«Wir müssen neu denken!»
Ein Bericht von Constanze Wolk
Wenn sich ansonsten nichts ändert, werden die Beschlüsse der Weltklimapolitik für das ökologische Überleben der Erde kaum etwas bringen – so die Prognose von Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker.
Die Idee ist eigentlich ganz simpel: «Genügsamkeit kann schick sein, gesund und sexy», sagt Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker. Das klingt eher schelmisch und scheint zunächst auch nur plausibel, wenn man einen von zu viel Fast-Food-Konsum zum Michelin-Männchen mutierten Teenager mit dem leicht bekleideten Traumkörper eines Covergirls vergleicht. Dieses Bild garantierte dem renommierten Energiewissenschaftler bei seinem Vortrag auf dem 16. Schönauer Stromseminar im Juni 2015 viel Applaus. Aber was heißt das für die künftige Entwicklung und was bedeutet es für den Einzelnen?
Folgt man von Weizsäckers Argumenten, wird eine «Entgierung» – im Kleinen wie im Großen – ausschlaggebend für das ökologische Überleben der Erde sein. Denn die Bemühungen der Weltklimapolitik scheinen da wenig Erfolg versprechend: So seien die Weltklimaverhandlungen weitgehend zum Stillstand gekommen. Längst gehe es dabei auch nicht mehr um Klimaschutz, sondern um Kompensation der Klimaschäden. Nachhaltig sei genau genommen kein Land der Erde mehr – auch Deutschland nicht. Und das von den Vereinten Nationen geschnürte Paket der nachhaltigen Entwicklungsziele («The 17 Sustainable Development Goals») sei eine «Riesenkatastrophe». Würden die sozioökonomischen Ziele so tatsächlich weltweit verwirklicht, sei das Ende einer stabilen Atmosphäre, das Ende von reichhaltiger Biodiversität und das Ende von Leben in den Ozeanen praktisch vorprogrammiert. «Es sei denn, wir ändern viele Grundverständnisse und Politiken fundamental», erklärt der Biologe und Physiker.
Wissen, wo und wann genug ist.
Damit meint der langjährige Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik keineswegs eine Rückkehr in die Steinzeit, Stillstand oder schmerzhaften Verzicht. Das Wissen, wo und wann «genug genug ist», soll vielmehr wie ein Motor funktionieren, soll Antrieb sein für grundlegende Veränderungen beim Umgang mit Energie und folglich den Anstoß geben für die Entwicklung entsprechender technischer Innovationen. «Wir haben einen gigantischen Energieverschwendungsbedarf», so von Weizsäcker. Genau dort gelte es anzusetzen: Es geht um deutlich mehr Ressourceneffizienz und um einen wesentlich geringeren Energieverbrauch.
Denn letztlich sei nicht nur die vorhandene Fossilenergie begrenzt, sondern auch die Möglichkeiten zur Gewinnung erneuerbarer Energien nicht unendlich. So seien sich die Alpenvereine bereits heute einig darin, dass ein weiterer Ausbau der Wasserkraft nur noch massiv zulasten der Natur gehe. Und auch der flächendeckende Ausbau der Photovoltaik könne nicht die Zukunft unserer Landschaft sein.
Die Politik muss eingreifen
Für den renommierten Energiewissenschaftler macht der Ausbau erneuerbarer Energien natürlich weiterhin Sinn, zum Beispiel bei Windenergie, dezentraler Sonnenenergie und in gewissem Umfang auch bei Strom aus Abfall. Es stelle sich aber die Frage – selbst wenn die EU ihre «heilige Selbstverpflichtung» schaffen würde, bis 2020 den Anteil erneuerbarer Energien auf 20 Prozent zu erhöhen und damit eine halbe Milliarde Menschen zu 20 Prozent erneuerbare Energien nutzen: Wie viel des Gesamtproblems kann das lösen? Rechnerisch ist die Antwort global gesehen einfach: Selbst wenn eine Milliarde Menschen zu 20 Prozent erneuerbare Energien nutzen würden, wäre das gerade einmal ein Fünfunddreißigstel des «Bedarfs» der rund sieben Milliarden auf der Erde lebenden Menschen. Stelle man sich nun aber eine Verfünfunddreißigfachung der heutigen Palmöl- und Maisplantagen, der Wind- und Wasserkraft vor. Das sei «ein ökologischer Albtraum!»
Hier fundamental neu denken heißt im Sinne von Weizsäckers, den Energiebedarf grundsätzlich neu zu definieren. Mit Blick auf Nachhaltigkeit und Klimabilanz bedeute das auch: «Wir müssen politisch dafür sorgen, dass die Preise einigermaßen die ökologische Wahrheit sagen. Das schaffen die Märkte nicht.» Es gelte, gute Projekte voranzubringen und auch zu belohnen. Denn Beispiele dafür, dass eine deutlich höhere Ressourcenproduktivität technisch funktioniert und Energiesparen möglich ist, gebe es viele. So habe von Weizsäcker als Bewohner eines sogenannten Passiv-Hauses längst das Wort Heizkosten aus seinem Vokabular streichen können. Allein diesen Bereich weiter auszubauen, so bemerkt er nebenbei, wäre für das deutsche Handwerk ein Beschäftigungsprogramm für die nächsten 50 Jahre.
Entgierung – Belohung fürs Ego
«Entkopplung des Wohlstandes vom Ressourcenverbrauch» lautet das Gebot der Stunde und meint: Effizienz ist zwar wunderbar – aber in der Vergangenheit seien fast alle Effizienzgewinne durch zusätzlichen Konsum wieder aufgefressen worden. Besonders deutlich zeige sich das am Beispiel Beleuchtung. So werde Licht zwar immer billiger, es würde aber immer mehr Licht verbraucht. Um diese Spirale zu stoppen, bräuchte es lediglich eines: «Wissen, wo genug genug ist». Zugespitzt gesagt: Aufhören ohne Entzugserscheinungen und mit positiver Wirkung für eine langfristige Gesundung des globalen Systems. So gesehen macht von Weizsäckers These, dass es «schick, gesund und sexy» ist, genügsam zu sein, also durchaus Sinn. Und ähnlich wie bei einer erfolgreichen Diät und körperlichem Training wäre auch bei der «Entgierung» eine Belohnung fürs Ego drin – weil schon allein «das Gefühl, an etwas Sinnvollem, Gutem mitzuarbeiten, unglaublich befriedigend» sei.
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker, geboren 1939, ist ein deutscher Naturwissenschaftler und SPD-Politiker. Von 1998 bis 2005 war der Biologe und Physiker Mitglied des Deutschen Bundestages und führte dort unter anderem den Vorsitz der Enquete-Kommission Globalisierung und des Umweltausschusses. Von Weizsäcker war auch Gründungspräsident der Universität Kassel und des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Seit 2012 ist von Weizsäcker Ko-Präsident des Club of Rome.