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Klimakabinett: Mit Vollgas in die Sackgasse

Ein Kommentar von Sebastian Sladek

Das Klimapaket ist kaum mehr als ein feiger Versuch, Untätigkeit zu verschleiern – und ein weiterer Anlass, den Kampf für den Klimaschutz zu intensivieren.

Da liegt es nun, das Klimapaket des Klimakabinetts. Sein offizieller Name: «Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050». Den Anfang machte Ende September ein schmales Eckpunktepapier, das pünktlich zu den weltweiten Massendemonstrationen zum Klimaaktionstag auf dem Tisch lag. Es bot bereits einen Vorgeschmack auf die künftige Klimaschutzpolitik der Großen Koalition. Jetzt hat sie ihre 172 Seiten starke Langversion nachgeschoben – und die Enttäuschung bleibt. Zwar gab es auch jubelnde Zustimmung, vorhersehbarerweise vom «Verband der Automobilindustrie» (VDA) oder der «Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft» (INSM), die positiven Rückmeldungen ließen sich aber an einer Hand abzählen. Ansonsten bleibt der Tenor einhellig: Von «Klimapaket bleibt hinter dem Notwendigen zurück», «Paketchen»,  «Dokument der Mutlosigkeit» über «die Regierung hat es vermurkst» oder «nachhaltiger Klimaflop» bis hin zu «#NotMyClimatePaket» reicht das Spektrum der Reaktionen.

Auch ich bin enttäuscht. Das heißt: nein, nicht wirklich. Um jetzt enttäuscht zu sein, hätte ich von diesem Klimapaket ja auch etwas Substanzielles erwarten müssen. Vieles war ja schon Tage zuvor bekannt, meine Erwartungen waren dementsprechend gering. Dennoch macht mich dieses Klimaschutzprogramm einigermaßen fassungslos: Es ist eine Melange aus Ignoranz, Unwillen und Inkompetenz und markiert einen neuen Tiefpunkt in einer mittlerweile total missratenen Klimaschutz- und Energiewendepolitik der Regierung.

Bereits beim ersten Überfliegen entpuppt sich das Papier als wildes Sammelsurium von Einzelmaßnahmen – einige durchaus sinnvoll und längst überfällig, die meisten aber eher nach dem Prinzip: «Ich nehm’s dir mit der rechten Hand und geb’s dir mit der linken wieder.»

Was dann aber unmittelbar ins Auge springt, ist die vollkommen misslungene Konstruktion des CO2-Bepreisungsmechanismus. Auf die Forderungen aus vielen Teilen der Gesellschaft nach einer sektorübergreifenden CO2-Bepreisung, die uns – dauerhaft und konsequent eingeführt – durchaus zum Ziel gebracht hätte, reagiert die Bundesregierung nun mit einer höchst eigenwilligen Antwort: Ab 2021 soll es in Deutschland einen separaten Emissionshandel für Wärme und Verkehr geben. Dabei hatte alles so vielversprechend angefangen.

Aufstieg und Fall einer großen Idee

Zwar hatte man noch im Frühjahr 2018 auf der Suche nach Gesprächspartnern zum Thema CO2-Bepreisung in der Berliner Politik oft nur unwilliges Abwinken geerntet. Doch mit der plötzlichen Wucht der «Fridays-for-Future-Bewegung» schien endlich der Knoten geplatzt: Nun musste sich die Politik der Debatte stellen – aufmerksam begleitet von Medien und Öffentlichkeit. Schnell lag eine Vielzahl interessanter Vorschläge auf dem Tisch, die Debatte wurde munterer. Die SPD befürwortete früh eine CO2-Abgabe, während die CDU/CSU mit Vehemenz steuerliche Mehrbelastungen ablehnte und das Schreckensbild eines «deutschen Sonderwegs» malte. Damit gelang es der Union schnell, die Sprachregelung auf eine «zusätzliche CO2-Steuer» zu verengen. Das Menetekel einer angeblich drohenden Mehrbelastung hatte sich schnell in den Hirnen festgefressen: In Umfragen erteilten regelmäßig zwei Drittel der Befragten einer CO2-Steuer eine Absage. Zugleich verlor die Debatte zunehmend an Intensität, das Thema schien nach langen Wochen und Monaten zerredet zu sein und der nächste stille Triumph der beharrenden Kräfte unmittelbar bevorzustehen. Und so favorisiert die Bundesregierung jetzt eben einen nationalen Zertifikatehandel für die Sektoren Wärme und Verkehr.

Zunächst zum Erwartbaren: Die SPD ist umgefallen, mal wieder. Erstaunlich, wie routiniert ihnen das mittlerweile gelingt. Es gab aber auch Unerwartetes. Schließlich dürfte es für die bekennenden Gegner eines deutschen Sonderwegs (die CDU/CSU!) eigentlich kaum einen sonderbareren Weg geben. Denn das gewählte Modell ist – im Gegensatz zu einer CO2-Steuer oder -Abgabe – europaweit ohne Vorbild.

Bedrückender geht es kaum. Statt endlich verlässliche Rahmenbedingungen für wirksamen Klimaschutz und Innovationen zu schaffen, züchtet sich die Bundesregierung nun ein Bürokratiemonster heran: Laut Experten werde es erst einmal zwei bis drei Jahre dauern, um überhaupt die notwendige Infrastruktur für einen solchen Handel aufzubauen – es handelt sich also eher um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Juristen. Ganz unabhängig davon stehen bereits Zweifel im Raum, ob ein Emissionshandel mit Fixpreis überhaupt verfassungskonform ist. Damit ist absehbar, dass es Klagen geben wird – und weitere Jahre verstreichen. Sollte dann die Verwaltung irgendwann einmal aufgebaut sein, werden wir an ihrer Nutzung stur festhalten müssen, auch wenn die Untauglichkeit für eine adäquate CO2-Preis-Bildung längst offen zutage liegt.

So würden wir tatsächlich einen fatalen Sonder- und Irrweg einschlagen, der uns über ein Jahrzehnt in einer Sackgasse ohne nennenswerte Fortschritte für den Klimaschutz gefangen halten könnte. Der 2005 eingeführte Handel mit Verschmutzungszertifikaten in der europäischen Energiewirtschaft verdeutlichte über viele Jahre, wie ein mit Zertifikaten gefluteter Markt zwar zu einem schmerzfreien Dasein, aber eben nicht zur Bildung eines angemessenen Preises für die Emission von Kohlendioxid führen kann. Doch selbst diese überdeutliche Wirkungslosigkeit des bestehenden europäischen Systems will die Bundesregierung mit ihrem nationalen Sonderweg noch toppen.

Keinerlei Lenkungswirkung abzusehen

Nach langen Jahren des Dahindümpelns müssen Stromerzeuger heute circa 25 Euro für den Ausstoß von einer Tonne Kohlendioxid bezahlen – in den dem Vorschlag der Bundesregierung vorgelagerten Debatten wurden mindesten 35 bis 50 Euro pro Tonne CO2 gefordert, ein am Restemissionsbudget errechneter Preis liegt mittlerweile gar bei 130 Euro. Da wirkt der von der Bundesregierung aufgerufene Einstiegspreis von 10 Euro mehr als realitätsfern, um nicht zu sagen dreist. Und auch der vorgegebene Anhebungspfad auf 35 Euro im Jahre 2026 ist lächerlich gering. So entsteht garantiert keine Lenkungswirkung.

Doch von der Sinnlosigkeit des Vorschlags nochmals zum Vorschlagenden; immerhin hat die Union hier ein zweites Mal komplett gepfuscht. Denn diese selbsternannten Verhinderer neuer Steuern haben mit der Festsetzung eines Mindestpreises eine De-facto-Steuer geschaffen – quasi durch die Hintertür. So ganz scheint man dem freien Spiel der Marktkräfte, das alles zum Guten lenkt, dann doch nicht trauen. Folgerichtig wird das ganze Konstrukt durch eine Preisobergrenze von 60 Euro für die Tonne CO2 abgerundet, die mindestens bis 2026 gelten soll; man wolle ja schließlich keine spekulative Preistreiberei. Es stellt sich immer mehr die Frage, wieso dieses Trugbild einer künftigen Preisbildung am Markt überhaupt durchkam, wenn nicht, um sich grundsätzlich aus der Verantwortung zu stehlen.

Nein, so kann und so wird es nicht funktionieren. Die Zeit für eine klare und konsequente, den Herausforderungen des Klimawandels angemessen begegnende Ordnungspolitik sowie für eine effektive, sektorübergreifende CO2-Abgabe ist mehr als reif. Die Menschen, die zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, haben das längst verstanden, während die Politik weiter blockt und bockt.

Wie geht es also weiter?

Es bleibt zum einen zu hoffen, dass die SPD noch so viel Selbstachtung aufbringt, diesen Humbug nicht mitzutragen. Andererseits muss gerade jetzt, da sich die Regierung feige aus der Verantwortung stiehlt, jeder Einzelne seine Verantwortung erkennen und wahrnehmen. Und das bedeutet, die Möglichkeiten des eigenen Handelns auszuschöpfen und gleichzeitig weiter für einen konsequenten Klimaschutzpolitik auf die Straße zu gehen.

Denn dieses «Klimapaket» ist – in all seiner ignoranten Unzulänglichkeit – eine Provokation, eine Kampfansage. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ihren Urhebern schon schwant, dass genau diese Zumutung paradoxerweise den Zustrom zu denen stärken könnte, die seit Jahrzehnten gegen energie- und klimapolitischen Unfug kämpfen, demonstrieren, zivilen Widerstand leisten. Die Anti-AKW-Bewegung jedenfalls war und ist ein ermutigendes Beispiel dafür, dass der Druck der Straße eine sinnvolle und zukunftsweisende Politik erzwingen kann.

 

Am 9. Oktober 2019 hat das Bundeskabinett das «Klimaschutzprogramm 2030» beschlossen. Aus diesem Anlass hat Sebastian Sladek seinen Kommentar vom 30. September geringfügig angepasst.

 

Sebastian Sladek, Vorstand der EWS, in blauem Hemd vor efeubewachsenem HIntergrund
Sebastian Sladek

geboren 1977, ist in Schönau im Schwarzwald aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er studierte Klassische Archäologie in Freiburg und nahm 2008 seine Tätigkeit bei den EWS auf. Seit 2011 ist er dort in geschäftsführender Verantwortung und seit 2015 auch Mitglied des Vorstands.

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10. September 2019 | Energiewende-Magazin