Der neue Roman «Black Forest: Denglers elfter Fall» von Wolfgang Schorlau ist da. Damit verbunden unterstützten die EWS eine Lesung von ihm im Theater Freiburg. Schorlau hat ein ganz eigenes Genre erfunden, seine politischen Detektiv-Romane verknüpfen hochbrisante aktuelle und historische Themen mit spannend erzählten Fahndungs- und Ermittlungs-Szenen. Und in dieser Gemengelage geht es nicht nur um Macht und Korruption. Manchmal menschelt es so berührend, dass Leser:innen zwischen gebanntem Herzwummern, tief gerührtem Kloß im Hals und staunenden Aufklärungs-Aha-Effekten hin- und hergerissen werden.
Black Forest - Denglers elfter Fall
Der Held der mehrfach preisgekrönten Polit-Krimi-Reihe ist Georg Dengler, ein ehemaliger BKA-Beamter, der aus tiefem Pflichtbewusstsein bei eben dieser Bundesbehörde das Handtuch geworfen hat und nun als selbstständiger Privatermittler gelegentlich am Hungertuch nagt. Seine Freundin Olga, eine hochtalentierte Hackerin, die als Kind das Handwerk des Taschendiebstahls erlernen musste, besucht Dengler im «Black Forest» – wo es u. a. um Umweltthemen geht. Im Haus der Mutter tragen sich merkwürdige Dinge zu. Auf dem Feldberg besitzt die Familie ein Stück Weideland, für das sich ein Windkraft-Projektierer interessiert.
Denglers Besuch bei seiner Mutter ist auf einen Hinweis der örtlichen Polizei zurückzuführen und nun macht er sich Sorgen, ob sich bei der 82-Jährigen eine Demenz entwickelt. Oder Verfolgungswahn? Sie sieht nachts Schatten auf dem Hof. Ihr Sohn Georg, von den Ex-Kollegen ins Bild gesetzt, die schon mehrfach umsonst ausgerückt waren, blieb ein paar Tage. Bis auch er nächtliche Schatten zu sehen glaubte und bereits anfing, an seinem eigenen Verstand zu zweifeln. Nach und nach finden sich lauter Menschen auf dem Dengler-Hof ein. Für Schorlau-Fans alte Bekannte: Freundin Olga, Sohn Jakob und seine Freundin Laura. Aber auch «neue» Figuren, wie z. B. die schöne Heilpraktikerin, die Dengler einst die Augen verdreht hatte und sich immer noch einbildet, sie könne einen Mann nach Belieben «in mich verliebt machen» und nach ihrer Pfeife tanzen lassen. Dabei merkt sie nicht, wie sie selbst als Marionette durch eine brennende Umwelt wandelt und diensteifrig Verschwörungs-Märchen in den Umlauf bringt – ganz im Sinne der Männer, die die Welt verbrennen. Dazu kommen Figuren aus Denglers Kindheit, aus dem Umfeld seiner Mutter. Sie spielen bei einer literarischen Reise in dunkle Kapitel der Vergangenheit Rollen, die im Umfeld der braven Schwarzwälder niemand vermutet hätte. Schon gar nicht, wenn man miterlebt, wie gemütlich es auf dem Dengler-Hof zugeht.
In der Bauernküche werden Brägele und Gemüse aus dem Garten gemampft – ein Idyll, das verzückte Touristen ständig fotografieren. Hier wird gelacht und geweint, und beim Generationen-verbindenden Kartenspiel werden die aktuellen Themen der Zeit diskutiert. Wobei Mutter, Sohn und Enkel, drei sich liebende Charaktere, bei denen die Ansichten zu Themen wie Klimawandel, Gendersternchen und Windkraft diametral gegeneinanderstehen, niemals die Tür zum Andersdenkenden zuschlagen, sondern im Gespräch miteinander bleiben.
Bei keinem der drei fällt irgendwann die Klappe, weil der jeweils andere «bescheuerte Ansichten» hat oder «irgendwann falsch abgebogen» ist. Die scheinbar unversöhnlichen Ansichten prallen schließlich bei einem Showdown der ganz besonderen Art auf dem Freiburger Rosskopf aufeinander, wo Detektiv Dengler das Gefühl ereilt, «ein Spiegelbild unserer Gesellschaft zu sehen: grundlose Selbstsicherheit, laute Sprachlosigkeit, Entschlossenheit, die Dinge durchzuziehen, koste es, was es wolle. Jakob ist auf der einen Seite, meine Mutter neigt zur anderen. Und ich? Ich weiß es nicht.» Der Autor nimmt uns mit in Denglers Gedankenwelt, dessen Sohn ihn mit Anglizismen, «Gender-Schluckauf» und Besserwisserei nervt. Und den Vater Georg dafür bewundert, wie viel besser der Junge bestimmte Dinge weiß, die er seiner Opponentin, der Oma, liebevoll, wertschätzend und didaktisch gekonnt erklärt. So kann der Vater gemeinsam mit den «Leser-kleine-Pause-innen» seinem geliebten Welterklärer zuhören, ohne zugeben zu müssen, dass er beim Thema XY so ahnungslos wie die Oma war.
Das Codewort lautet: «Black Forest»
Mit seiner feinen Beobachtungsgabe und seinem Gespür für Persönlichkeiten lässt Schorlau seine Leser:innen in unterschiedliche Gesellschaftsgruppen eintauchen und mit dem vigilanten Blick des Detektivs auf die handelnden Personen schauen. Beim Lesen hört man die Charaktere quasi sprechen: ob erfolgreicher Manager, Universitätsstadt-Aktivistin, Honorarkonsul-Gattin, bodenständige Bauersleute oder tumbe Killer-Typen – Sozio-Linguisten hätten ihre helle Freude daran, wie der Autor ihnen Formulierungen, Floskeln und Sprach-Codes in den Mund legt, mit denen sie in ihren sozialen Milieus überzeugend authentisch wirken.
Und man schaut in die Abgründe der Alpha-Männchen, deren Verbindungen bis in die höchsten Sphären der Macht reichen, die ihren kultur-interessierten Gattinnen Opern-Interesse vorheucheln, Behörden-Vertretern Schmiergeld-Deals auf Augenhöhe vortäuschen und im nächsten Augenblick per Kurzwahltaste ihren Mann fürs Grobe anheuern, der routiniert pariert: «Wir kümmern uns um die Sache. … Das Codewort lautet: Black Forest»
Für seine Recherchen ist Schorlau viel durch Freiburg und den Schwarzwald gestromert, hat intensive Hintergrundgespräche mit Expert:innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft geführt. Auch bei Denglers 11. Fall ist der Krimiplot das Vehikel, um politische Stellungnahmen zu transportieren, um den Leserinnen und Lesern einen Zugang zu komplexen aktuellen Themen, aber auch zu unaufgearbeiteten Traumata der deutschen Nachkriegs-Geschichte zu erleichtern: «Wozu ich beitragen kann, ist, eine gesellschaftliche Atmosphäre zu schaffen, in der sich Menschen dafür interessieren, dass etwas nicht stimmt, und welche verschiedenen Sichtweisen es gibt», sagt der Autor.
Wer von Schorlaus Romanplots angefixt wurde, dem bietet er tiefere Einblicke in seine Recherchen. Am Ende jedes Romans steht das Kapitel «Finden und Erfinden», in dem er Hintergrund-Informationen liefert und Quellen sowie weiterführende Literatur angibt. Das ZDF strahlt seit 2015 Verfilmungen von Schorlaus Romanen aus, in denen Ronald Zehrfeld den Georg Dengler und Birgit Minichmayr seine Freundin Olga spielt.
Lesungen mit Wolfgang Schorlau
Hinweise
Titelbild: Wolfgang Schorlau | Fotograf: © Timo Kabel
Dieser Blogartikel wurde am 6. Oktober 2024 beim «Kultur Joker» erstveröffentlicht.