 20. Mai 2020 erreicht ein schwerer Wirbelsturm die Küste des indischen Bundesstaats Westbengalen, mindestens 80 Menschen sterben. Am schlimmsten trifft es die Inseln im weitverzweigten Flussdelta des Ganges, dort zerstört der Superzyklon «Amphan» unzählige kleine Häuser und Lehmhütten. Viele Tausende Menschen müssen sich in den Trümmern, unter Plastikplanen oder im Freien einrichten.

Georg Amshoff und Sabine te Heesen in Bonn reagieren sofort. Vor knapp zehn Jahren haben sie dort den Verein «green energy against poverty» (greenap) gegründet – Erneuerbare Energien gegen Armut. Greenap ist zwar keine Nothilfeorganisation, aber Amshoff und te Heesen sind seit Langem in der indischen Region aktiv: Sie wissen, wie es innerhalb der kleinen Dörfer in den «Sundarbans» genannten Mangrovenwäldern aussieht. Und sie haben dort Partner, auf die sie sich verlassen können.

Schnelle Soforthilfe dank eingespielter Partnerschaften

Sie versuchen, Kontakt aufzunehmen – trotz Stromausfalls und vieler zerstörter Telefon- und Internetleitungen vor Ort. Über einen Messengerdienst auf dem Smartphone erreicht Georg Amshoff schließlich Schwester Monica Suchiang, die Leiterin des «Kolkata Mary Ward Social Centre» (KMWSC). Die Ordensgemeinschaft kümmert sich vor allem um Schulen für die arme Bevölkerung in den südlichen Sundarbans. In die stabileren Schulgebäude sind viele Menschen vor dem Sturm geflohen. Schwester Monica ist gerade dort und leistet Nothilfe. Amshoff fragt, ob und wie greenap sie unterstützen könne. Es stellt sich heraus, dass zahlreiche Betroffene Angst haben, in ihre halb zerstörten Dörfer zurückzukehren: Die baufälligen Häuser bieten ihnen in der dort schon früh einsetzenden völligen Dunkelheit keinen Schutz mehr gegen Giftschlangen, Skorpione und andere Wildtiere.

Ein Mann steht mit einem Regenschirm inmitten einer verwüsteten schlammigen Landschaft vor einem zerstörten Haus.
Der Superzyklon «Amphan» zerstörte im Mai zahllose Wohngebäude auf den Inseln im Gangesdelta. Foto: Archiv greenap
Die Köpfe eines Mannes und einer Frau beugen sich über einen Laptopbildschirm, auf dem das Bild einer zerstörten Hütte zu sehen ist.
Georg Amshoff und Sabine te Heesen in Bonn konnten sich schnell ein Bild der Situation machen – dank vieler Fotos, die ihnen Partnerorganisationen schickten. Foto: Annette Etges
Ein Finger zeigt auf einer Landkarte auf eine Küstenlinie südlich von Kolkata.
Im Gebiet des verzweigten Gangesdeltas südlich von Kolkata traf der Wirbelsturm auf die Küste. Foto: Annette Etges
Eine Frau und ein Mann sitzen in privater Atmosphäre gemeinsam vor einem Laptop.
Im Gespräch mit den Partnern vor Ort entwickelten Sabine te Heesen und Georg Amshoff Ideen, um den Wiederaufbau zu unterstützen. Foto: Annette Etges

«Innerhalb von 45 Minuten konnten wir zusagen, mit erst einmal 85 Solarlampen zu helfen», erzählt Georg Amshoff. «So etwas klappt nur, wenn man sich gut kennt.» Etwas später kamen noch weitere 40 Lampen dazu. Nach der informellen Hilfszusage von greenap begann das KMWSC sofort mit der Verteilung an besonders bedürftige Familien. Eine große Herausforderung – nicht nur wegen der Zerstörungen in der Region, sondern auch aufgrund des Corona-Lockdowns. Doch dank der Lampen konnten die Familien in ihre Häuser zurückkehren und mit dem Wiederaufbau beginnen.

Mehr Klimaschutz und Sicherheit, bessere Bildung

Mit PV-Strom betriebene Lampen und die entsprechende Ladeinfrastruktur in die indischen Dörfer zu bringen, war 2011 das erste Projekt von greenap. Und auch wenn inzwischen neue Projekte dazugekommen sind und weitere Ideen auf der Liste stehen, zeigen die Lampen immer noch beispielhaft, wie die Organisation arbeitet, die von dem Indologen Georg Amshoff und der Kulturwissenschaftlerin Sabine te Heesen ehrenamtlich geleitet wird. Ihre Grundidee klingt fast zu gut, um wahr zu sein – und doch kann das Ehepaar von vielen Fällen berichten, in denen sie offenbar funktioniert: Greenap fördert den Einsatz von Erneuerbaren Energien und will damit den Klimaschutz voranbringen – aber gleichzeitig auch Armut bekämpfen und das Leben von Menschen verbessern.

Es geht nicht darum, Lampen zu verteilen, es geht um Entwicklung.

Georg Amshoff von «green energy against poverty»

Solarlampen ersparen nicht nur CO2-Emissionen und senken die Abhängigkeit von schlecht verfügbarem, teurem und gesundheitsschädlichem Petroleum. Sie machen es vor allem für Frauen auch sicherer, in der Dunkelheit die Hütten zu verlassen – in denen es oft keine Toiletten gibt. Sie liefern im Unterschied zu Petroleumlampen so viel Helligkeit, dass Familien zu Hause weiterhin Arbeiten erledigen können, wenn sie bei einbrechender Dunkelheit von den Feldern oder vom Fischen zurückkehren. Und sie erlauben es den Kindern, dann noch Hausaufgaben zu machen.

Ein Mann mit einer Mund-Nasen-Maske überreicht einer Frau, die in einen bunten Sari gekleidet ist, eine etwa 30 cm hohe Solarlampe
Ein Mitarbeiter des «Kolkata Mary Ward Social Centre» übergibt eine Solarlampe an eine Inselbewohnerin. Foto: Archiv greenap
In ländlicher Umgebung entfernt sich eine Reihe in Saris gekleideter Frauen und Männer. Jeder trägt eine Lampe in der Hand.
Solarlampen verringern CO₂-Emissionen und senken die Abhängigkeit der Familien von gefährlichem und teurem Petroleum. Foto: Archiv greenap
Zwei kleine Mädchen sitzen im Schein einer Lampe vor ihren Schulheften auf dem Boden.
Solarlampen leuchten deutlich heller als Petroleumfunzeln – jetzt können die Kinder auch nach dem frühen Einbruch der Dunkelheit noch lesen und Hausaufgaben machen. Foto: Archiv greenap

Frauen verwalten die Ladestationen

Weil die Partnerorganisationen von greenap vor allem Frauen darin schulen, die Lampen gegen eine kleine Gebühr zu reparieren, entstehen für sie neue Erwerbsmöglichkeiten. Geladen werden die Lampen nämlich über sogenannte Solarkioske in den Dörfern, die von einem «Club» aus Bewohnerinnen selbst verwaltet und unterhalten werden. Spezielle Leselampen der Kinder wiederum können nur über Solarmodule in der Schule aufgeladen werden – was die Motivation zum Lernen noch weiter erhöht.

Es gehe ihnen immer darum, «an der Graswurzel zu arbeiten», sagt Sabine te Heesen. Also Spendengeld dafür einzusetzen, gemeinsam mit den Partnern vor Ort auf die Bedürfnisse der Menschen zu reagieren und nachhaltig etwas zu verändern: «Wir sind nicht die Westler, die einfach etwas Technik ins Dorf werfen und sich dann mit armen Kindern fotografieren lassen – um es einmal krass zu formulieren.»

Bio-Holzkohle aus Ernteabfällen

Greenap fördert auch neue Projekte: Eines hat die Entwicklung von Bio-Holzkohle aus landwirtschaftlichen Resten zum Ziel – «Veredlung von Ernteabfällen» nennt Georg Amshoff das. Gerade Kleinbauern mit wenig Land könnten so neue Einkommensquellen erschließen. Greenap hat eine Pilotphase finanziert, in der die Partnerorganisation «Samuchit Enviro Tech» aus dem westindischen Pune die Technik erfolgreich erprobt und auch schon erste nachhaltige Produkte entwickelt hat: Luftreiniger mit Aktivkohle für Kühlschränke und öffentliche Toiletten, Räucherstäbchen zur Moskitoabwehr, desinfizierende Seife. Noch gibt es kein marktfähiges Produkt, das zum Beispiel eine Genossenschaft von Kleinbauern später verkaufen könnte. «Nicht alles funktioniert auf Anhieb», sagt Amshoff, «aber das Projekt ist hoch spannend.»

Wiederaufbau – mit Fokus auf Verbesserung

Der Wirbelsturm im Gangesdelta und seine auch Monate später noch lange nicht bewältigten Schäden lassen aktuell anderes ins Zentrum rücken: Für greenap sind das neben den Solarlampen vor allem saubere und funktionale Kochherde in den Hütten der Sundarbans-Bewohner. Amshoff und te Heesen möchten einen Wiederaufbau nach dem Motto «Building Back Better» fördern: Nachher soll es besser sein, als es vorher war. Das kann bedeuten, bei den Reparaturarbeiten gleich auch effizientere Lehmherde in die Häuser zu bauen: Bessere Luftzufuhr durch spezielle Formgebung, ein Feuerrost und eventuell ein Kaminrohr sparen viel Brennmaterial und Emissionen und sorgen dafür, dass der gesundheitsschädliche, beißende Qualm der offenen Kochstellen aus den Wohnräumen verschwindet.

 

Zwei Frauen in bunten Saries sitzen am Boden über einen aus Lehm hergestellten Ofen-Rohling.
Einfache, aber effiziente Lehmherde sparen viel Brennholz – und nutzen damit dem Klima und den Familien. Foto: Allison Joyce

Wir arbeiten an der Graswurzel.

Dr. Sabine te Heesen von «green energy against poverty»

Mit solchen «Klimaherden» hat greenap seit einigen Jahren Erfahrung. Partnerorganisationen haben passende Herde entwickelt und Menschen aus den Dörfern darin geschult, diese aus Lehm selbst zu bauen. Auch jetzt gehe es wieder darum, die Bewohner der zerstörten Häuser zu fragen, was genau sie brauchen: «Wenn man zum Beispiel für den neuen Herd auch neue Töpfe kaufen müsste, weil die alten nicht passen, dann funktioniert es nicht», erklärt Amshoff. Die Verfügbarkeit von Brennmaterial sei zudem unterschiedlich, ebenso die zum Kochen verwendeten Lebensmittel und ihre Zubereitung. Wenn ein Herd aber den tatsächlichen Bedürfnissen entspricht, außerdem viel Arbeit bei der mühsamen Suche nach Brennstoff spart, die Gesundheit der Menschen verbessert und auch noch finanzierbar ist – dann, so hofft das Bonner Ehepaar, könnte er im Dorf immer mehr zum Standard werden und damit zusätzlich erhebliche Emissionen einsparen. «Das ist ein langer Prozess», sagt Sabine te Heesen, «aber er ist sehr nachhaltig.»

In der Dunkelheit kommen die Tiger


Das zeigten auch die Erfahrungen mit den Solarlampen: Im Bundesstaat Maharashtra an der indischen Westküste arbeitet greenap seit Jahren mit der Umweltorganisation «Applied Environmental Research Foundation» zusammen. Der Einsatz von Solarlampen dient dort dem Schutz des Waldes, weil sie viel Feuerholz sparen. In den zerstörten Dörfern im Gangesdelta sind inzwischen weitere 500 Lampen in Betrieb. Diese wurden im Auftrag von greenap von Adivasi-Frauen in einem Ausbildungszentrum westlich von Kolkata montiert. Adivasi nennen sich die indigenen Bevölkerungen in Indien. Betrieben wird das Ausbildungszentrum von «Seva Kendra Calcutta» (SKC), dem Sozialzentrum der Erzdiözese Kolkata – ein weiterer Partner von greenap.

SKC hat die Lampen als Nothilfe auf den Ganges-Inseln eingesetzt – bei Familien mit Kindern, die am Ende des Schuljahrs ihren Abschluss machen wollen, sowie bei Frauen, deren Männer von Tigern getötet wurden: Einige der Dörfer liegen direkt an einem Tigerreservat in den Sundarbans; wenn die Tiere Hunger haben, kommen sie bis zu den Siedlungen, vor allem, wenn es dort kein Licht gibt.

Gerade in Krisen beweisen Erneuerbare Energien ihre Stärken.

Georg Amshoff von «green energy against poverty»
Die greenap-Gründer Georg Amshoff und Sabine te Heesen stehen im Freien vor einer hellen Ziegelwand.
Georg Amshoff und Sabine te Heesen haben greenap 2011 gegründet. Foto: Annette Etges

Projekte fortführen, beim besseren Wiederaufbau mithelfen, neue Ideen wie die Bio-Holzkohle weiterentwickeln – und das alles unter erschwerten Corona-Bedingungen: greenap hat viel vor. Sabine te Heesen und Georg Amshoff erzählen, dass sie immer wieder die Erfahrung machen, mit wenig Mitteln viel bewirken zu können. «Und gerade in Krisen beweisen Erneuerbare Energien ihre Stärken», ergänzt Amshoff – weil sie schnell verfügbar und vor allem unabhängig von Stromnetzen oder großen Unternehmen einsetzbar seien.

Ihr Partner SKC hat Menschen in den Dörfern befragt, ob sich durch die Lampen etwas für sie verändert hat, berichtet Amshoff. Den Ergebnissen zufolge sei nach der Verteilung der Lampen die Zahl der Schlangenbisse von 87 auf nur einen Fall zurückgegangen. Und von 45 befragten Mädchen aus den Familien gaben alle an, dass sie nun mehr Zeit zum Lernen für die Schule hätten, manche bis zu zwei Stunden täglich. 44 von ihnen stimmten schließlich der Aussage zu, sie könnten nun mit mehr Würde leben. «Und all das nur wegen einer clever eingesetzten, einfachen Solarlampe», sagt Georg Amshoff. «Solche Erfolge bestärken uns sehr in unserer Idee, die Armut mit nachhaltiger Entwicklung zu bekämpfen.»

 

in einem blauen Pinselstrich: der Tannenbaum

EWS-Weihnachtsaktion 2020 für greenap

Die EWS förderten mit ihrer Weihnachtsaktion die Arbeit der Bonner Hilfsorganisation «green energy against poverty» (greenap): Der Verein erhielt 25 Euro für jeden, der bis Ende 2020 Strom- oder Gaskunde der EWS Schönau wurde.

Greenap wurde 2011 von Georg Amshoff und Sabine te Heesen gegründet. Sie setzen in Ländern des Globalen Südens gemeinsam mit Partnern vor Ort Erneuerbare Energien ein, um damit Armut zu bekämpfen, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern und gleichzeitig gegen den Klimawandel anzugehen. Weitere Informationen über den Projektpartner greenap finden Sie hier.

26. November 2020 | Energiewende-Magazin