Großdemonstration hinter großem Frontbanner
Genossenschaft

Nach der Schließung ihres Werks nahm die gekündigte Belegschaft einer Florenzer Fabrik die Sache selbst in die Hand und schaffte zukunftsfähige Arbeitsplätze.

GKN Florenz – Grüne Transformation von unten

Es klingt wie Magie: hunderte Kündigungen und eine Werkschließung verwandeln sich in Klimaschutz und zukunftsorientierte Arbeitsplätze. Dank der ehemaligen Belegschaft von GKN Florenz ist das aber ein sehr realer Fall, der nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa neue Maßstäbe setzen könnte. Das Colletivo di Fabbrica GKN aus Florenz demonstriert, was grüne Transformation von unten bedeutet: 

Statt die Schließung des dortigen GKN-Werks und die damit verbundenen Kündigungen hinzunehmen, besetzen die ehemaligen Arbeiter:innen das Werk des Autoteile-Herstellers, um ab sofort Solarpaneele und Lastenräder zu produzieren. Mit ihrem Plan zur Re-Industrialisierung sollen zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen, die zur Energiewende beitragen. 

Wir haben Lukas Ferrari, einen Vertreter von GKN Florenz, und den Schönauer Stromrebellen und Klimaaktivisten Jakob Springfeld zum Interview getroffen. Gemeinsam mit vielen Engagierten arbeiten die beiden daran, die Idee der gemeinschaftlichen, grünen Transformation von Italien nach Zwickau in das dortige GKN Werk zu übertragen. 

Hier können Sie die Genossenschaft unterstützen

Interview

Lukas, du engagierst dich für GKN Florenz. Was ist das Besondere an diesem Projekt, an diesem Kampf für eine grüne Transformation?


Lukas: Es gibt mehrere Punkte, die das Projekt zu einem besonderen machen. Ich war zum ersten Mal im August 2021 beim Fabrikgelände der GKN Florenz und was ich dort erlebt habe, hat mich sehr beeindruckt. Im Industriegebiet am Rande der Stadt kamen an einem stinknormalen Mittwoch 200 Menschen zusammen, um gemeinsam zu essen, zu singen und solidarisch für den Erhalt des GKN-Werkes einzustehen. Das hat mich sehr bewegt.

Die Arbeiter:innen wollen das Werk erhalten. Aber sie stellen nicht nur die Frage nach dem Erhalt, bzw. dem Zurückerkämpfen der Arbeitsplätze. Sie fragen auch: «Was wollen wir hier eigentlich produzieren? Und unter welchen Bedingungen?»

Zudem ist das Besondere am Projekt, dass sich die Arbeiter:innen mit verschiedensten Akteur:innen zusammengeschlossen haben. Dabei hat es geholfen, dass sie schon über Jahrzehnte durch gewerkschaftliche und politische Arbeit über das Werk hinaus vernetzt waren. Auch die Zivilbevölkerung war und ist durch persönliche Biografien eng mit dem Werk verzahnt, wie man es auch aus anderen Industriestädten kennt. Zu dieser solidarischen Zivilgesellschaft kam auch noch die solidarische Wissenschaft hinzu – ein Zusammenschluss aus Ökonom:innen, Ingenieur:innen und Geisteswissenschaftler:innen, die ihr Wissen und ihre Analysen in den Dienst der Transformation stecken wollten. Aus diesem Wissen sind verschiedene Re-Industrialisierungspläne entstanden, von denen sich nun einer durchgesetzt hat. 

Was ist euer Re-Industrialisierungsplan und wie sieht dieser aus?

In dem Werk, in dem vormals Autoteile hergestellt wurden, sollen nun Lastenräder und Solarpaneele produziert werden. Momentan werden bereits 4 Lastenräder pro Woche auf Manufaktur-Basis hergestellt. Um weitere Arbeitsplätze zu schaffen, soll darüber hinaus die Produktion von Photovoltaikmodulen starten. Dazu wurde ein ausgeklügeltes Produktionsvorhaben mit verschiedenen Modulen und verschiedenen Zellen entwickelt. Dabei geht es nicht nur um die Produktion, sondern auch um die Installation und das Recycling der Solarmodule. Das ganze Vorhaben soll genossenschaftlich umgesetzt werden. 

«Wir standen vor der Frage: Beugt man sich jetzt der Perspektivlosigkeit der Unternehmer? Und die Antwort war ganz klar: Nein! Wir können es selbst besser machen.»

Lukas Ferrari, Collettivo di fabbrica GKN

Warum habt ihr die genossenschaftliche Form gewählt?

Wir standen vor der Frage: Beugt man sich jetzt der Perspektivlosigkeit der Unternehmer? Und die Antwort war ganz klar: Nein! Wir können es selbst besser machen und die genossenschaftliche Form gibt uns die Möglichkeit dazu. Die Genossenschaft soll gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, die den Kampf von Anfang an unterstützt hat, entstehen. 

Es geht uns in erster Linie um den demokratischen Transformationsansatz von unten, der unmittelbar von den Interessen der Beschäftigten ausgeht. Sie selbst können entscheiden, wie sie diese Genossenschaft pflegen, was und wie viel sie produzieren können und wollen und haben weitestgehend die Kontrolle über die Arbeitsmittel. Es ist nicht von oben aufoktroyiert – die Arbeiter:innen selbst schaffen eine neue Perspektive und Alternative zum Vergangenen. 

Jakob, du bist Schönauer Stromrebell 2024. In deiner Dankesrede beim Schönauer Stromseminar hast du auch GKN Zwickau als Beispiel herangezogen – warum hast du genau dieses Beispiel gewählt, um über Klimaschutz und Transformation zu sprechen?

Jakob: Ich glaube primär, weil es ein Leuchtturmbeispiel ist, das zeigt, dass es mehr als Skandalisierung und politische Aufklärung braucht, um reelle politische Probleme zu lösen. Gerade in Zwickau sind auch die Zukunftsängste, Abstiegsängste und Transformationsängste – wie berechtigt und unberechtigt diese auch sein mögen – vorhanden. Ich glaube, wenn man Entscheidungsprozesse demokratisch organisiert und in Bündnissen versucht, Politik umzusetzen und sie zukunftsfähiger zu machen, dass es a) mehr Früchte trägt und b) den Menschen Demokratie sowie ein Verständnis von solidarischem Miteinander jenseits von extrem Rechten beibringt. Ich glaube, man sollte dieses Verständnis viel weniger aufoktroyieren – etwa in irgendwelchen Demokratie-Seminaren. Das ist etwas, das konkret an die Lebensrealitäten der Menschen anknüpft und versucht, aus mangelnden Jobperspektiven etc. gemeinsam eine fairere Zukunft zu bauen. Ich glaube, es ist gerade ein gängiges Phänomen, dass Menschen mehr Angst vor Klimaschutzmaßnahmen als vor der Klimakatastrophe haben. Und mit Maßnahmen wie dieser kann man das im besten Falle wieder umkehren. 

Um beim Beispiel Zwickau zu bleiben – dass in Zwickau im Volkswagenwerk jetzt E-Autos produziert werden, ist eines der größten Aufreger-Themen, das von Seiten AfD genutzt wird, um Stimmung zu machen. Dahinter liegt auch die wirklich reelle Sorge oder Erkenntnis, dass E-Autos eventuell auch nicht das ideale Zukunftsmodell darstellen. Und in den vergangenen Monaten wurden auch dort Jobs gestrichen. Diese waren zwar befristet, aber dennoch. Und das ist dann wieder Futter für die extrem Rechten. Mit starken Bündnissen kann man vorwirken und bessere Lösungen anbieten. 

Stichwort Bündnis: Wie habt ihr beiden zusammengefunden?

Lukas: Im Januar 2023 hat GKN Zwickau Mosel angekündigt, dass sie ihr Werk schließen wollen. Da ich in Leipzig wohne, bin ich mit anderen interessierten Personen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung nach Zwickau gefahren, inspiriert von meiner Arbeit für GKN Florenz. Wir haben sehr schnell ein Soli-Video eingetütet, in dem die Beschäftigten aus Florenz ihre Solidarität zeigen und den Zwickauer Arbeiter:innen empfehlen: Schließt euch mit der Klimagerechtigkeitsbewegung zusammen, sie ist nicht euer Feind – und auch nicht als Feind anzusehen! Jakob und ich haben uns über ein Austauschtreffen zwischen GKN und Fridays for Future erst digital getroffen und dann beim Klimastreik 2022 gemeinsam ein Frontbanner gehalten, auf dem «Solidarität mit den Beschäftigten der GKN Mosel» stand. 

«Das ist etwas, das konkret an die Lebensrealitäten der Menschen anknüpft und versucht, aus mangelnden Jobperspektiven gemeinsam eine fairere Zukunft zu bauen.»

Jakob Springfeld, Aktivist

Die Verbindung zwischen Fridays For Future und Gewerkschaften wurde ja auch in Deutschland mit dem Zusammenschluss «Wir fahren zusammen» gestartet. Was kann man aus den Bündnissen von GKN für diese Zusammenschlüsse lernen oder besser machen?

Jakob: Auf kleiner Ebene kann ich das erstmal für Zwickau beantworten: Es macht einfach Klimaschutz nahbarer. Gerade in Zwickau durch Volkswagen, durch das Gefühl von «Wir sind die große Autostadt», hätte niemand damit gerechnet, dass wir als Klimagruppe uns mit den Arbeitenden solidarisieren. Weil alle da eine ideologische Trennlinie gesehen hätten – von beiden Seiten aus. Umso cooler war es dann auch zu sehen, dass man das überwinden kann und dass unsere «Feinde» nicht diejenigen sind, die arbeiten, sondern diejenigen, die diese Wirtschaft nicht gerecht, sozial und ökologisch transformieren und umbauen. Und das war superspannend zu sehen, auch in Austauschrunden mit Menschen von GKN: Die, die da waren, waren wahrscheinlich bereits vorher interessiert und nicht ganz von der Klimabewegung abgestoßen.

Dennoch hat man gemerkt, wie die Menschen zunächst noch nicht verstanden hatten, was der verbindende Part sein könnte. Aber Gespräche, in denen man sich mit den Sorgen der Menschen auseinandergesetzt hat, haben unglaublich viel bewirkt. Man hat gemeinsam realisiert, wie man voneinander profitieren kann. Wenn das auf einer breiteren Ebene verstanden wird, dann kann eine Bewegung, die bisher primär Forderungen an die Regierung stellt, viel effektiver werden. Gemeinsam mit Menschen, die auch konkret in den Betrieben arbeiten, kann man überzeugender werden und mehr erreichen. 

Lukas: Im Bereich der Produktion gibt es besondere Hürden, wenn man es zum Beispiel mit dem öffentlichen Nahverkehr vergleicht. Man sieht bei der Produktion Rückbau und Perspektivlosigkeit, denen auch politisch wenig entgegengesetzt wird. Es herrscht eine gewisse Planlosigkeit in der Industriepolitik. Aber das Beispiel GKN Florenz zeigt, dass es möglich ist, starke Bündnisse auch in der Industrie und der Automobilindustrie zu bilden. Bei GKN Florenz ist natürlich toll, dass der visionäre Anstoß von den Beschäftigten selbst kam. In Florenz wurden Pläne und Perspektiven aufgezeigt, die nicht nur das Werk, sondern die gesamte Region involvieren: Es geht nicht nur um die Arbeitsplätze im Werk, sondern auch um weitere in der Region. 

Wo steht das Projekt jetzt? Wie kann man dazu beitragen, dass eure Vision Wirklichkeit wird?

Lukas: Bis Ende September läuft die Finanzierungskampagne unserer Genossenschaft in Italien. Es besteht die Möglichkeit, sich mit Anteilen einzukaufen. Das Ziel sind eine Million Euro. Bisher wurden bereits 900.000 Euro gesammelt. Das Geld kommt sowohl von Privatpersonen als auch von Vereinen, wie z. B. Fridays for Future und anderen Organisationen. Am 12. und 13. Oktober wird es die erste große Genossenschaftsversammlung in Florenz geben, auf der die Produktionslinien vorgestellt werden. Die Vorbestellungen sind dann auch eröffnet, sodass ein Jahr später bereits produziert werden kann. 

Darüber hinaus gibt es Abnahmevereinbarungen, die von Unternehmen unterzeichnet werden können. Diese sind sehr wichtig, um die Glaubwürdigkeit und Zukunftsfähigkeit der Genossenschaft zu untermauern. 

Jakob: Also: bis zum 30. September Anteile zeichnen und am 12. und 13. Oktober bei der Genossenschaftsveranstaltung dabei sein und den Start von etwas ganz Besonderem miterleben!

So können Sie die Belegschaft unterstützen

Schon seit zwei Jahren wehren sich die Kollegen in Florenz gegen die Schließung des ehemaligen Achswerks und die plötzliche Kündigung der 422 Beschäftigten. Sie können ihnen helfen, die Industriearbeitsplätze zu retten und zukünftig Lastenräder und Photovoltaikmodule zu produzieren! Auf der Website können Sie Spenden senden, Soli-T-Shirts kaufen, Lastenräder vorbestellen oder sogar in die Genossenschaft eintreten. 

Jetzt unterstützen