Demokratie statt gut und böse
Gastkommentar von Fritz Reußwig, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
Trotz großer Zustimmung zur Energiewende nehmen Widerstände bei konkreten Projekten eher zu. Was tun, um die Akzeptanz für Veränderung zu stärken?
Alle Umfragen zeigen: Die Energiewende wird in Deutschland von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Dennoch nehmen lokale Konflikte um den Wind- und Netzausbau zu, teilweise wird auch die Tonlage deutlich ruppiger. Warum ist das so?
Fast 80 Prozent der Deutschen leben in Städten. Die meisten Energiewendeprojekte finden dagegen im ländlichen Raum statt. Genau dort kommt es häufig zu Widerstand. Die städtisch geprägten Umfragemehrheiten überdecken also die ländlich geprägte Konfliktrealität. Wird allerdings nicht allgemein nach der Energiewende gefragt, sondern nach deren Umsetzung, nehmen die kritischen und unzufriedenen Stimmen zu: «Zu teuer, zu abgehoben, nicht gerecht genug», lauten viele Aussagen, nachzulesen im «Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende 2019».
Zugleich ist zu beobachten, dass manche Gegeninitiativen sich immer häufiger populistischer Argumente und Vorgehensweisen bedienen, was mit der zunehmenden Polarisierung unserer Gesellschaft zusammenhängt, die seit einiger Zeit auch die Energie und Klimapolitik erfasst hat. So stehen auf der einen Seite Akteure wie «Fridays for Future», laut derer Klimaschutz viel schneller und radikaler umgesetzt werden müsse – auf der anderen zum Beispiel die AfD, für die ein menschengemachter Klimawandel nicht existiert und die sich durch mehr Klimaschutz gar bedroht fühlt.
Beide Positionen sind «laut» und in den Medien präsent. Dazwischen steht die «schweigende Mehrheit», die den Klimawandel als Sachverhalt akzeptiert und die Energiewende grundsätzlich richtig findet. Doch auch viele dieser Menschen haben noch Zweifel und Fragen, ob das alles klappt, was es für sie und ihre Umgebung konkret bedeuten wird und welche Rolle sie dabei spielen.
Zwischen schweigenden Mehrheiten und Populismus
Ich bin mir sicher, dass der Erfolg der Energiewende von dieser schweigenden Mehrheit abhängt. Um nicht falsch verstanden zu werden: Aus Sicht des Klimaschutzes hat Fridays for Future absolut recht. Uns bleibt nur noch wenig Zeit, das bisherige Tempo der Energiewende reicht nicht aus. Doch für eine gesellschaftliche Akzeptanz hinsichtlich einer schnellen und tiefgreifenden Energiewende genügt der Hinweis auf die schlimmen Klimafolgen und auf die Klimaziele nicht. Wir müssen uns vielmehr den Fragen stellen, sie glaubwürdig beantworten – und dabei die soziale Gerechtigkeit der Energiewende gewährleisten.
Hier kommt der Populismus ins Spiel. Seinem Narrativ zufolge teilt sich die soziale und politische Welt in Gut und Böse – und «böse» sei die politische Elite (geworden), da sie sich vom «wahren» und «guten» Volk entfernen würde. Sie mache nur noch Politik für «böse» Minderheiten, als deren Inbegriff ökologisch argumentierende (angeblich aber nur am Öko-Profit orientierte), multikulturelle und extrem tolerante städtische Schichten identifiziert werden.
Hatte der vorwiegend rechts codierte Populismus in Deutschland lange nur die Themen Euro und Migration auf der Agenda, gerieten in letzter Zeit auch Klimaschutz und Energiewende ins Visier. Die lokalen Befürworter der Energiewende werden als Feinde und als geldgierige Profitjäger ohne Bezug zum Gemeinwohl dargestellt.
Setzt sich der Energiewende-Populismus durch – und das ist wohlgemerkt noch nicht der Fall! –, könnte ein Motto aus der Anti-AtomBewegung abgewandelt wiederkehren: «Windkraft weder hier noch anderswo!» In populistischer Logik werden aus Andersdenkenden Feinde. Also wird auch der Umgangston rauer – bis hin zu Gewaltandrohungen. So gerät die Energiewende von zwei Seiten unter Druck: «Von oben» wird sie durch Akteure wie die AfD oder mancher Dachorganisationen des Protests angegriffen, «von unten» wird sie durch sich radikalisierende Vor-Ort-Proteste ausgebremst.
Für eine Bürgerenergiewende
Was heißt das jetzt für das Akzeptanzproblem? Diese Frage untersuchen wir am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in einem aktuellen Forschungsvorhaben. Unsere ersten, noch vorläufigen Schlussfolgerungen lauten:
- Die Akzeptanzfrage wird bei der schweigenden Mehr entschieden – nicht bei der (sehr) lauten Minderheit.
- Es lohnt sich trotzdem, auch mit der lauten Minderheit zu sprechen. Dabei sollte man nach unserer Erfahrung nicht sofort dagegen argumentieren, sondern erst einmal anhören, was genau zur Gegnerschaft geführt hat.
- Die schweigende Mehrheit kann für die Energiewende gewonnen werden – aber nur, wenn diese nicht mit (als ungerecht empfundenen) Belastungen verbunden ist, sondern stattdessen direkte oder indirekte Vorteile bietet.
- Wir brauchen einen Abbau der Barrieren zum Strommarkt für kleine, lokale Akteure – denn das Design der Energiewende hat jahrelang große Player systematisch bevorzugt und die kleinen (wie beispielsweise Energiegenossenschaften) benachteiligt. Zudem benötigen wir eine frühzeitige informelle Beteiligung auf Augenhöhe statt formaler Verfahren, in die man sich erst einbringen kann, wenn die Würfel längst gefallen sind.
- Wir sollten dafür sorgen, dass potenziell «abgehängte» Regionen profitieren – was bedeutet, die vorwiegend auf dem Land stattfindende Energiewende stärker an ländliche Entwicklungsprozesse zu koppeln.
- Wir müssen in den Städten vorankommen, dort schlummern noch immer ungenutzte Potenziale für Erneuerbare, von PV bis Erdwärme. Diese müssen dringend aktiviert werden, um ländliche Räume zu entlasten.
- Wir brauchen Informations- und Clearingstellen für Bürgerfragen. Die Energiewende hat zwar wie ein riesiges Bildungsprogramm für die deutsche Bevölkerung gewirkt – doch blieben dabei oft noch viele Fragen offen, was Frustration erzeugte. Projektierer und Betreiber können hier recht wenig ausrichten, leiden sie doch auch immer wieder an einem Glaubwürdigkeitsproblem. Daher benötigen wir Foren, in denen Bürgerfragen beantwortet und Diskussionen organisiert werden, damit sich insbesondere die schweigende Mehrheit vor Ort eine versierte Meinung bilden kann. Und wir brauchen das nicht in Berlin, sondern an den Brennpunkten vor Ort. Hierbei könnten und sollten die Länder helfen.
Diese Liste ist längst nicht vollständig. Aber wenn wir sie abarbeiten würden, kämen wir in Sachen Akzeptanz ein großes Stück weiter. Geschieht dies alles jedoch nicht, könnte es populistisch argumentierenden Akteuren vermehrt gelingen, lokale Proteste zu «kapern» und Konflikte vollends unlösbar zu machen. Dann wäre – so meine Befürchtung – nicht nur die Energiewende am Ende, sondern auch unsere Demokratie.
Dr. Fritz Reusswig
Fritz Reusswig, 1958 in Hasselroth (Hessen) geboren, studierte Soziologie und Philosophie in Frankfurt am Main. Seit 1995 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und leitet dort das Projekt «DemoKon» (Eine demokratische Konfliktkultur der Energiewende).
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