Politik und Gesellschaft

Umweltthemen und Feminismus zusammen denken? Das geht – wie eine Staats-Affäre zeigt, die auf einer ungeheuerlichen, wahren Geschichte aus der Atomwirtschaft beruht.

Kriminelle Energie

Ich möchte Ihnen zunächst einen Film ans Herz legen, der auf einer wahren Geschichte beruht, auf die ich gleich noch genauer eingehe. Darin will eine mutige Whistleblowerin einen Skandal in der Atomwirtschaft ans Licht bringen. Doch feige Hintermänner wollen sie zum Schweigen bringen. Deren Methode: sexualisierte Gewalt, ein akribisch durchdachter, hinterhältiger Überfall. Statt kriminalistischer Aufklärung folgt eine hundsgemeine Täter-Opfer-Umkehr. Aber da war zum Glück diese Investigativ-Journalistin, die ungeheuerliche Fakten zutage förderte. 

Hier der Trailer zum Film:

Im Rahmen der internationalen Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» zeigt das «Kommunale Kino Freiburg» in Kooperation mit der Frauenbeauftragten der Stadt Freiburg den Film «Die Gewerkschafterin» mit der französischen Schauspiel-Ikone Isabelle Huppert in der Hauptrolle. Die eigentlichen Hauptrollen werden am 29. November 2024 ab 19:30 Uhr allerdings die Gewerkschafterin Maureen Kearny selbst sowie die Investigativ-Journalistin Caroline Michel-Aguirre spielen. Beide werden aus Paris anreisen, um im Anschluss an die Filmvorführung bei einem Gespräch tiefere Einblicke in diese ungeheuerliche Staatsaffäre zu geben. 

Die Podiumsdiskussion wird von den Elektrizitätswerken Schönau unterstützt und der EWS-Energiereferentin Eva Stegen moderiert. Jetzt hier Tickets sichern

Die Scham muss die Seite wechseln

Was hat ein Energiekonzern, was hat eine Hochrisiko-Technologie mit dem Avignon-Vergewaltigungs-Prozess zu tun, der gerade in der gesamten internationalen Presse Aufsehen erregt? Jahrelang mischte ihr Ex-Mann K.-o.-Medikamente in das Getränk von Gisèle Pélicot. Mit dieser heimtückisch erzwungenen «Soumission Chimique», sprich: chemischen Unterwerfung, konnte er sie in einem Forum namens «Gegen ihren Willen» zur Vergewaltigung anbieten. 84 Täter, 84 Männer. Die Identifizierten leben allesamt im 20-km-Umkreis des Tatorts. 

Nur durch einen Zufall kam alles raus und dem Gericht stehen nun hunderte Beweisvideos zur Verfügung, die zeigen, dass Männer aus allen sozialen Schichten und jeglichen Alters die wehrlose Frau vergewaltigten. Gisèle Pélicot gehört zu den wenigen Ausnahmen, bei denen ein wehrloses Opfer aufsteht, beachtliche Kräfte entwickelt und sich mit hocherhobenem Haupt aus der Opferrolle befreit. Ihre Devise «die Scham muss die Seite wechseln» zeigt Wirkung, sowohl weltweit als auch vor Gericht. Die Täter verstecken Ihre Gesichter, während die mutige Frau darauf besteht, dass der Prozess und die Beweisvideos öffentlich sind, und so die Täter für jeden und jede sichtbar sind. Ohne Frage, die aufrechte Gisèle Pélicot ist eine Vorkämpferin, doch sie ist nicht ganz allein. Vor wenigen Jahren befreite sich auch Maureen Kearney aus ihrer Opferrolle, nachdem ihr übelste sexualisierte Gewalt angetan wurde. 

In ihrem Fall wurde sie vorsätzlich gequält, um sie zum Schweigen zu bringen. Die mutige Whistleblowerin wollte 2012 einen Skandal in der Atomwirtschaft ans Licht bringen. Mit Methoden brutalster sexualisierter Gewalt, die man sonst nur von der Mafia kennt, sollte die Vereitelung milliardenschwerer Deals in der Schlüsselindustrie der Grande Nation verhindert werden. Selten war der Begriff «Atom-Mafia» passender als bei dieser Staatsaffäre. 

Der Nährboden für sexuelle Erniedrigung als Machtinstrument

Zum Nährboden, auf dem diese Auswüchse hemmungsloser «Machtspiele» gedeihen können, gehört eine Hochrisikotechnologie, bei der sämtliche Staatslenker seit General de Gaulle nationale Eitelkeiten entfachen: die Atomkraft. Wer sie hat, hat die militärischen Atom-Optionen und positioniert sich ganz oben auf der internationalen Bühne. Damit das so bleibt, öffnet man fürs Militär eifrig große Geldsäcke. Und die Bereitschaft, sowohl die Quersubventionierung als auch die industrielle Basis für Atom-U-Boote und Sprengköpfe über die Stromkunden:innen, sprich: über die zivile Atomkraft, zu garantieren, ist schier grenzenlos. Und dann stand die Zahl von 200 AKW im Raum, die zu bauen sind. 200 milliardenschwere Aufträge ziehen gierige Mittelsmänner an, die nach millionenschweren Provisionen gieren. Wenn dann die entscheidenden Figuren alle, wirklich alle Möglichkeiten haben, ihre Widersacher:innen platt zu machen, passieren Dinge, die sich kein Drehbuchautor ausdenken kann.

Bis in die höchsten Sphären der Macht von Politik, Wirtschaft, Justiz und Polizei verbündeten sich die Mächtigen und kuschten die Befehlsempfänger:innen, um eine scheinbar unumstößliche Wand des Schweigens gegen die Gewerkschafterin Maureen Kearney aufzubauen. Auf diese Weise wollten die Strippenzieher:innen und Profiteur:innen eines Atom-Deals mit dem totalitären «Reich der Mitte» ungestört ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Die Gewerkschafterin befürchtete, dass das französische Nuklear-Know-how ausgerechnet an die für Technologie-Raub bekannten Chinesen verramscht wird, dass der Stolz der Nation, der Reaktorbau-Konzern Areva, zerschlagen wird und Tausende ihren Job verlieren. Sie behielt recht, genau so ist es gekommen. Für ihre Geschäftemacherei – egal mit welchem Schurkenstaat – hinterließen die Atommanager eine Schneise der Verwüstung. Mit Ansagen wie «Wir werden französisch-chinesische Reaktoren bauen. Aber wir werden auch französisch-russische Reaktoren bauen.» polterte seinerzeit EdF-Chef Henry Proglio. 

Inzwischen machen zwei Staaten das darbende Reaktorbau-Geschäft unter sich aus: China baut zu Hause, Russland baut im Ausland. Und so schlug man eine weitere Scharte ins Kerbholz der durch Skandale geprägten Atombranche: Fälschungs-Skandal in Creusot, Vertuschungen in Fessenheim, Großkomponenten-Fehlschmieden aus Frankreich, Japan und Korea; Rosatom-Kriegsverbrechen und illegale russische Werks-Ansiedlung in Lingen (Emsland), Transnuklearskandal … um nur einige zu nennen. Der Fall der Gewerkschafterin Maureen Kearney unterscheidet sich insofern von dem der Gisèle Pélicot, da bei letzterer hunderte Videobeweise glasklar belegten, welche Rolle die Beteiligten bei diesem widerwärtigen, minutiös geplanten Komplott spielten. Im Gegensatz dazu verschwanden im Prozess von Maureen Kearney Beweise, Spuren wurden nicht weiterverfolgt und es gelang, das Opfer so weit zu verunsichern, dass schließlich eine hundsgemeine Täter-Opfer-Umkehr inszeniert wurde, bei der Politik, Wirtschaft, Polizei und Justiz unter einer Decke steckten.

Ungereimtheiten machten eine Journalistin stutzig

Es war eine Frau, mit deren Hilfe die Whistleblowerin das Blatt wenden konnte. Die Investigativ-Journalistin Caroline Michel-Aguirre vom Nachrichtenmagazin «Nouvel Observateur» wurde angesichts diverser Ungereimtheiten stutzig. Sie fing selbst an, nachzuforschen und immer tiefer zu graben. Dabei stieß sie auf einen Fall, der auf allen Ebenen frappierende Ähnlichkeiten mit dem Fall der Areva-Gewerkschafterin hatte: Die perfiden Details, wie die Opfer gequält und verletzt wurden, die erschreckend genaue Kenntnis von den Lebensumständen der Opfer, die es dem Täter erlaubten, ungesehen und ungehört in die privaten Räume einzudringen.

Und der Umstand, dass beide Opfer in einem Whistleblower-Kontext standen, die dem Chef des jeweiligen Konzerns in Bedrängnis brachten. Dieser Chef war in beiden Fällen – da er den Chefsessel gewechselt hatte – Henri Proglio. Die Spuren führten in beiden Fällen zu Proglios Mann fürs Grobe: Alexandre Djouhri. Die Journalistin machte die Namen öffentlich, die Gewerkschafterin schöpfte neuen Mut, nahm sich einen engagierteren Verteidiger und ließ die Kollaborateur:innen entlang der gesamten staatlichen Hierarchie-Kaskade verdammt alt aussehen. Die Scham muss die Seite wechseln. Caroline Michel-Aguirre schrieb die Ergebnisse ihrer intensiven Recherchen in einem Buch auf. Es wurde ein Bestseller in Frankreich. 

Ein deutscher Verlag hat nun die Übersetzungsrechte erworben. Das Buch diente als Vorlage für den oben vorgestellten gleichnamigen Kinofilm «Die Gewerkschafterin».

 

Die Gewerkschafterin – Film und Podiumsdiskussion

Kommen Sie gerne am 29. November um 19:30 Uhr ins «Kommunale Kino Freiburg», um sowohl den Film «Die Gewerkschafterin» anzuschauen als auch an der anschließenden Podiumsdiskussion teilzunehmen, die wie folgt besetzt ist:

  • Caroline Michel-Aguirre
    Autorin des Bestsellers «La Syndicaliste», Investigativ-Journalistin und Chef-Reporterin beim Nachrichtenmagazin Nouvel Observateur
     
  • Maureen Kearney
    Whistleblowerin, Gewerkschafterin, Ex-Gewerkschaftsführerin beim Atomkonzern Areva und seinerzeit die höchste Vertreterin des Europäischen Konzernbetriebsrats von Areva
     
  • Dr. Eva Stegen
    Moderatorin der Veranstaltung und Energiereferentin der EWS
     
  • Simone Thomas
    Frauenbeauftragte der Stadt Freiburg
     
  • Florence Dancoisne
    Direktorin, Centre Culturel Français Freiburg
     

Eine Veranstaltung im Rahmen der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen».
 

Jetzt hier Tickets sichern

 

Hinweise

Titelbild: Ausschnitt aus dem Filmtrailer von «Die Gewerkschafterin»

Dieser Blogbeitrag basiert auf einem am 5. November 2024 beim «Kultur Joker» erstveröffentlichten Artikel.