Der Erdgasausstieg muss kommen!
Ein Gastkommentar von Nadine Bethge
Entweichendes Methan macht fossile Gase zum Klimarisiko. Höchste Zeit, die Infrastruktur am Klimaschutz auszurichten – und aus Erdgas auszusteigen.
Erdgas ist so dreckig wie Kohle. Nur sieht man es nicht: Weder erzeugt es Rauch, noch rieselt Ruß auf Landschaft und Häuser. Viele halten Erdgas deshalb für eine saubere Energiequelle – da kann man schnell vergessen, dass auch Erdgas klimaschädliche Emissionen verursacht. Vor allem das in die Atmosphäre gelangende Methan, das bei Gewinnung, Förderung und Transport des Erdgases entweicht, wird zu wenig in die Rechnung einbezogen. Dabei wirkt Methan kurzfristig stark klimaschädigend und trägt dazu bei, dass wir schneller als erwartet auf gefährliche klimatische Kipppunkte zusteuern.
Betrachtet man die CO2-Emissionen durch Erdgasverbrennung gemeinsam mit dem längs der Lieferkette emittierenden Methan, dann ist der angebliche Klimavorteil gegenüber der Kohle schnell dahin. Und dennoch werden fleißig neue Gasleitungen gebaut, Gasheizungen installiert und Gaskraftwerke errichtet. Während bei Kohle- und Atomenergie der Ausstieg endlich beschlossene Sache ist, wollen die Verfechter fossiler Energien bei Erdgas noch einmal voll aufdrehen. Dessen ungeachtet müssen wir einen Ausstieg sofort in Angriff nehmen, um die Klimakrise abmildern zu können.
Die Lobby spielt auf Zeit
Unser Energiesystem muss umgehend fossilfrei werden. Das zeigt auch der aktuelle Bericht des Weltklimarats IPCC in aller Klarheit und Dringlichkeit: Die Klimakrise kommt wohl noch schneller und heftiger als bislang prognostiziert. Unser Restbudget an Treibhausgasemissionen, um das in Paris verabschiedete 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, ist so gut wie aufgebraucht.
Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so: Im März 2021 hat es verkündet, dass das deutsche Klimaschutzgesetz zu Teilen verfassungswidrig ist. Schon heute müsse daher mehr für das Klima getan werden, um die Lasten nicht allein auf Jüngere und kommende Generationen zu verschieben und sie damit ihrer Zukunftschancen zu berauben. Das heißt, dass all unser Handeln ab jetzt mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar sein muss. Und daran muss sich auch die Energieinfrastruktur messen lassen. Daher sollte nur noch eine Infrastruktur errichtet werden, mit der sich die notwendige Reduktion der Emissionen auch tatsächlich erreichen lässt.
Doch die Realität sieht anders aus: Gezielt versucht die Erdgaslobby, sich ein grünes Image zu verpassen, indem sie suggeriert, Erdgas könne uns den Weg in eine grüne Energiezukunft bereiten. Nicht ohne Erfolg, denn die Klimabilanz von Erdgas ist für Laien schwer einzuschätzen, gerade weil Informationen zu den Methanleckagen fehlen (und auch zurückgehalten werden). Derweil baut die Fossilbranche weiter fleißig ihre Infrastruktur aus – ohne Rücksicht auf die gesetzten Klimaziele.
Dies gilt insbesondere für Erdgasleitungen und Flüssigerdgas-Terminals. Möglich machen dies Regelungslücken im Energiewirtschaftsgesetz, dem rechtlichen Rückgrat des deutschen Energiesystems. So werden in den Jahren 2020 bis 2030 rund 8,5 Milliarden Euro in neue Gasleitungen investiert, obwohl sie den Klimazielen zuwiderlaufen. Bei 60 Jahren Lebensdauer ist diese Infrastruktur auch 2080 noch vorhanden – zu einem Zeitpunkt, an dem wir längst bei Netto-Null-Emissionen angekommen sein müssen. So kann es nicht weitergehen: Wir müssen dem Erdgas die Leitung kappen und die Finanzmittel stattdessen in den Ausbau der Erneuerbaren stecken!
Klimaschutz im Gesetz verankern
Der entscheidende Hebel dafür ist das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Es regelt unter anderem den Aus- und Umbau von Strom- und Gasnetzen sowie die dazugehörigen Genehmigungsverfahren. Hier muss der Klimaschutz als übergreifender Zweck des Gesetzes festgelegt werden – als Leitmotiv jeglicher Energieinfrastrukturmaßnahmen.
Auch an weiteren Stellen im Energiewirtschaftsgesetz ist die Einhaltung von Klimazielen explizit einzufordern. Bei der Planung von Gasleitungen fallen bisher nur die Schlagworte «bedarfsgerechter Ausbau» und «Versorgungssicherheit» – zum Thema Klimaschutz findet man kein Wort. Also kann dem Bau von Erdgasleitungen bisher kein gesetzlicher Riegel vorgeschoben werden. Das muss sich ändern!
Zudem benötigen wir ein verlässliches Planungsziel, das eine Gasversorgung ohne fossiles Gas bis allerspätestens 2040 festschreibt. Zudem sollte Erdgas – in großem Maßstab – durch grünen Wasserstoff ersetzt werden, der auf Basis von Erneuerbaren Energien hergestellt wird.
Grüner Wasserstoff ist allerdings ein teurer und knapper Energieträger, dessen Erzeugung mit hohen Umwandlungsverlusten einhergeht. Bei der Förderung von Wasserstoffanwendungen müssen deshalb klare Kriterien gesetzt werden: Das Prinzip «Efficiency First» ist bei der gesamten Herstellungskette zu beachten. Zudem sollte man jetzt die politischen Weichen stellen, um zu garantieren, dass grüner Wasserstoff künftig im Sinne der Klimaziele gefördert und zielgerichtet eingesetzt wird.
Grünen Wasserstoff werden wir auch importieren müssen. Deshalb sind Energiepartnerschaften mit Ländern, für die ein Wasserstoffexport nach Europa infrage kommt, zu entwickeln. Dabei kommt klar formulierten Nachhaltigkeitskriterien eine besonders wichtige Rolle zu. Essenziell ist an dieser Stelle auch die Forderung nach Methanmessungen entlang der gesamten Lieferkette, die die bisher gängigen Schätzungen zur Höhe der Emissionen ersetzen – denn nur so erhalten wir eine ehrliche Erdgasbilanz. Effektive Maßnahmen zur Prüfung, Überwachung und Berichterstattung von Emissionen sind gefragt – als wichtige Voraussetzung für einen fairen Dialog um den Ausstieg.
Ein Ausstiegsdatum für Erdgas
Die rechtlichen Vorgaben für die Planung unserer Energieinfrastruktur bedürfen also dringend der Anpassung – eine Aufgabe für die ersten 100 Tage der neuen Bundesregierung. Denn mit Klimaschutz als Leitmotiv des EnWG wird sich schnell ganz automatisch klären, welche Pipeline noch gebaut oder weiterbetrieben werden darf – und wie hoch der Anteil an nichtfossilem Gas zum jeweiligen Zeitpunkt sein muss.
Angesichts des knappen Budgets an Treibhausgasemissionen, das uns von einer Erhitzung über 1,5 Grad Celsius trennt, kann es darüber hinaus nur einen Weg geben: Der Ausbau und der Umbau unserer gesamten Energieinfrastruktur muss ab sofort direkt an verbindliche Klimaziele gekoppelt werden. Fossile Infrastrukturen dürfen schlicht nicht mehr geplant und gebaut werden. Und: Erdgas ist nicht besser als Kohle – auch ein Ausstiegsdatum für diesen fossilen Energieträger ist daher dringend geboten.
Nadine Bethge, Deutsche Umwelthilfe (DUH)
Nadine Bethge, 1977 in der Altmark im Norden von Sachsen-Anhalt geboren, studierte Landschaftsplanung an der Technischen Universität Berlin und arbeitete von 2007 bis 2012 in Kommunikationsabteilungen verschiedener Solarunternehmen. Seit 2013 ist sie bei der DUH. Sie begleitete und moderierte die Bürgerdialoge zum Stromnetzausbau in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Seit 2019 ist sie bei der DUH stellvertretende Bereichsleiterin für «Energie und Klimaschutz».
Studie «Was Erdgas wirklich kostet: Roadmap für den fossilen Gasausstieg im Wärmesektor»
Die Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) im Auftrag der EWS zeigt: Die Verbrennung von Erdgas zur Wärmeerzeugung ist weit klimaschädlicher als vielfach angenommen – und: Eine regenerative Wärmewende ist möglich. Voraussetzung dafür ist allerdings ein Sofortmaßnahmenpaket aus Preisinstrumenten sowie angepassten rechtlichen und planerischen Rahmenbedingungen. Die im Juni 2021 veröffentlichte Studie können Sie hier als PDF downloaden.
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