Trau dich, SPD!
Ein Kommentar von Sebastian Sladek und Peter Ugolini-Schmidt
Damit es mit dem Klimaschutz endlich vorangeht, müssen die Sozialdemokraten dringend ihre Lethargie ablegen – und altbewährte Trümpfe neu ausspielen.
Scheinbar aus dem Nichts kommend, unsichtbar, potenziell lebensbedrohlich: Corona hat unser Leben komplett auf den Kopf gestellt und die Politik vor gewaltige Entscheidungen. In rasantem Tempo dem Rat der Experten folgend, beschloss die Regierung Grenzschließungen, Reiseverbote, massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Und wir fügten uns: Appelle und Prognosen aus Politik und Wissenschaft brachten uns quasi über Nacht dazu, unsere Verhaltensweisen in kürzester Zeit anzupassen. Die Große Koalition wirkte dabei wie ausgewechselt. Mit selten gesehener Entschlossenheit wurden Verordnungen auf den Weg gebracht und milliardenschwere Hilfspakete geschnürt. Die Wählerschaft scheint es zu honorieren. So erreicht die GroKo derzeit Zustimmungswerte von über 50 Prozent – von denen freilich vor allem die Union profitiert.
Da der Weg in die Normalität nun halbwegs geebnet scheint, brechen alte Konflikte wieder auf. Und ausgerechnet die Klimapolitik wird erneut zum Spielball. Vom Plädoyer des CDU-Wirtschaftsrats für eine «zeitliche Streckung der klimapolitischen Vorgaben» beflügelt, wird Thomas Bareiß, CDU-Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, nicht müde zu twittern, dass man Dringenderes zu tun hätte als den Solar- und Windausbau. Inzwischen hat auch die Unionsfraktion der Kanzlerin signalisiert: Strengere europäische Klimaziele wird es mit ihr nicht geben. Statt beim Klimaschutz endlich Vollgas zu geben, steigen CDU und CSU mal wieder beherzt in die Eisen. So weit, so gewohnt.
Wer hat’s erfunden?
Die Union hat die Energiewende, von der SPD in die Koalition mit eingebracht und international längst zum gelobten Wunderkind gediehen, nie angenommen – sie hat bei ihr lediglich den Stellenwert eines ungeliebten Stiefkinds. Sollen wir aber deshalb den Klimaschutz hintanstellen, bis eine neue Bundesregierung kommt? Keinesfalls – denn auch in der Klimakrise ist Zeit das knappste Gut. Und die Corona-Krise lehrt uns ja, was alles in kurzer Zeit zu schaffen ist, wenn entschlossen angepackt wird. Doch wo sind sie, die Entschlossenen?
Die Antwort liegt auf der Hand – denn wer hat die Energiewende ursprünglich ins Leben gerufen? Sicher nicht die CDU. Es waren die Sozialdemokraten mit ihrem grünen Juniorpartner. Unter dem Spiritus Rector der ersten Energierevolution, Hermann Scheer, schuf die SPD 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – eines der zukunftsweisendsten Gesetze überhaupt. Das sozialdemokratische Erbe darin ist unverkennbar: Das EEG stand eben nicht nur für Klimaschutz, sondern auch für Solidarität, Teilhabe und Gerechtigkeit. Die SPD wusste also durchaus einmal, Klima und Soziales zu verknüpfen.
Mit neuem Schwung ins Handeln kommen
Und die aktuellen SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans scheinen gewillt, dieses Erbe in die Zukunft zu tragen. Nicht ohne Grund verkündeten sie Ende 2019, dass das «Klimaschutzpäckchen» dringend nachverhandelt werden müsse. Es brauche unter anderem einen höheren CO2-Preis, eine Klimaprämie sowie die Stärkung der Solar- und Windenergie. Und ein paar mutige Bundestagsabgeordnete der SPD forderten jüngst in einem Positionspapier gar ein entschiedeneres Bekenntnis zum Erneuerbaren-Ausbau im Rahmen eines «Social Green Deal».
In der Regierungspolitik ist davon bislang jedoch nichts zu sehen. Warum? Man könnte meinen, weil die Wirtschaftskonservativen einfach die Hosen anhaben. Und auf den Fluren des Willy-Brandt-Hauses geht zusätzlich die Angst um, dass von den Erfolgen beim Klimaschutz bei der nächsten Wahl sowieso nur die Grünen profitieren. Die SPD solle sich daher auf Sozial- und Rentenpolitik als ihren Markenkern besinnen. Beim Klimaschutz könne man getrost Kompromisse machen – mediale Prügel dafür bezöge am Ende sowieso die Union.
Derlei Windbeuteleien könnten sich für die SPD bitter rächen – denn die Klimakrise macht auch 2020 keine Pause: Bisher kaum Niederschlag, erste Waldbrände bereits im April, es droht der dritte Hitzesommer. Wer da Klima gegen Soziales oder Rente auszuspielen versucht, riskiert ein böses Erwachen, wenn sich die schweißgebadete Wählerschaft im Spätsommer kommenden Jahres an den Wahlurnen wiederfindet.
Keine Ausreden mehr!
Für die SPD sollte die Marschrichtung also klar sein: Sie muss auf ein besseres «Klimaschutzprogramm 2030» drängen – die vom Bundestag beschlossene Streichung des Solardeckels ist nicht mehr als ein überfälliger erster Schritt. Sonnen- und Windkapazitäten – ohnehin längst wettbewerbsfähiger als die fossilen Energien – müssen bis 2030 mindestens verdreifacht, der CO2-Preis in allen Sektoren, das sind Strom, Verkehr und Wärme, wesentlich angehoben und vereinheitlicht werden. Darüber hinaus muss die Energiesteuerreform endlich in vollem Umfang angegangen werden. Zudem gilt es, die Union auf eine schnelle Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie aus Brüssel festzunageln. Die nämlich setzt voll auf Energiegerechtigkeit, Verbraucherschutz und solare Bürgerenergie – einst Herzstück der scheerschen Energierevolution.
Genau dieser «kleinen PV» kommt heute wieder eine Schlüsselrolle zu. Denn die zweite Stufe der Energiewende wird in den Städten, wo der Erneuerbaren-Anteil am Bruttostromverbrauch noch verschwindend gering ist, stattfinden – und damit genau dort, wo die SPD mehr als die Hälfte aller Oberbürgermeister stellt. Wer hier Klimaschutz machen will und das mit politischer Mehrheit auch kann, setzt auf die PV. Die Dächer sollten vollgepackt werden, Balkonmodule und solarer Mieterstrom – der gerade sozial Schwächeren den Zugang zu günstigem Ökostrom ermöglicht – müssen endlich von der Ausnahme zur Regel werden. So können die Sozialdemokraten, die einst Klimaschutz und Soziales zusammenbrachten, zeigen, dass sie noch immer auf Seiten der Bürger stehen.
Günstig, politisch umsetzbar, mit Rückenwind aus Brüssel versehen: Die Ausgangsbedingungen für einen zweiten Boom der PV sind vielversprechend. Den Startschuss dazu kann jetzt die SPD setzen, die sich genauso entschieden für eine bürgernahe und sozial gerechte Klimapolitik einsetzt wie einst für gerechte Löhne, Arbeiterrechte und Bildungschancen. Eine SPD, die die Ermächtigung der Bürger und ökologische Generationengerechtigkeit über einen faulen Koalitionsfrieden stellt – und vor allem eine SPD, die endlich wieder zupackt.
Denn eines ist in der Corona-Krise schon sehr deutlich geworden: Entschiedenes Handeln kann Menschen erreichen und damit schnelle Veränderungen ermöglichen – sogar dann, wenn es um Wahlentscheidungen geht. Daher: Trau dich, SPD!
Anmerkung der Redaktion: Am 18. Juni 2020 beschloss der Deutsche Bundestag die Abschaffung des 52-GW-Solardeckels. Aus diesem Anlass haben die beiden Autoren ihren Kommentar leicht aktualisiert.
Sebastian Sladek (li.), 1977 in Schönau geboren, studierte Klassische Archäologie in Freiburg und nahm 2008 seine Tätigkeit bei den EWS auf. Seit 2015 ist er Mitglied des Vorstands.
Der 1981 geborene Peter Ugolini-Schmidt (re.) lebt in Berlin. Er studierte Politik und Wirtschaftswissenschaften in Kassel und Valencia und ist seit 2018 Energiepolitischer Sprecher der EWS.
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