Lasst uns aufhören, über den Klimawandel zu reden!
Ein Gastkommentar von Eckart von Hirschhausen
Die Klimakrise bedroht zunehmend unsere Gesundheit. Entschiedenes zivilgesellschaftliches Engagement ist die beste Therapie, so unser Autor.
Eins Komma fünf oder zwei Grad: Das klingt eher nach der Frage, ob man eine Übergangsjacke anziehen sollte oder nicht. Abstrakte Zahlen und Fotos von Eisbären haben lange Zeit verschleiert, worum es beim Kampf gegen die Klimakrise wirklich geht. Wir müssen nicht das Klima retten – sondern uns!
Ganz ehrlich, ich kann das Wort «Nachhaltigkeit» nur noch schwer ertragen – und «Klima» kommt gleich hinterher. Alles, was ich damit verbinde, klingt schnell freudlos, anstrengend, halbgar oder nach Augenwischerei. Man fragt sich: Was genau hat das mit mir zu tun?
Die Klimakrise ist auch eine Gesundheitskrise
Gesundheit beginnt nicht mit Tabletten, einer Operation oder einem MRT, Gesundheit beginnt viel früher: mit der Luft, die wir atmen, dem Wasser zum Trinken, Pflanzen zum Essen, erträglichen Temperaturen und einem friedlichen Miteinander. Alle diese fünf Lebensgrundlagen sind akut in Gefahr. Und nichts davon wird von allein besser. Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. Klimaschutz ist kein Geschenk an Klimaaktivisten, sondern die einzige Chance, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Höchste Zeit, das auch so klar zu sagen.
Das Ziel Gesundheit eint uns – quer durch die Gesellschaft hinweg, Gesundheit will jeder. Für sich und die Liebsten. Gesundheit ist ansteckend. Weltweit und ganz konkret hier. Der «Lancet Climate Countdown», der Sachverständigenrat für Umweltfragen, die Leopoldina, ein Beirat der Bundesregierung, die WHO – alle, die sich ernsthaft mit der Materie beschäftigt haben, sind sich einig: Die Klimakrise ist das größte Gesundheitsrisiko unserer Zeit. Das Positive: Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. Wer das erkannt hat, versteht auch: Das Teuerste, was wir jetzt tun können, ist nichts. Denn die Kosten des Nichtstuns im Gesundheitswesen – vom Ausfall der Infrastruktur bei Extremwetter über die Arbeits- und Produktivitätsausfälle aufgrund von Hitze bis zu den psychischen Belastungen infolge der Klimakrise – fallen deutlich höher aus als das, was uns effektiver Klimaschutz heute kosten würde. Was auch das Fachmagazin «Nature Climate Change» gerade wieder durchgerechnet hat. Fest steht auch: Je länger wir zögern, desto schlimmer wird es.
Die Mehrheit weiß oft nicht, dass sie die Mehrheit ist
Die Bereitschaft «der Anderen», Maßnahmen für den Klimaschutz mitzutragen, wird von vielen noch immer unterschätzt. Auch von Politikerinnen und Politikern, die einen verzerrten Eindruck davon haben, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist. Zahlreiche Umfragen und Studien haben in den letzten Monaten immer wieder gezeigt: Die schweigende Mehrheit wünscht sich, dass der Schutz unserer Lebensgrundlagen höchste politische Priorität bekommt. Und doch wird sie viel zu oft von einer lauten Minderheit übertönt. Das liegt leider auch daran, dass die Parolen der Populisten zwar keine Lösungen bieten, aber einfach zu verstehen sind.
Daher müssen auch diejenigen, die sich für eine enkeltaugliche Zukunft stark machen, eine Sprache sprechen, die klar macht, worum es wirklich geht. Und verständlich darlegen, was auf dem Spiel steht. Abstrakte Reduktionsziele bewegen Menschen nicht so sehr wie das Thema Gesundheit. Der Begriff «Lebensgrundlagen» ist unmissverständlich: Es geht um die Frage, ob wir auch in Zukunft noch ein gutes Leben führen können. Wohlergehen und Wohlstand sind zwei verschiedene Dinge. Und wer meint, dass Wirtschaftswachstum und Geld wichtiger sind, als die Zerstörung von Böden, Gewässern und Luft zu stoppen, kann ja mal versuchen, sein Geld zu zählen, während er die Luft anhält. Niemand kann sich eine eigene Außentemperatur kaufen – auch kein Privatversicherter.
Jede Stimme für unsere Zukunft!
Wir haben das große Glück, in einer Demokratie zu leben, in der wir uns für das, was uns wichtig ist, einsetzen können. Deshalb hat es mir viel Mut gemacht, dass in diesem Jahr Millionen Menschen für unsere Demokratie auf die Straße gegangen sind. Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Gleichzeitig bedrohen die Gegner der Demokratie die politischen Erfolge, die wir gerade auf europäischer Ebene erzielen konnten. Der europäische «Green New Deal» oder das «Nature Restoration Law» sind wichtige Schritte in die richtige Richtung, die aber durch den Erfolg rechtsextremer Kräfte bedroht und rückgängig gemacht werden. Deshalb ist auch die Europawahl so wichtig. Ich habe da einen Slogan, für die 16-jährigen Erstwählenden: «Bring die Oma mit zur Urne!» Und für alle Boomer wie mich und noch Ältere: «Schleppt eure Enkel mit ins Lokal!»
Die Älteren von uns wissen noch, dass unsere Demokratie und die Freiheiten, die uns ein geeintes Europa bietet, nicht selbstverständlich sind. Und viele von den Jüngeren haben verstanden, dass die großen Hebel in der Politik liegen. In Hinblick auf die Europawahl muss es cool sein, als ganze Familie zur Wahl zu gehen und vorher den «Klimawahlcheck» zu nutzen, um zu sehen, welche Parteien die Zukunft im Blick haben.
Nach den Protesten auf der Straße gilt es jetzt, die Zivilgesellschaft und die demokratischen Institutionen zu stärken. Die «Lobby der Vergangenheit» ist bestens organisiert und finanziert. Da fließen Millionen in politische Einflussnahme und Desinformationskampagnen. Dem müssen wir als «Lobby der Zukunft» etwas entgegensetzen – denn es geht um unsere Lebensgrundlagen. Unsere persönliche Gesundheit ist eng mit der «planetaren Gesundheit» verknüpft. Lebendige Böden und Moore, die CO2 speichern, Regenwürmer, die Äcker durchpflügen, Bäume, die Luft filtern und Städte kühlen – das sind die Heinzelmännchen unserer Zeit. Natur zu schützen ist also kein Thema für Bäume umarmende Träumer, sondern ein eigennütziges und gleichzeitig altruistisches Anliegen für alle, die sich ein gutes und gesundes Leben ohne baldiges Verfallsdatum wünschen.
Wir haben viel zu gewinnen!
Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir erkennen, dass uns die ungebrochen positive Erzählung vom stetig wachsenden Wohlstand nicht mehr weiterhilft. Wenn im Körper etwas dauerhaft wächst, ist das schließlich auch keine gute Nachricht. Gesundheit braucht Kreisläufe, in uns und um uns. Die müssen wir wiederherstellen und schützen. Was Menschen geschaffen haben, können Menschen auch wieder verändern. Vom Schutz der Lebensgrundlagen profitieren alle. Von einem «Weiter so» nur sehr wenige – und auch das nur für kurze Zeit. Menschen aus Politik, Wirtschaft und Kultur können ihren Einfluss und ihre Reichweite stärker dafür nutzen, den Menschen zu vermitteln, dass uns zwar große Veränderungen bevorstehen, wir aber auch viel zu gewinnen haben. Dass es nicht um «dieses Klimathema» geht, sondern um alles, was uns wichtig ist – eben: um unsere Lebensgrundlagen. Für die gilt es Position zu beziehen und zu kämpfen – aus guten Gründen: Wir könnten es schöner haben – und gesünder.
Dr. Eckart von Hirschhausen
Eckart von Hirschhausen, 1967 in Frankfurt am Main geboren, ist Arzt, Wissenschaftsjournalist und Gründer der Stiftung «Gesunde Erde – Gesunde Menschen». Sie mobilisiert Gesundheitswesen, Politik und Gesellschaft für den Schutz der «planetaren Gesundheit» – damit dem Schutz unserer Lebensgrundlagen und einer enkeltauglichen Zukunft oberste Priorität eingeräumt wird. Hier geht es zur Website der Stiftung.
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