Als sich die fünfzehnjährige Greta Thunberg am 20. August 2018 das erste Mal mit ihrem selbstgemalten Schild «Skolstrejk för Klimatet» vor den schwedischen Reichtstag setzte, statt zum Unterricht zu gehen, trat sie eine Welle los, die die Welt gehörig durcheinanderwirbeln sollte. Im Streik und Protest fanden die Zukunftssorgen der jungen Menschen ein Ventil, und mehr noch: Aus den freitäglichen Schulstreiks erwuchs eine zivilgesellschaftliche Protestbewegung, die dem existenziellen Thema Klimakrise endlich die breitenwirksame Aufmerksamkeit verschaffte, die es verdient. Mit ihren organisatorischen Fähigkeiten und ihrem klaren Blick auf die Lage ließ die Jugend das Polit-Establishment noch deutlich älter aussehen.
Mittlerweile gibt es Fridays For Future seit fünf Jahren. Die Schlagzeilen beherrschen in Zusammenhang mit Klimaprotesten mittlerweile andere. Überraschungen werden beim nächsten Klimastreik am 15. September nicht zu erwarten sein. Dennoch sind Fridays For Future noch mit ungebremstem Engagement bei der Sache. Wo stehen die Organisation und die Klimabewegung im Herbst 2023? Darüber haben wir uns mit Sprecher Pit Terjung unterhalten.
Interview
Fridays For Future haben neulich ihr fünfjähriges Bestehen gefeiert. Mit welchen Gefühlen habt ihr das Jubiläum begangen?
Pit Terjung: Mit gemischten Gefühlen. Einerseits haben wir viel geschafft, etwa, die Klimakrise als Thema breit in der Gesellschaft zu verankern. Wir haben ein Klimaschutzgesetz erkämpft, wir sind dafür vors Bundesverfassungsgericht gezogen, wo wir gewonnen haben, woraufhin die damalige Koalition nachsteuern musste. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Lücke zu dem, was es braucht, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, noch immer gigantisch ist. Und dass es uns überhaupt noch immer braucht, nach fünf Jahren, wo wir kontinuierlich gekämpft haben, ist eine bittere Pille.
Klimaschutz ist stärker Thema als vor fünf Jahren, das ist richtig. Andererseits haben wir dieses Jahr am Beispiel des Heizungsgesetz auch erlebt, dass sich die Stimmung drehen kann, wenn es konkret wird. Gewinnen die Beharrungskräfte gerade wieder Oberhand?
Die Mehrheit für Klimaschutz ist ja noch immer vorhanden, und sie ist auch kontinuierlich messbar, wie zuletzt etwa in der Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamtes, in der sich über 90 Prozent der Befragten für einen Umbau zur klimaneutralen Wirtschaft aussprechen. Auf der anderen Seite seht man natürlich schon, dass die fossilen Beharrungskräfte, die wir 2019 ein Stück weit überrannt haben, wieder am Start sind und – unterstützt von der Springerpresse – Stimmung gegen Klimaschutz organisieren, Stimmung gegen Klimaprotest machen und Angst vor Veränderung streuen.
Was bedeutet das für euch?
Ich denke, dass wir in eine neue Phase eintreten, in der die Klimabewegung insgesamt breiter und vielschichtiger geworden ist und Fridays For Future eine neue Rolle einnehmen. Es geht nun nicht mehr nur darum, aufmerksam zu machen, dass das Klimaproblem existiert, sondern darum, wirklich um die politische Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen zu kämpfen, zum Beispiel fürs Klimageld, für das wir uns jetzt lautstark einsetzen werden, oder für ein verschärftes Klimaschutzgesetz, das uns die Bundesregierung immer noch schuldig ist.
«Es geht uns nicht mehr um Aufmerksamkeit, wir kämpfen jetzt für konkrete politische Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen.»
Stichwort Klimaschutzgesetz: Wie steht ihr zur geplanten Streichung der verbindlichen Sektorziele?
Das ist ein untragbarer Rückschritt! Das Klimaschutzgesetz ist das Fundament des Klimaschutz in Deutschland, da stehen die einzelnen Ziele für jedes Ministerium drin. Es ist das, wofür wir jahrelang auf die Straße gegangen sind. Derselbe Olaf Scholz, der das Klimaschutzgesetz damals als seinen eigenen Erfolg verkaufen wollte, will nun die Axt ans Gesetz legen und die klaren Einsparvorgaben zu unverbindlichen Handlungsempfehlungen degradieren. Das lassen wir uns nicht gefallen! Darum gehen wir auch am 15. September auf die Straßen, um einzufordern: Wenn am Klimaschutzgesetz etwas verändert wird, dann nur in Form einer Verschärfung, um besseren Klimaschutz zu bewirken.
Ist das das Hauptthema beim nächsten Klimastreik? Oder habt ihr noch weitere Forderungen?
Ja, auf jeden Fall. Die Unzufriedenheit mit der Ampelkoalition ist riesig, und das kommt ja nicht von ungefähr. Die gleichen Studien, die zeigen, dass Klimaschutz noch immer einen hohen Rückhalt genießt, zeigen auch, dass sich ganz viele Menschen in Deutschland Sorgen um sozialen Abstieg machen – und das sind vollkommen verständliche Sorgen. Wir sehen immer wieder, dass die Koalition ihren ewigen Streit auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit austrägt, und das ist gerade beim Klimageld der Fall. Der eine Teil, höhere CO2-Preise, wird zaghaft umgesetzt, und das ist richtig, ohne den kann man ja Deutschland nicht dekarbonisieren.
Aber der andere Teil, das Klimageld, ist genauso wichtig, damit nicht die Bevölkerung, sondern die Hauptverursacher der Klimakrise die Last der Abgaben tragen. Dass das nach zwei Jahren noch nicht umgesetzt ist, ist ein dramatisches Signal. Wie so oft sagt diese Ampelregierung: «Klimaschutz ja, vielleicht, ein bisschen, aber das gibt’s mit uns nur unsozial.» Darum ist Fridays For Future ganz klar: Klimaschutz kann nur sozial gerecht funktionieren, und das ist unsere zentrale Botschaft.
Darum gehen wir ja auch schon seit dem letzten Klimastreik mit den Gewerkschaften wie ver.di und der EVG auf die Straßen, um zu zeigen, dass diese zwei Themen ganz essenziell zusammengehören. Man kann Klimaschutz nicht gegen, sondern nur mit den Menschen machen.
«Die Abschwächung des Klimaschutzgesetz ist ein untragbarer Rückschritt. Das lassen wir uns nicht gefallen!»
Was ist, wenn sich die Klimastreiks in ihrer Beachtung erschöpfen? Überlegen Fridays For Future weitere Aktionsformen?
Grundsätzlich sind die Klimastreiks für uns eines der zentralen Werkzeuge, das wir als Zivilgesellschaft überhaupt haben, da wir mit ihnen sichtbar machen: Hier handelt es sich nicht um eine Handvoll durchgeknallte Ökos, sondern um Forderungen, die wirklich breiten gesellschaftlichen Rückhalt haben. Der globale Klimastreik ist sozusagen der Leuchtturm unserer Bewegung, auf dem wir unsere Forderungen ausbreiten und Druck machen von der Straße. Das Datum ist auch nicht zufällig gewählt, das ist kurz nach der Rückkehr aus der parlamentarischen Sommerpause. Während die Politik Urlaub gemacht hat, haben sich Waldbrände und Überschwemmungen überall auf der Welt überschlagen. Jetzt braucht es politische Konsequenzen. Voraussichtlich wird noch in diesem Monat über die Aufweichung des Klimaschutzgesetzes abgestimmt. Dagegen bauen wir Druck auf.
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Ihr setzt also weiterhin auf eine Klimabewegung, die die Massen mobilisieren und mitnehmen will. Seht ihr euch geschwächt durch andere Protestformen wie die der Letzten Generation, die auf maximale Aufmerksamkeit durch Störaktionen setzt?
Generell ist das gesellschaftliche Klima schon rauer geworden. Das würde ich nicht alleine diesen Protestformen in die Schuhe schieben, das hat auch viel zu tun mit dem Druck einer fossilen Lobby, die gezielte Kampagnen fährt, unterstützt von Teilen der Politik und der Medienlandschaft, die gemeinsam Angst vor Veränderung schüren. Angesichts dieser Umstände macht es mir Hoffnung, dass wir immer noch so klare Mehrheiten für Klimaschutz haben. Die Aufgabe von Fridays For Future ist es, diese Mehrheit sichtbar zu machen und dadurch Druck auf die Koalition auszuüben, endlich ihre klimapolitischen Versprechen einzulösen.
Wir stehen als Klimabewegung nicht mehr dort, dass Aufmerksamkeit für das Klimaproblem unser einziges Ziel ist. Die Aufmerksamkeit ist da, die haben ja auch Fridays For Future erkämpft. Was wir jetzt brauchen, ist radikale Wirksamkeit, und dort anzusetzen, wo die Hauptursachen der Klimakrise sind.
«Die Aufgabe von Fridays For Future ist es, die Mehrheiten für Klimaschutz sichtbar zu machen.»
Ich folge nicht ganz der Logik, dass der nächste Schritt nach dem Klimastreik die Straßenblockade, und wir haben ja die letzten zwei Jahre gesehen, dass diese Protestformen nicht unbedingt gesellschaftlichen Rückhalt genießen. Wenn ich daran glauben würde, dass es zu schnellerem Klimaschutz führt, sich auf die Straße zu kleben, dann würde ich das tun. Aber ich bin überzeugt davon, dass das nicht der Fall ist, sondern, dass wir mit dem Massenprotest die radikale Wirksamkeit erreichen, die wir brauchen. Und wir bringen ja auch immer noch Hunderttausende auf die Straßen, so wie beim letzten großen Klimastreik im März. Fridays For Future gibt es noch immer, und es braucht uns noch immer, so traurig das eigentlich ist.
Welche Schlagzeile würdest du gerne am 16. September über den Klimastreik lesen?
«Klimaschutz geht nur sozial gerecht.» Das ist das, was uns wichtig ist: Wir brauchen jetzt ein Klimageld und ein verschärftes Klimaschutzgesetz, und das muss auch diese Regierung endlich umsetzen.
Wie können die Menschen, die das jetzt lesen, euch unterstützen und euch dabei helfen, Klimaschutz wieder ganz nach vorne zu bringen?
Das Wichtigste ist, nicht zu glauben, dass man selbst erst das Leben eines Heiligen führen muss, um über Klimaschutz reden zu dürfen. Wir haben als Zivilgesellschaft eine Menge Möglichkeiten, unseren Forderungen Ausdruck zu verleihen, und das ist ja auch ein großes Privileg. Ich verstehe unseren Klimastreik als Angebot an alle Menschen, die sich gerade Sorgen machen angesichts dieses Hitzesommers, angesichts von immer neuen Temperaturrekorden, und die immer noch nicht sehen, dass die Regierung darauf ausreichende Antworten hat. All diese Menschen sind herzlich eingeladen, mit uns am 15.09. ein starkes politisches Signal zu setzen. Das ist das Wichtigste und Größte, was wir als Gesellschaft tun können, und das ist viel wichtiger als das persönliche Konsumverhalten. Alle weiteren Möglichkeiten, uns zu unterstützen, findet ihr auf unserer Website!
Vielen Dank für das Interview – wir sehen uns beim Klimastreik!