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Die schwarze Witwe Rosatom

Ein Gastkommentar von Jürgen Döschner

Bei Putins Atombehörde Rosatom laufen alle Fäden zusammen. Und jeder Staat, der auf Atomkraft und Nuklearbewaffnung setzt, ist letztlich von ihr abhängig.

Es gibt wohl keinen anderen Wirtschaftszweig, der international so eng verwoben, so stark von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägt ist wie die Nuklearwirtschaft. Und zugleich auch keine andere Branche, deren Produkte und Hinterlassenschaften derartige massive Risiken für die Menschheit darstellen. Wollte man ein Bild davon zeichnen, es zeigte wohl ein weltumspannendes Spinnennetz – mit der fettesten aller Spinnen in der Mitte: «Rosatom». Sie ist so mächtig, dass selbst nach Putins Überfall auf die Ukraine, nach einer Serie von brutalen Kriegsverbrechen und mittlerweile acht EU-Sanktionspaketen die Geschäfte von und mit Rosatom gänzlich unberührt blieben – und vermutlich auch weiterhin bleiben. Ausgerechnet die Herren über Uran und Plutonium, über den Brennstoff für weltweit Hunderte von Atomreaktoren und den Baustoff für die gefährlichsten Waffen der Welt, sind unberührbar. Warum?

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Da wäre zum einen die schiere Größe: Rund 275.000 Menschen, so schreibt das österreichische Umweltbundesamt in einem Hintergrundpapier, arbeiten in den etwa 300 verschiedenen Unternehmen dieser Atom-Holding – 90.000 davon allein im militärischen Bereich. Und mit ihren über den Globus verteilten zahlreichen Unternehmen und Beteiligungen verfügt Rosatom über Kenntnisse und Ressourcen in sämtlichen Sektoren der Nuklearwirtschaft – von der Uranförderung und -anreicherung bis zur Brennelementefertigung, von der Forschung über den Bau bis zum Abriss von Atomreaktoren, von der Konstruktion über die Herstellung bis zur Wartung von Atomwaffen. Rosatom ist nicht irgendeine fette Spinne im globalen Netz der Nuklearbranche – sie ist die gefährlichste, die «Schwarze Witwe» unter den Spinnen.

Größe, Unberührbarkeit und Gefährlichkeit schöpft Ros­atom aber nicht allein aus Umfang und Art seiner Ge­­schäfte, sondern auch aus der engen Verbindung zur politischen Macht. Denn Rosatom ist kein klassisches Unternehmen, sondern eine Behörde, die «Föderale Agentur für Atomenergie Russlands» – und somit direkt der russischen Regierung unterstellt beziehungsweise ihrem Präsidenten, Wladimir Putin. Und der setzt eben nicht nur Gas und Öl, sondern auch Uran und all das Gefährliche, das sich daraus fertigen lässt, als politische Waffe ein.

Atoms for War?

Dabei kommt ihm zugute, was westliche Atomkraft-Nationen gerne zu verbergen versuchen, nämlich die enge Verbindung zwischen der sogenannten «friedlichen» und der «militärischen» Nutzung der Atomkraft. Alle Staaten, die über Atomwaffen verfügen, betreiben auch Atomkraftwerke. Und alle Staaten, die gern Atomwaffen hätten, steigen in die Atomenergie ein. Das bekannteste Beispiel ist Iran, wo Russland maßgeblich an der Fertigstellung des AKW Buschehr beteiligt war. Inzwischen hat Rosatom mit zahlreichen anderen Staaten in der Region Verträge oder Vorverträge zum Bau von Atomreaktoren abgeschlossen – so mit Ägypten, der Türkei, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Stets geht es nicht allein um den Bau von AKWs, sondern um die Errichtung einer kompletten nuklearen Infrastruktur. Das muss nicht zwangsläufig in der Herstellung von Nuklearwaffen münden – dennoch ist das Risiko einer Entwicklung wie im Iran durchaus gegeben.

Doch die militärische Abhängigkeit im nuklearen Be­­reich ist längst nicht auf Möchtegern-Atomwaffen­staaten beschränkt. Selbst die USA sind in gewisser Weise von Rosatom abhängig – auch, wenn es um ihr Atomwaffen-Arsenal geht. Denn die Sprengköpfe benötigen zur Verstärkung ihrer Sprengkraft in regelmäßigen Abständen Tritium. Weil die USA seit geraumer Zeit nicht mehr über eigene Urananreicherungsanlagen verfügen, müssen sie den Brennstoff für die – indirekt auch militärisch genutzten – Atomreaktoren importieren. Da Rosatom weltweit die Nummer zwei im Bereich der Uranreserven und des Uranabbaus sowie die Nummer eins bei der Urananreicherung ist, dürfte es selbst den USA schwerfallen, auf diesen «Partner» zu verzichten. So kann es theoretisch passieren, dass die USA zur Ertüchtigung ihrer eigenen Atomwaffen mehr oder weniger indirekt Geschäfte mit dem Nuklearkonzern jenes Staates machen, der den Westen mit seinen Atomwaffen bedroht – sozusagen «brothers in nuclear arms».

Atoms for Peace?

Während diese Abhängigkeiten sich eher unterhalb des öffentlichen Radars abspielen, wird an anderer Stelle auf offener Bühne absurd anmutendes Nuklear-Theater präsentiert: In der Ukraine hat Putin Rosatom direkt in den Krieg einbezogen, hat die Atombehörde gewisser­maßen als «nukleare Hilfstruppe» das AKW Saporischschja besetzen lassen. Gleichzeitig wird in dem Land mit 15 aktiven Atomreaktoren die Stromversorgung systematisch zerbombt – und damit auch die Achillesverse eines jeden Kernreaktors gefährdet. Das AKW Saporischschja wird sogar immer wieder direkt beschossen. Und mitten in die­sem Raketen- und Granatenhagel steht die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) und versucht, den Ruf der Atomkraft als «sichere und friedensstiftende Energie» zu retten. Wie tut sie das? Nicht etwa, indem sie laut Alarm schlägt, die internationale Gemeinschaft wachrüttelt, vor der möglichen Katastrophe warnt und Druck auf den Kreml ausübt. Nein, die IAEO verhält sich exakt so, wie man sich als PR-Agentur für Atomkraft eben verhält: Sie wiegelt ab, schweigt und lässt die Verantwortlichen im Dunkeln.

Doch wie kann es sein, dass die ganze Welt, einschließlich der EU und USA, angesichts des russischen Terrors in der Ukraine sowie der Besetzung des größten europäischen Atomkraftwerks durch russisches Militär und Rosatom-Hilfstruppen unbeeindruckt ihre Geschäfte mit ebendieser Rosatom machen – und so auch noch den russischen Terror in der Ukraine mitfinanzieren?

Abrüstung und Atomausstieg

Die Antwort ist einfach und kompliziert zugleich: Das Problem liegt in der Konsequenz, die ein Beschluss zum Boykott von Rosatom erfordern würde. Notwendig wäre eine Abkehr von der Atomkraft und eine atomare Abrüstung auf breiter Front. Es geht nicht allein um jene europäischen Staaten wie Finnland, Ungarn, Bulgarien oder Tschechien, die direkt von russischen Brennelementen abhängig sind, sondern um sämtliche Abhängigkeiten und Verflechtungen im zivilen und militärischen Nuklear­bereich. Aus diesen Abhängigkeiten kann man sich nicht – wie beim Öl oder Gas – mal eben durch Verträge mit neuen Lieferanten lösen. Russland, Rosatom ist der größte Player im globalen Nuklearsektor. Es darf bei dieser brisanten Technologie mit ihren brisanten Stoffen und Produkten keine wie auch immer geartete Abhängigkeit von einem verbrecherischen Regime wie dem des Wladimir Putin geben. Und die einzige Garantie für diese Unabhängigkeit wäre der vollständige Ausstieg aus der kommerziellen wie auch militärischen Nutzung der Atomkraft. 

 

Titelfoto: Blick von oben auf den schnellen Brüter BN-800 (Foto: Rosatom)

 

Portrait eines Mannes mit grauem Haar und Bart, der offen in die Kamera blickt.
Jürgen Döschner

Jürgen Döschner, 1957 in Duisburg geboren, studierte Journalistik, Germanistik und Geschichte in ­Dortmund. Er ist seit 1984 Redakteur und Reporter beim WDR – unter anderem von 1997 bis 2002 Korrespondent und Studio­­leiter im ARD-Hörfunkstudio Moskau. Seit 2003 widmet sich Döschner insbesondere den Themen Energie, Klima und Investi­ga­tives. Von 2011 bis 2017 war er offizieller ARD-Energieexperte. 

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