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Kohle: Höchste Zeit für einen «Green New Deal»

Ein Gastkommentar von Marcel Keiffenheim

Zu spät, zu zögerlich und ohne jeden Plan: So fährt die Politik den Kohleausstieg an die Wand. Richtungsweisende Impulse für Erneuerbare sind längst überfällig.

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass – so lassen sich die aktuellen Vorgaben der deutschen Energiepolitik auf den Punkt bringen. Einerseits wird die Bundesregierung nicht müde zu beteuern, den Klimaschutz wie den Kohleausstieg vorantreiben zu wollen. Andererseits schreckt die Große Koalition davor zurück, die für diese Ziele nötigen Maßnahmen zu ergreifen, mit denen ein rasches Abschalten der Kohlemeiler möglich ist und gleichzeitig der Ausbau sauberer Wind- und Solarkraftwerke sowie der dazugehörigen Speicherinfrastruktur ambitioniert vorangetrieben wird.

Die Aussichten für einen zügigen Ausstieg sind ernüchternd: Übrig geblieben vom 2019 hart errungenen Kohlekompromiss sind eher schwache, oft unverbindliche und vor allem für unsere Gesellschaft teure Vereinbarungen. Beispielhaft dafür ist der Abschaltfahrplan für Kohlemeiler samt seiner ohnehin schon laschen Zeitvorgabe: Erst 2038 soll mit der Kohleverstromung endgültig Schluss sein. Dabei wäre ein Ausstieg problemlos noch in diesem Jahrzehnt zu bewerkstelligen.

Kompromisse zulasten der Energiewende

Im selben Zuge fährt die Politik den Ausbau der Erneuerbaren sehenden Auges vor die Wand. Die Zahlen beim Zubau, vor allem der Windkraft an Land, brechen massiv ein – und auch der Ausbau der solaren Stromerzeugung bleibt weit hinter seinem Potenzial zurück. Nachbesserungen sind bisher kaum zu erkennen. Gerade mal ein «Mini-EEG-Reförmchen» wurde auf den Weg gebracht – beileibe kein großer Wurf. Ebensowenig vermag der von vielen Seiten bejubelte Kompromiss der GroKo zu überzeugen, den Förderdeckel für Photovoltaikanlagen abzuschaffen – wurde doch im Gegenzug bei der Windenergie den Ländern zugestanden, selbst über die Einführung eines Mindestabstands von bis zu 1.000 Metern zu entscheiden, was den Windkraftausbau wohl kaum beflügeln wird.

Und über alldem schwebt seit dem Frühjahr nun auch die Corona-Krise. Obwohl klar ist, dass der Kampf gegen Covid-19 auf keinen Fall dazu führen darf, beim Engagement gegen die Klimakrise nachzulassen, verschleppen die politischen Entscheider längst fällige Maßnahmen noch stärker als bereits vor der Pandemie. Der Kohleabschied vollzieht sich derweil im Schneckentempo und in lang gezogenen Etappen: Alle paar Jahre sollen mal hier, mal da Kohlemeiler vom Netz gehen, was den Betreibern erlaubt, viele ihrer CO2-Schleudern noch möglichst lange zu betreiben.

Fehlende Impulse, falsche Akzente

Aber viel schlimmer ist, dass in den Gesetzestexten zum Ausstieg nirgendwo steht, wie fossile Kapazitäten denn nun gezielt durch Erneuerbare ersetzt werden sollen. Stattdessen sind zum Beispiel Millionenzuschüsse vorgesehen, wenn kohlegefeuerte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen auf Erdgas umgestellt werden. Die Erdgaslobby jubelt – was zeigt: Derartige Regelungen setzen die falschen Akzente, weil sie das Aus für fossile Energieträger unnötig herauszögern. Dieselbe kurzsichtige und lobbyfreundliche Haltung wird erkennbar, wenn es um Speicherinstrumente für die Energiewende geht. Da nämlich setzt der Gesetzentwurf auf sogenannten «blauen Wasserstoff», der aus Erdgas hergestellt wird. Ein Großteil des anfallenden Kohlendioxids soll zwar unterirdisch eingelagert werden; die Klimabelastungen sind durch die Emissionen im Förderprozess dennoch enorm. Wasserstoff nützt der Energiewende eben nur dann, wenn er «grün» produziert wird – also etwa aus überschüssigem Windstrom. Nichts ist derzeit unnötiger als eine «Erdgas-Renaissance», im Gegenteil: Wir müssen auch diesen fossilen Energieträger schnell und konsequent ersetzen.

«Green New Deal» für die Kohleregionen

Auch fehlt im Gesetzentwurf zum Kohleausstieg jegliche Antwort auf die alles entscheidende Frage: Wie genau lässt sich die Stilllegung der Kohlekapazitäten mit einem ambitionierten Ausbau von Wind- und Solarenergie erfolgreich verknüpfen – und zwar verbindlich für alle Seiten?

Mehr als vier Milliarden Euro sollen die Betreiberkonzerne dafür bekommen, dass sie ihre Kohlekraftwerke nach und nach vom Netz nehmen. Als Minimalforderung hätte die Bundesregierung im Gegenzug eigentlich aushandeln müssen, dass die Konzerne dafür ehemalige Kohleabbauflächen abzutreten haben, die sich gut für die Errichtung von Wind- und Solarparks eignen. Diese Flächen sollten dann lokalen Bürgerenergieakteuren und Kommunen zur Verfügung gestellt werden. Eine solche gesetzliche Verpflichtung zur Nachnutzung der Kohleflächen für Ökostrom wäre zugleich ein wichtiger Baustein für ein grünes Konjunkturpaket: ein regionaler «Green New Deal», der nicht nur den Klimaschutz voranbringen, sondern auch starke Impulse für die von Corona gebeutelte Wirtschaft vor Ort setzen würde.

Auch die Bundesländer sind hier deutlich klarer in die Pflicht zu nehmen. Schließlich sollen auch sie üppig berücksichtigt werden: 40 Milliarden Euro an Finanzhilfen und Investitionen will der Bund fließen lassen. Dafür, dass insbesondere Länder mit Braunkohletagebau auch zukünftig Energieregionen bleiben wollen, hätte die Bundesregierung auf einfachste Weise sorgen können, indem sie im «Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen» den Erneuerbaren-Ausbau mit der Auszahlung von Fördergeldern verknüpft. Gelder würden dann ausbezahlt, wenn vor Ort neue Wind- und Solarparks entständen.

Zurück zur Vorreiterrolle bei der Energiewende

So wie der Kohleausstieg hierzulande angegangen wird, taugt er kaum zum internationalen Vorbild, alleine schon aus Kostengründen. Selbst ohne Pandemie würden andere Staaten zu Recht abwinken, müssten sie eine Abkehr von fossilen Energieträgern mit derart hohen Summen alimentieren. Der teuer erkaufte Ausstieg war hierzulande bei entspannter Haushaltslage vielleicht noch der breiten Bevölkerung vermittelbar – angesichts von zig Milliarden schweren Corona-Hilfspaketen ist er es nicht mehr. Jedenfalls nicht ohne klare Gegenleistungen im Sinne von Energiewende und Klimaschutz. Daher muss die Bundesregierung das ökologische Quidproquo zum Grundprinzip machen, besonders dann, wenn sie derart massive Wirtschaftshilfen auf den Weg bringt. Noch besteht die Chance, auch den deutschen Kohleausstieg dahingehend anzupassen.

Was wir jetzt brauchen, sind verbindliche Abmachungen: Volle Finanzhilfen des Bundes sollte es nur geben, wenn die Länder ihrerseits ausreichend Vorrangflächen für Erneuerbare ausweisen. All das muss verhandelt und am Ende auch gesetzlich verankert werden – etwa als Ergänzung zum Kohleausstiegs- und zum begleitenden Strukturstärkungsgesetz.

Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir als Gesellschaft eingefahrene Gewohnheiten radikal ändern und Einzelinteressen zurückstellen können. Diese Haltung gilt es auf den Kampf gegen die Klimakrise zu übertragen – denn die wird uns ohne sofortige und tatsächlich wirksame Gegenmaßnahmen weitaus schlimmer und existenzieller treffen, als es die durch den Virus verursachte Katastrophe derzeit tut.

 

Mittelalter Mann mit Glatze und Brille lehnt lässig an einem Fenster und schaut freundlich in die Kamera.
Marcel Keiffenheim

Marcel Keiffenheim leitet beim Ökoenergieanbieter «Greenpeace Energy» den Bereich Politik und Kommunikation. Vor dem Wechsel zu der Energiegenossenschaft arbeitete er zwanzig Jahre lang als Journalist, unter anderem für die Frankfurter Rundschau und das Greenpeace Magazin.

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08. Juni 2020 | Energiewende-Magazin