AKW Beznau von der Ferne gesehen
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Die ältesten Reaktoren der Welt stehen nur 10 km von der deutsch-schweizerischen Grenze entfernt. Ihre Laufzeitverlängerung birgt Risiken.

Wie viel Kühlwasser soll noch den Rhein runter fließen?

Als die beiden Blöcke von Frankreichs ältestem AKW, im elsässischen Fessenheim, noch in Betrieb waren, konnten viele Menschen in Baden-Württemberg ad hoc die Frage beantworten, wie weit sie von ihm entfernt wohnen. Beim ältesten Atomkraftwerk der Welt, das keine 10 Kilometer von der Deutsch-Schweizer Grenze entfernt liegt, sieht die Sache schon anders aus. Zwischen dem Freiburger Münster und den Reaktorblöcken Beznau 1 (1969) und Beznau 2 (1971) liegen knapp 57 km Luftlinie. Die Frage nach der Anzahl der grenznahen Schweizer AKW können vermutlich auch nur die wenigsten in Südbaden beantworten. Es sind vier, neben den 55 und 53 Jahre alten Blöcken von Beznau gibt es noch den 40 Jahre alten Siedewasserreaktor von Leibstadt, direkt am Hochrhein, gegenüber von Waldshut-Tiengen. Und den 45 Jahre alten Druckwasser-Reaktor in Gösgen, 20 km von der Deutsch-Schweizer Grenze entfernt.

Wie ein Schweizer Uhrwerk?

Eine Frage der Entfernung scheint es nicht zu sein, dass die Schweizer AKW die Menschen im Ländle weniger emotionalisieren als die seit 2020 stillgelegten Altmeiler von Fessenheim. Vielleicht ist es das diffuse Gefühl, dass im Land von Präzisionsuhren und pünktlichen Zügen bei der Atomkraft schon alles mit rechten Dingen zugehen muss.

Es gibt einige Dinge, die dieses Ur-Vertrauen durchaus erschüttern könnten. Reaktorstahl altert, auch in der Alpenrepublik, das liegt an jahrelangem Neutronenbeschuss sowie Druck und Temperatur-Beanspruchung im Reaktordruckbehälter – diese physikalischen Gesetzmäßigkeiten gelten weltweit. Nun kann man diese Behälter, die Herzstücke der Reaktoren nicht austauschen. Aber ihre alten Deckel wurden beide 2015 in Beznau durch neue ersetzt. Der Betreiber betonte vor 9 Jahren, dass es jetzt gar nicht wirklich notwendig gewesen wäre, man habe für einen Deckel halt mal vorsorglich 50 Millionen Fränkli ausgegeben.

Topf und Deckel sind gleich alt – Sprödbruch-Risiko

Es gibt einen weiteren deutlichen Indikator dafür, dass der Reaktorstahl durch den jahrelangen Temperatur-, Druck- und Neutronen-Stress längst nicht mehr so geschmeidig ist, wie er sein sollte. Schon 2016 sorgte eine Recherche von WDR und Süddeutscher Zeitung für Aufregung, als aufgedeckt wurde, dass Europäische Altmeiler – darunter die bereits abgeschalteten französischen Reaktoren - ihr Notkühlwasser vorwärmen. «Das ist von der Auslegung her nie vorgesehen», erklärte Atomsicherheits-Experte Manfred Mertins. Das Wasser mit dem der Reaktor im Notfall geflutet werden muss, um die atomare Kettenreaktion schnell zum Erliegen zu bringen, wird auf geriatrisch-gemütliche 30 °C vorgewärmt. «Der Druckbehälter würde dem Temperaturunterschied zwischen dem rund 300 °C heißen Betrieb und dem mit 5 bis 10 °C einschießenden Kühlwasser nicht standhalten», schrieb die Aargauer Zeitung vor mittlerweile 8 Jahren. Je spröder der Stahl, desto weniger verträgt er plötzliche Temperaturunterschiede.

«Bei solch einer Maßnahme sträubt sich wirklich alles in mir», sagte seinerzeit Nuklearsicherheits-Experte Wolfgang Renneberg, vormals Deutschlands oberster Atomaufseher. Wer einmal ein heißes Glasgefäß mit kaltem Wasser übergossen hat, weiß, dass das spröde Glas zerbirst. Auch wenn bei einem Stahlbehälter nicht zwangsläufig die Scherben in alle Richtungen fliegen, es reicht, wenn irgendwo ein Riss zum Bruch kommt und ein Kühlwasserverlust zur Kernschmelze führt. Der ältere der beiden Reaktorzwillinge stand schon mal zwischen 2015 und 2018 fast 3 Jahre still – wegen Reaktorstahl-Problemen. 2018, zwei Jahre nach den Enthüllungen von WDR und SZ, wurde der Notkühlwasser-Wert von 30 °C übrigens als Mindestwert in die Technischen Spezifikationen von Beznau 1 aufgenommen.

Schweizer Atomkraft: Überzeitbetrieb ohne Befristung?

Die Schweizer AKW-Betreiber wollen nun das OK für eine 60-jährige Laufzeit. Die Menschen in Süddeutschland, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Meiler leben, sollen dazu nicht gefragt werden. Der Trinationale Atomschutzverband, TRAS, sieht in der Verweigerung einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP, einen Verstoß gegen das Völkerrecht (Espoo-Konvention, Aarhus-Konvention). Der Weiterbetrieb gefährde die Sicherheit der Bevölkerung in der Schweiz, Deutschland und Frankreich. Ein Unfall kann die Trinkwasserversorgung mehrerer Millionen Menschen gefährden (Rhein, Bodensee). Der TRAS ist ein Zusammenschluss von atomkritischen Gemeinden, Organisationen und Einzelpersonen, dessen Engagement einen großen Beitrag zur Abschaltung von Fessenheim geleistet hat. Auch die EWS Schönau unterstützen den TRAS durch ihre Mitgliedschaft.

Schweizer Atomstrom mit Putins Brennstoff

Neben der unmittelbaren Gefährdung durch die Schweizer Altmeiler bereitet die Eidgenössische Nonchalance in Punkto Importabhängigkeit massive Zahnschmerzen. Denn bis zur Mitte (Leibstadt) bzw. bis zum Ende des Jahrzehnts (Beznau) sollen die AKW noch mit Uran-Brennstoff aus Russland laufen. Die Begründung des Betreibers Axpo verstört: «Wenn Sie einen bewährten Lieferanten haben ... wechselt man nicht so einfach.»

Nachholbedarf bei Erneuerbaren

Am 9. Juni haben die Schweizerinnen und Schweizer über Ihr Stromgesetz («Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien») abgestimmt. Fast 70 Prozent votierten mit «Ja». Die Schweizer Energiestiftung, SES, zeigte sich «überwältigt und dankbar für diese historische Zustimmung zur Energiewende, dem Klimaschutz und dem Atomausstieg.» Das Gesetz bietet stabile Rahmenbedingungen für den notwendigen Ausbau von Solar- und Windenergie.

Dieser ist wichtig, auch im nachbarschaftlichen Kontext: mit einer Pro-Kopf-Produktion von 558 Kilowattstunden (kWh) Solarstrom (vergl.: Deutschland: 726 kWh) zeigt die Schweiz laut einer SES-Studie noch einen nennenswerten Rückstand zu Nachbarländern. Bei der Windkraft wird es noch deutlicher: 19 kWh pro Kopf. Deutschland liegt mit 1685 kWh 88-fach darüber – wobei sich Süddeutschland dafür keinen Orden anheften kann. Diesseits und jenseits des Rheins ist also noch Ausbaubedarf, die gemütliche Vorstellung, dass der Norden schon für den Strombedarf des Südens geradestehen könnte, stößt gerade an technische, geografische und preisliche Grenzen.

Egal wie man es dreht und wendet: Ob unsere Nachbarn stärker auf den klimafreundlichen Strom aus Wind- und Sonne setzen oder ihre Altmeiler ausreizen wollen, geht alle Anrainer:innen diesseits und jenseits des Rheins etwas an. 

Bildnachweis: 

Titelbild: AKW Beznau. Foto: Joachim Kohler, Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
Fotomontage: Eva Stegen
Abbildung:  Produktion von Solar- und Windenergie der Schweiz im internationalen Vergleich, SES

Einladung zur TRAS Mitgliederversammlung

Am 26. Juni diskutiert in Freiburg der trinationale Atomschutzverband TRAS über die nukleare Bedrohungslage in Süddeutschland. Es wird die Auftaktveranstaltung zur Gründung des «Netzwerk Klima- und Atomschutz Süddeutschland.» Die Teilnahme an der öffentlichen Veranstaltung ist vor Ort im Rathaus im Stühlinger oder online möglich.

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