Bereits seit 1998 engagiert sich die Organisation «Ecoclub Rivne» in der Ukraine in vielen Bereichen für Umwelt- und Klimaschutz. Einen Schwerpunkt legen die derzeit 18 Mitarbeiter:innen von Ecoclub schon seit längerem auf den Ausbau von Erneuerbaren Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz. Ein weiteres Aktionsfeld ist die Verbesserung der Wasserversorgung. Rivne, eine Stadt im Nordwesten der Ukraine, ist der Sitz der NGO. Ecoclub ist aber in der ganzen Ukraine aktiv. Auch vor dem verbrecherischen Angriff Russlands war es in der Ukraine nicht einfach, mit dem Thema Klimaschutz und Erneuerbare Energien durchzudringen, aber nun hat sich die Situation dramatisch verändert und verschärft.
«Russland zerstört ganz gezielt unsere Energieinfrastruktur, um uns zu schwächen», sagt Dmytro Sakaliuk, Projektleiter im Bereich Erneuerbare Energien beim Ecoclub. Deshalb haben die Akteure vom Ecoclub sehr schnell entschieden, sich gerade in dieser schwierigen Situation noch stärker auf die Sicherung der ukrainischen Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien zu fokussieren. «Wir haben hier viel Erfahrung und wichtige Kompetenzen, zudem auch weltweite Kontakte, so dass wir in ukrainischen Kommunen effektiv Hilfe leisten können», so Sakaliuk.
Projekt «Solar Aid for Ukraine»
Für besonders bedeutsam hält Ecoclub die Sicherung der Energieversorgung in Krankenhäusern. «Die medizinische Versorgung leidet in Kriegszeiten besonders und gleichzeitig gibt es auch mehr Verletzte», so Sakaliuk. In Krankenhäusern ist es auch besonders dramatisch, wenn der Strom ausfällt und damit zum Beispiel lebenserhaltende Geräte oder die Beleuchtung in den Operationssälen nicht mehr funktionieren. Deshalb hat Ecoclub 2021 das Projekt «Solar Aid for Ukraine» ins Leben gerufen, in dessen Rahmen aktuell über die Ukraine verteilt fünf Projekte in Planung und Umsetzung sind. Ziel ist es, auf Krankenhäusern Photovoltaikanlagen zu installieren, die klimafreundlich einen Beitrag zur Sicherung der Versorgung mit Elektrizität leisten. «Was wir in der Ukraine jetzt brauchen, ist eine konsequente Dezentralisierung der Energieversorgung und damit weniger Netzabhängigkeit. So kann die Energieversorgung gerade in Kriegszeiten besser aufrechterhalten werden«, so Sakaliuk.
Die erste Solaranlage ist in Betrieb
Ende 2022 ist in Zvyagel, einer Stadt zwischen Rivne und Kiew, die erste Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 32,4 Kilowattpeak auf dem dortigen Krankenhaus in Betrieb gegangen. Das Krankenhaus versorgt im Umkreis eine Bewohnerschaft von ca. 170.000 Menschen. Einen Teil des benötigten Geldes, knapp 24.000 Dollar, hat Ecoclub mit einer 24-stündigen digitalen Fundraising-Kampagne aufgebracht, die vor allem Menschen in den USA aktiviert hat. Nun ist das zweite Projekt in Kremenchuk im östlichen Teil der Ukraine in der Umsetzung.
Für dieses Projekt hat das EWS-Förderprogramm «Sonnencent» in einer Sonderaktion kurzfristig 30.000 Euro zur Verfügung gestellt, der Restbetrag wird von der Kommune und Ecoclub selbst getragen. «Es ist uns ein großes Anliegen, die Ukraine bei der Aufrechterhaltung ihrer Infrastruktur zu unterstützen und damit den vom Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Menschen das Leben etwas sicherer und leichter zu machen. Dass wir hier zugleich helfen können, die Erneuerbaren Energien voranzubringen, ist natürlich ein großes Plus», sagt Stefanie Janssen, Leiterin des Förderprogramms «Sonnencent».
Weiterer Projektpartner ist der WECF e.V. (Women Engage for a Common Future), der schon viele Jahre mit Ecoclub zusammenarbeitet und auch mit den EWS in verschiedenen Förderprojekten kooperiert. «Der Ausbau dezentraler Solarenergie ist v.a. für die Ukraine sehr wichtig und zukunftsorientiert. Die Zusammenarbeit mit NGOs wie Ecoclub mit viel Expertise zu Erneuerbaren Energien und Kommunen ist ein wichtiger Baustein für eine dezentrale und erneuerbare Vor-Ort-Versorgung. Das sehen wir auch hier in Deutschland», so WECF e.V.-Vorständin Katharina Habersbrunner.
Unterstützung bei Genehmigungsverfahren
Kremenchuk, eine Stadt mit 220.000 Einwohner:innen, ist ein Industriestandort am Fluss Dnepr im Osten der Ukraine. Es liegt im Frühjahr 2023 ca. 200 Kilometer von der Frontlinie entfernt. Im April 2022 beschoss Russland die dort ansässige Ölraffinerie und ein Wärmekraftwerk bei einem Raketenangriff. Im Juni 2022 wurde ein Einkaufszentrum getroffen. Bei diesem Angriff starben 20 Menschen. Das örtliche Krankenhaus mit 205 Betten wird von der Kommune betrieben. «Im Krankenhaus von Kremenchuk arbeiten derzeit einige Ärzte, die aus den Kriegsgebieten gekommen sind, weil es dort zu gefährlich war», erzählt Dmytro Sakaliuk. Sie behandeln in Kremenchuk auch verletzte Soldat:innen.
Auf diesem Krankenhaus will Ecoclub nun als nächstes eine Photovoltaikanlage mit 50 Kilowattpeak installieren. Neben der tatsächlichen Projektumsetzung mit Materialbeschaffung und der Organisation von lokalen Fachbetrieben für die Installation unterstützt Ecoclub die Kommune, das Krankenhausmanagement und die involvierten Ingenieure auch bei den administrativen Vorarbeiten. Denn ein solches Projekt ist in der Ukraine noch kein gewöhnlicher Vorgang. «Der Staat ist hier sehr streng. Für die Genehmigung muss man zertifizierte Projektdokumentationen vorlegen. Damit haben wir viel Erfahrung und unterstützen alle Beteiligten bei der Umsetzung», so Sakaliuk. Im Juli 2023 wird die Anlage installiert.
Für mehr Solar und weniger Dieselgeneratoren
Den Strom, den die Anlage erzeugen wird, nutzt dann das Krankenhaus zu nahezu 100 Prozent selbst, denn es hat im Betrieb durchgehend einen sehr hohen Stromverbrauch. «Stromspeicher sehen wir deshalb nicht vor», so Sakaliuk, sie würden sich überhaupt nicht rentieren. Natürlich verfügt das Krankenhaus für den akuten Krisenfall auch über einen Dieselgenerator. Diese Technik sieht Dmytro Sakaliuk sehr kritisch. Nach seiner Einschätzung wird in der Ukraine noch viel zu viel mit Generatoren gearbeitet, obwohl sie mit einem Verbrauch von 30-60 Litern Diesel pro Stunde extrem teuer und umweltschädlich sind. Eine Kilowattstunde Strom kostet nach seinen Angaben vom Generator erzeugt einen Euro, mit Solarenergie nur 0,10 Euro.
Ein Grund mehr für ihn, sich in der Ukraine weiter intensiv für den Ausbau der Erneuerbaren Energien einzusetzen, gerade auch in Kriegszeiten. «Ich hoffe sehr, dass der Krieg in diesem Jahr beendet werden kann, aber realistisch gesehen wird er noch einige Jahre andauern», so Sakaliuks Einschätzung. Sein Bruder kämpft an der Front. An ihn denkt er immer, wenn er sich mit Ecoclub für die Zukunft der Ukraine einsetzt.
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Die Fotos wurden zur Verfügung gestellt von WECF e.V. und Ecoclub.