Solidarisch gegen die Ungerechtigkeiten der Klimakrise
Ein Gastkommentar von Harald Welzer
Bei der Klimakrise versagen die Funktionseliten. Lippenbekenntnisse genügen nicht mehr – nun sind Solidarität und ziviler Ungehorsam gefragt.
In einem Gespräch im SPIEGEL empfahl der Bundesminister für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier seiner Gesprächspartnerin, der «Fridays for Future»-Aktivistin Luisa Neubauer, das Folgende: «Wenn Sie später als Erwachsene die Welt verändern wollen, und das hoffen wir ja alle, ist eine gute Ausbildung wichtig.» Frau Neubauer entgegnete: «Das ist ein großes Missverständnis. Wir gehen nicht auf die Straße, weil wir später als Erwachsene etwas verändern wollen, sondern weil Entscheidungsträger wie Sie jetzt handeln müssen.»
Dieser kleine Dialog erhellt schlaglichtartig die komplette Problematik der aktuellen Auseinandersetzung um den Klimaschutz. Akteure wie der Bundeswirtschaftsminister haben bis heute nicht verstanden, dass man den Klimaschutz gegenüber den üblichen Prioritäten – Wachstum, Arbeitsplätze, Bruttoinlandsprodukt et cetera – nicht weiter nachrangig behandeln kann. Denn auch Wachstum, Arbeitsplätze und vieles mehr werden nachhaltig beeinflusst, wenn die Klimaerwärmung so fortschreitet, wie es konventionelle Wirtschaftspolitik unweigerlich zur Folge hat. Überdies versteht Altmaiers Generation von Politikerinnen und Politikern nicht, dass der gefährliche Klimawandel ein fundamentales Gerechtigkeitsproblem aufwirft, das neben globaler Gerechtigkeit eben vor allem die Generationengerechtigkeit betrifft.
Die Ohnmacht der Warnenden
Für die heute 15-, 17- oder 20-Jährigen ist das 21. Jahrhundert ihr Jahrhundert. Sie sind es, die das Recht haben sollten, dieses Jahrhundert zu gestalten – und genau dieses Gestaltungsrecht wird ihnen von der gegenwärtigen, auf ganzer Linie versagenden und dies auch wissenden Politikergeneration kaltlächelnd verwehrt. Dass dabei noch auf den Wert einer guten Ausbildung verwiesen wird, setzt dem gelebten Zynismus die Krone auf: Denn die versammelte Klimawissenschaft wie auch die Biodiversitätsforschung, die Ozeanologie und viele weitere Disziplinen mehr erfahren doch in aller Deutlichkeit, dass das von ihnen bereitgestellte Wissen weitgehend ohne politische und vor allem wirtschafts- und gesellschaftspolitische Relevanz zu sein scheint.
Die zweifellos hervorragende Ausbildung eines Mojib Latif oder Hans Joachim Schellnhuber steht hier gegen die Marktmacht von Automobil-, Energie-, Agrochemie- und vielen anderen Konzernen – und verliert. Weil Politik, wie Frau Neubauer ganz richtig sagt, diese Macht nicht einhegt und zugunsten künftiger Überlebens- und Gestaltungsbedingungen sanktioniert.
Gegen den Zynismus der Funktionseliten
Es ist Unfug, wenn ein Land wie die Bundesrepublik als «Wissensgesellschaft» gefeiert wird. Es ist, wie derzeit alle reichen Länder, eine Wissensvermeidungsgesellschaft, deren Funktionseliten ganze Armadas von Argumenten gegen den wissenschaftlich unbezweifelbaren Kenntnisstand aufwenden, dass wir mit Hyperkonsum und permanentem Wirtschaftswachstum, mit Stadtgeländewagen und Kreuzfahrtschiffen, mit Glyphosat und Softdrinks nicht durch das 21. Jahrhundert kommen werden. Jedenfalls nicht alle – und das widerspricht dem Universalismus, der ja der Kern der Menschenrechte und des Selbstverständnisses moderner Demokratien ist.
Womit wir wieder beim Thema Gerechtigkeit wären, das die Jugendbewegung ins Zentrum ihres Protestes für den Klimaschutz gerückt hat. Das ist klug, denn bei allen erfolgreichen sozialen Bewegungen – der Arbeiterbewegung, der Frauenbewegung, den Bürgerrechtsbewegungen, der frühen Ökobewegung – war die vorhandene Ungerechtigkeit immer die wichtigste Antriebskraft für energischen Protest und den Willen zum Konflikt. Und natürlich gehört ziviler Ungehorsam, die gezielte, friedliche Regelverletzung, zum Repertoire erfolgreichen Protests; wenn die Schülerinnen und Schüler am Wochenende demonstrieren würden, würde sich Minister Altmaier gar nicht erst dafür interessieren.
Zeit für zivilen Ungehorsam
Gerade der zivile Ungehorsam trifft die Herrschenden, auch in der Demokratie. Dabei ist es zwar hübsch, wenn neuerdings «Scientists for Future» und «Parents for Future» sich mit den protestierenden Jugendlichen solidarisieren – aber Lippenbekenntnisse genügen hier keineswegs. Wollte man auch praktisch solidarisch sein, müsste man die Forschung, die Expertokratie, die Gremien und Räte genauso bestreiken, und da die «Parents» überwiegend berufstätig sind, müssten sie das an ihren jeweiligen Wirkungsstätten ganz genauso tun. Erst in diesem Augenblick bekäme die Forderung nach einer wirksamen Klimaschutzpolitik jenen gesamtgesellschaftlichen Rückhalt, den es braucht, um noch so potente Wirtschaftsakteure in ihre Schranken zu weisen.
Die haben heute die Rolle, die Fabrikherren im Manchesterkapitalismus hatten. Und sie werden, wenn es eine echte Klimaschutzpolitik geben soll, ihre Privilegien genauso abtreten müssen, wie die Manchesterkapitalisten zähneknirschend die Kinderarbeit und den 16-Stunden-Tag aufgeben mussten. Denn das ist die zentrale Mitteilung, die die jungen Aktivistinnen und Aktivisten den Älteren zu machen haben: Klimaschutz geht nicht im Modus des Win-win. Wer zukunftsfähig sein will, muss Verantwortung übernehmen können. Und das heißt immer auch: liebgewonnene Wahrnehmungen, Überzeugungen, Erfolgsrezepte, Weisheiten und vor allem Privilegien abgeben. Und das möglichst schnell.
Harald Welzer
1958 in Bissendorf bei Hannover geboren, ist Harald Welzer Mitgründer und Direktor der gemeinnützigen Stiftung FUTURZWEI sowie Professor für Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg. Parallel dazu lehrt er auch an der Universität St. Gallen. Im Februar 2019 erschien von ihm im S. Fischer Verlag das Buch «Alles könnte anders sein: Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen».
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«Fakten dringen kaum noch durch»
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