Wenn wir den Klimakollaps noch aufhalten wollen, gibt es sehr viele Fragen, die behandelt werden müssen. Bei der Langen Nacht des Klimas in Berlin versammelten sich viele kluge Köpfe, um genau das zu tun – Aktivisti, Wissenschaftler:innen, Kreative sorgten für einen bunten wie intensiven Tag voller Ideen. Unser Team schildert seine Eindrücke.
Text: Petra Völzing, Stephan Günther, Robert Goldbach, Lena Schiemann
Fotos: Saskia Uppenkamp, Paul Lovis Wagner
Ein besonderer Ort
Auch die zweite Lange Nacht des Klimas fand in der Kulturfabrik Moabit statt, die seit 1991 zum Verband der soziokulturellen Zentren gehört. Der 1911 errichtete Bau beherbergte zu früheren Zeiten eine Fleischerei, später eine Keksfabrik und hat sich der Gentrifizierung bis heute erfolgreich entzogen. Für einen Event mit vielen, auch parallel laufenden Veranstaltungen ist das Gebäude ideal, denn in seinem leicht verstaubten und verwinkelten Inneren mit original erhaltener rotweißer Wandkachelung aus Fleischereizeiten, befinden sich ein Theatersaal, ein großes Kino, ein Konzertraum, eine Kneipe und noch weitere Räumlichkeiten. Im großzügigen Außenbereich hatten Klimaschutzorganisationen und Anbieter veganer Speisen ihre Stände aufgebaut und boten die Möglichkeit für Information, Austausch und Stärkung.
Stadt, Land, Verkehrsfrust
Die enge Verbundenheit mit den Veranstaltern von der BürgerEnergie Berlin und dem Kulturfabrik Moabit e. V. zeigt sich nicht nur daran, dass die EWS die Lange Nacht des Klimas organisatorisch und finanziell unterstützen. Nicht wenige der Vortragenden bei der langen Nacht waren auch schon bei EWS-Stromseminaren in Schönau zu Gast: die Klimaaktivist:innen Irma Trommer (Letzten Generation) und Clara Mayer (Fridays for Future), die Wissenschaftler Gerhard Reese und Stefan Rahmstorf und nicht zuletzt die Stromrebell:innen der vergangengen Jahre, Kerstin Rudek (2020), Vladimir Slivyak (2022) und Katja Diehl (2023).
Die Referent:innen bei der Langen Nacht des Klimas stehen dabei exemplarisch für ein Netzwerk, das gleichermaßen langjährige soziale Bewegungen der Anti-AKW-Szene mit jüngeren Klimaschutz-Bewegungen verknüpft wie auch Wissenschaftler:innen und politische Aktivist:innen zusammenbringt. Und nicht zuletzt kommen hier auch Stadt und Land mit den bisweilen sehr unterschiedlichen Konzepten und Ambitionen zusammen. Während Katja Diehl in Schönau noch die Schwierigkeiten beschrieb, mit Bus und Bahn zum Veranstaltungsort zu gelangen und dabei die Defizite der Mobilitätswende auf dem Land offenlegte, stellte sie in Berlin sehr anschaulich den automobilen Wahnsinn der Innenstädte dar. So zeigte die Mobilitätsaktivistin und Autorin auf, dass im Verkehrssektor auf dem Land wie auch in der Stadt dringender – wenn auch sehr unterschiedlicher - Reformbedarf herrscht. Dass ähnliches in der Erzeugung regenerativen Stroms (Windräder auf den Feldern, PV-Anlagen auf den Dächern) oder in der Wärmewende (Biomasse versus industrielle Abwärme) gilt, macht deutlich, dass beim Austausch zwischen Stadt und Land noch viele Erkenntnisse zu gewinnen sind. Bei Stromseminaren wie auch bei langen Nächten.
Social Media – der Draht nach draußen
Ich bin für die Social Media Kanäle von einer Veranstaltung zur nächsten gehüpft und habe versucht, so viel wie möglich mitzunehmen! Bei über 50 Veranstaltungen ist das aber gar nicht so leicht – die vielen Treppen in der Kulturfabrik sind auch nicht gerade eine Erleichterung gewesen …
Im Vorhinein wurden wir viel gefragt, ob es Livestreams geben wird – leider gibt es nur die Vorträge aus dem Fabriktheater im Nachhinein auf Youtube. Also habe ich versucht, möglichst viel von den Inhalten, der Atmosphäre und unseren Referent:innen auf X (Twitter), Facebook und Instagram darzustellen. Es wurde viel diskutiert unter den Postings und so hatten auch die Leute, die nicht in Berlin sein konnten, die Chance, mitzudiskutieren.
Auf Instagram wurden schon die Vorbereitungen der Langen Nacht des Klimas in Storys dokumentiert, angefangen mit dem Aufbau der Infostände bis hin zur Anlieferung des Eisbergs durch den Sponsor Florida Eis. Richtig los ging es dann mit einem Ausschnitt aus dem Vortrag von Irma Trommer, Aktivistin der Letzten Generation. Darauf folgte ein Einblick in das idyllische Windlicht mit Musik von Paula Stellar, Eindrücke von gemütlichen Gesprächsrunden mit Katja Diehl und Lucia Alvarez und ein Ausschnitt aus dem Workshop von Aktivistin Clara Mayer zu „Kiezarbeit gegen die Klimakrise“.
Abschließend kam dann am Sonntag ein kurzes Video mit weiteren Eindrücken und Aussagen der Referent:innen und Anwesenden online, die ich gefragt habe, was ihnen Hoffnung gibt. Social Media hat also das vollbracht, was es am besten kann: Leute zusammenbringen, die Menschen daheim auch auf die Veranstaltung mitnehmen und mit den Inhalten aus den Workshops und Vorträgen Diskussionen anregen.
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Volles Programm
So viele Workshops, Vorträge, Lesungen und andere Präsentationen wurden gehalten, dass es unmöglich war, alles mitzunehmen. Entsprechend können wir nur auf ein paar davon eingehen. Unser Dank gebührt selbstverständlich allen, die da waren: Dr. Arwen Collel, Irma Trommer, Lea Dohm, Clara Mayer, Kira Vinke, Dr. Jörg Freyhoff, Lucía Alvarez, Prof. Dr. Aletta Bonn, Dr. Ute Scheub, Kerstin Rudek, Elo Masing und Ulrike Brand, Dance Depot, DJ JeJe, Karl Wolfgang Flender, Mirko Frohmann, Sibylle Fendt und Paula Winkler, Ilyess El Kortbi, Mädchen aus Berlin, dem Kindertheater, und und und ...
Videos der Veranstaltungen sehen Sie auf dem YouTube-Kanal der BürgerEnergie Berlin
Gerhard Reese
Ausgesprochen unterhaltsam ließ sich der Vortrag des Umweltpsychologen Prof. Gerhard Reese an, der sich – mit zahlreichen Memes und GIFs unterlegt – der Frage widmete, warum sich der Mensch aus psychologischer Sicht so schwer damit tut, Veränderungen in seinem Leben zu akzeptieren. Er kommt aber letztlich dem Schluss, dass die Verantwortung für die Bewältigung der Klimakrise nicht allein dem Individuum zufalle, der Schlüssel sei ein sinnvolles Ineinandergreifen von systemischen Maßnahmen über Politik und Wirtschaft und individuellen Verhaltensänderungen.
Stefan Rahmstorf
Brechend voll wurde es dann bei Stefan Rahmstorf. Ein Glück, dass die Technik es möglich machte, seinem spannenden Vortrag auch auf einem Bildschirm im Café zu folgen. Der bekannte Klimaforscher und Ozeanologe durchmaß mit vielen aufrüttelnden Zwischenstopps die Geschichte des menschengemachten Klimawandels und dessen Erforschung bis heute. Viele Fakten zum CO2-Anstieg in der Atmosphäre waren schon im 19. Jahrhundert bekannt, dennoch hat es die Weltgemeinschaft bis heute nicht geschafft dieser Entwicklung wirkungsvolle Maßnahmen entgegenzusetzen. Inzwischen nimmt der Klimawandel Fahrt auf. Laut Rahmstorf werfe in diesem Jahr der sprunghafte Anstieg der Temperatur der Weltmeere für die Forschung Fragen auf, die derzeit nicht beantwortet werden können.
Katja Diehl
Katja versteht sich aufs Erzählen – nicht nur in Büchern und Beiträgen, auch auf der Bühne! Die Mobilitätsaktivistin und Autorin schaffte es auch in der Kulturfabrik Moabit, statistische Werte und wissenschaftliche Studien in die Alltagserfahrungen der Zuhörer:innen zu übersetzen. Wer sich vorstellt, als Kind in Höhe der Auspuffröhren von tausenden von Autos atmen zu müssen, kann die Notwendigkeit autofreier (oder autoarmer) Innenstädte weitaus besser nachvollziehen, als anhand von Abgasanalysen und Feinstaubmessungen. Dass Diehl dabei auch immer wieder eigene Erfahrungen ihres früheren Lebens auf dem Land und des aktuellen in Hamburg in ihren Vortrag einfließen lässt, macht ihren Einsatz für die Mobilitätswende umso glaubwürdiger und authentischer. Die Unterstützung aus dem Publikum für ihre im Titel formulierte Forderung «Gebt uns endlich autofrei!» war jedenfalls unüberhörbar.
Friederike Rohde
Dass bei der Anwendung künstlicher Intelligenz Vorsicht und bisweilen auch Zurückhaltung angebracht ist, weil autonom sich entwickelnde Computerprogramme insbesondere in Kriegs- und Krisenzeiten unabsehbare Gefahren mit sich bringen können, ist inzwischen vielfach diskutiert worden. Dass KI auch in der zivilen Anwendung große Probleme noch größer machen kann, machte Friederike Rohde, Techniksoziologin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in ihrem Vortrag „KI und die planetaren Grenzen“ in vielfacher Hinsicht deutlich. So zeigte sie in ihrem Vortrag, dass für die Rechenleistung selbstfahrender (also ohne das Mitdenken der am Steuer Sitzenden) Autos so viel Energie verbraucht wird, wie eine Kleinstadt benötigt. Ob künstlich oder menschlich: Besonders intelligent ist das nicht.
Sighart Neckel
Der Titel seines Vortrags, «Ohne tiefgreifende Umverteilung des Reichtums wird es keine wirksame Dekarbonisierung geben», klingt in manchen Ohren sicher wie eine radikale sozialistische Kampfparole. Doch Sighart Neckel, Professor für Soziologie an der Uni Hamburg, kam mit Zahlen. Sehr vielen Zahlen. Und so legte er in seinem Vortrag so nüchtern wie eindrucksvoll dar, dass die Ursachen der Klimakrise bei den reichsten Bevölkerungsschichten der Erde zu suchen sind. Das Gefälle bei Ursachen wie Betroffenheit der Klimakrise, so zeigte er auf, verläuft nicht mehr zwischem globalem Norden und Süden, sondern weltweit zwischen arm und reich. Wer das Wort «Klimagerechtigkeit» bislang nur mal gehört hatte, hatte nach diesem Vortrag wohl eine bessere Vorstellung, was das bedeutet. Vom Publikum, der linksradikalen Militanz ebenfalls eher unverdächtig, wurde diese klare Darstellung mit großem Applaus honorierert.
Tadzio Müller
Ohne Powerpoint-Präsentation, wie ihm wichtig war zu betonen, stand der streitbare Politologe und Aktivist Tadzio Müller auf der Bühne, der spontan das Thema seines Vortrags umgeschmissen hatte. Statt wie angekündigt über Fridays For Future zu sprechen, legte er seine Sicht auf die Lage dar: Die Klimabewegung sei gescheitert, schuldlos, denn der Klimakollaps finde bereits jetzt statt. Vor diesem Hintergrund müsse die Bewegung sich nun vor allem dem Kampf gegen den Faschismus widmen, der gerade erstarke. Nicht alle im Raum wollten ihm da folgen, aber für engagierte Diskussionen und Leben im Raum ist mit jemandem wie Tadzio immer gesorgt.
Nikolaj Schultz und Luisa Neubauer
Nikolaj Schultz ist der Nachwuchsstar der Soziologie. Gemeinsam mit dem mittlerweile leider verstorbenen Bruno Latour hat er 2022 das Buch «Zur Entstehung einer ökologischen Klasse» veröffentlicht und erklärte dem voll besetzten Saal, was damit gemeint ist. Er stellte ihre Erklärung vor, warum die Fakten zur Klimakatastrophe alleine nicht reichen, um Menschen zum Handeln zu bewegen, und was der Klimabewegung noch fehlt, um eine Massenbewegung zu werden: ein anschlussfähiges Narrativ, hinter dem sich Menschen versammeln können. Im Anschluss diskutierte Luisa Neubauer, bekanntestes Gesicht von Fridays For Future, was sie aus fünf Jahren gelebtem Aktivismus mitgenommen hat und ging auch auf den aktuellen Backlash durch eine erstarkende Rechte ein. «Wir haben lange gedacht, Recht zu haben, würde ausreichen, um Aktion zu erzwingen. Wir müssen anerkennen, dass wir uns in einem Kulturkampf befinden, und wenn wir das nicht tun, werden wir ihn verlieren.» Einig waren sich die beiden, dass die Klimaschutzbewegung ein Framing finden muss, um eine klimagerechte Zukunft als positive Vision darzustellen.
Also genau das, was die Lange Nacht des Klimas auch möchte. Bei den vielen Anwesenden hat sie hier hoffentlich einen Beitrag geleistet – mit guter Stimmung gegen schlechtes Klima.