Mitstreiter:innen

Seit Mitte April sind alle deutschen Atomkraftwerke vom Netz gegangen. Ein guter Anlass für Aktivist:innen aus der Anti-Atomkraft-Bewegung, auf besondere persönliche Momente zurückzublicken.

Geschichten aus der Anti-AKW-Bewegung

In den vergangenen Wochen haben wir hier oder hier ausführlich über den deutschen AKW-Ausstieg berichtet. Jetzt lassen wir auch altgediente Aktivist:innen aus der Anti-Atomkraft-Bewegung mit besonderen persönlichen Momenten zu Wort kommen. Bei den bunten Anti-AKW-Aktionen wurden sogar mal die Hüllen fallen gelassen. Aber lesen Sie selbst!

Kerstin Rudek (Anti-Atom-Aktivistin und Schönauer Stromrebellin 2020)

Harry und der achte Gang – eine Geschichte, die ganz schnell die Runde machte: Wir waren unterwegs auf dem Treck nach Berlin, 2009, zur Großdemo «Mal richtig abschalten». Start war in Gorleben, es ging über die anderen Endlagerstandorte Asse, Schacht Konrad und Morsleben.

Ab Gorleben gab es im Treck ein hübsches, mit rotem Sofa bepacktes Trecker-Gespann – nur war es das langsamste im ganzen Treck. «Harry, hol schon mal den Trecker ...» Der stammte von Wiese in Gedelitz und Gerd hatte versprochen: «Der fährt seine 30 km/h!». Ich war zu der Zeit Vorsitzende der Bürgerinitiative Umweltschutz, verantwortlich für den hübschen Anhänger mit dem roten Sofa und was darauf geschah und Harry, mein bester Freund, der Treckerfahrer. Was uns beiden so gar nicht gefiel: der Trecker war der langsamste, so mussten wir immer vorneweg fahren und uns von den großen Boliden schubsen lassen.

Bei 21 km/h war nix mehr zu machen, Harry hatte schon den Handgashebel auf Anschlag, aber mehr gab die Kiste nicht her. Es folgten etliche Telefonate auf dem laut ratternden Bock: «Der fährt seine 30 km/h», so die telefonische Ansage von Gerd. «Da geht nicht mehr», die Antwort von Harry. Nächstes Telefonat. Gerd, wie immer: «Der fährt seine 30!». «Der Hebel ist auf Anschlag, 21 km/h, Feierabend», die Antwort von Harry. Das ging noch 2–3 Mal so weiter. Dann die Auflösung: Der Trecker hat acht Gänge. Aufgemalt sind aber nur sieben. Harry juckelte seit Gorleben im siebten Gang. Nun fuhr er im Achten und konnte wieder lachen und wir wurden nicht mehr geschubst. Doch die Geschichte wurde jeden Abend am Lagerfeuer aufgewärmt ... In Memoriam Harald Claus, der unerwartet und viel zu jung 2016 verstorben ist. Es ist auch sein Atomausstieg, ich wünschte, er hätte ihn noch erlebt.

 

Martin Wiedemann (ehemaliger EWS-Veranstaltungsmanager und Anti-Atom-Aktivist)

Martin Wiedemann war bis Ende 2022 nicht nur Event-Manager bei den EWS und langjähriger Geschäftsführer der Freiburger «Fabrik für Handwerk, Kultur und Ökologie», sondern auch ein engagierter Anti-Atom-Aktivist. Im folgenden Video erzählt er die Geschichte des nebenstehenden Fotos. Die dort abgebildete Aktion sei laut Wiedemann in einem Zustand «fröhlicher Verzweiflung» entstanden. So wollten damals die Anti-Atom-Aktivist:innen den Polizist:innen, die ihnen den Weg über die Rheinbrücke von Breisach nach Fessenheim versperrten, zeigen, was sie davon halten.

Jetzt das Video anschauen:
 

 

 

Axel Mayer (ehemaliger BUND-Regionalgeschäftsführer Südlicher Oberrhein)

Als ich 1974 zur Bauplatzbesetzung gegen ein extrem umweltverschmutzendes Bleiwerk nach Marckolsheim ins Elsass fuhr, war in Deutschland noch die Zeit der «guten, alten, offenen» und vor allem sichtbaren Umweltzerstörung und Umweltvergiftung. Flüsse waren stinkende Kloaken, Kinder in der Umgebung von Verbrennungsanlagen litten an Pseudokrupp, in der Umgebung deutscher Bleichemiewerke starben die Kühe an Bleivergiftung. In meinem Heimatdorf Teningen wurde ein Baggersee mit Giftmüll verfüllt und der Schweizer Atommüll noch im Meer versenkt. Es war die unkritisch-technikbesoffene Nachkriegszeit, in der, trotz des Konzernwissens um die Gefahren, noch hemmungslos Asbest verbaut wurde. Grenzüberschreitend gemeinsam haben wir es geschafft, 1974 das Bleichemiewerk zu verhindern und gleich danach ging's 1975 gegen das AKW in Wyhl.

Trinational erfolgreich verhinderten wir mit illegalen Bauplatzbesetzungen am Oberrhein den Bau der AKW in Wyhl (D), Gerstheim (F) und Kaiseraugst (CH). Gestärkt aus diesen frühen Kämpfen wandten wir uns mit vielen der damals Aktiven gegen die extreme Luft- und Wasserverschmutzung und wir engagierten uns für Katalysatoren und die Entschwefelung der Kraftwerke im großen Streit ums Waldsterben 1.0. So liegen in Marckolsheim und im Wyhler Wald auch wichtige Wurzeln der heutigen Klimaschutzbewegung. Ein persönlicher Erfolg war der Streit für die Wasserqualität des Rheins und für den Bau einer Kläranlage der Papierfabrik Kaysersberg. Und es blieb nicht beim «NAI HÄMMER GSAIT» zu Atomkraft und Umweltzerstörung. 1976 veranstalteten der BUND und die Bürgerinitiativen die weltweit erste und größte Ausstellung zu alternativen Energien, die Sonnentage in Sasbach am Kaiserstuhl.

Aus heutiger Sicht war es eine kleine, ja geradezu winzige Ausstellung alternativer Energien, doch wir sagten selbstbewusst und durchaus auch verwegen: «Das ist die Zukunft!» Aber gerade dieses «aus heutiger Sicht» zeigt den unglaublichen Erfolg der damaligen Idee und der umgesetzten Vision. Sonnen- und Windenergie sind heute kostengünstiger als Strom aus neuen Kohle- und Atomkraftwerken. Dieser kurze Blick zurück zeigt eine fünfzigjährige Erfolgsgeschichte mit Höhen und Tiefen. In den aktuellen Kämpfen für Mensch, Natur, Umwelt, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gibt es für die Umweltbewegung heute und in Zukunft noch genug zu tun. Beim Atomausstieg am 15.4.23 setzen sich in a «Rich Man´s World» die Vernunft gegen die Macht, die Nachhaltigkeit gegen die Zerstörung und die Kleinen gegen die Großen durch. Wir «Alten» geben den Stab weiter. Heute engagiert sich nicht nur die Jugend von «Fridays for Future» im Klimaprotest. Immer mehr Menschen sehen, dass Artenausrottung, Klimawandel, Atommüllproduktion, Weltvermüllung, Umweltzerstörung und wachsende soziale Ungleichheit Symptome einer Krankheit sind, die Wachstumszwang heißt.

 

Eva Stegen (EWS-Energiereferentin und Anti-Atom-Aktivistin)

Duisburg 1989. Ich war Mitte 20, meine Abneigung gegen Atomkraft war in Tatendrang umgeschlagen, nachdem die Tschernobyl-Wolke das Versagen des globalen Atomdorfs schonungslos offenbarte. Ich wollte mich nützlich machen und wurde von einer Bürgerinitiative herzlich aufgenommen. Anti-Atom, mitten im Kohlenpott, erst auf den zweiten Blick folgerichtig: Die Kohle-Blütezeit neigte sich dem Ende und damit die Zeit, als die SPD sogar einen Besenstil als Kandidaten hätte aufstellen können und damit über 70 Prozent geholt hätte. Ein wackerer Kommunalpolitiker ließ sich von der Gesellschaft für Nuklearservice mit Arbeitsplatz und Steuergeld-Verheißungen ködern und so wurde eine alte Thyssenhalle zur Atommüll-Konditionierungs-Anlage. Die Menschen in Schule, Kindergarten und Wohnungen nebenan waren durch Filter der Güteklasse S geschützt – erklärte man uns, die wir Fragen stellten. Aus der Zeitung war wenig zu erfahren: Auch das war folgerichtig, denn die Westdeutsche Allgemeine pflegte eine lange Tradition der SPD-Hofberichterstattung.

Meine Mitstreiter:innen schilderten, als wir gemeinsam eine Demo organisierten, wie ihre komplette Pressearbeit bei der WAZ im Papierkorb landete. «Ey, dann druckt doch wenigstens mal ne Terminankündigung, Briefmarken-Größe!»

Wie sollte man am medialen Platzhirsch vorbei Öffentlichkeit schaffen? «Wir könnten doch die großen, gelben Fässer mit dem Radioaktiv-Zeichen auf Autos schnallen, als Hingucker, für die Plakate in den Autofenstern.» Mein Freund ließ mich seinen R4 dekorieren, der genau da parkte, wo ständig die Atomschrott-Laster vorbeikamen. Dann passierte Wunderliches: «Da steht Polizei an eurem Auto, und ein Typ in Zivil, mit Messgerät!», berichtete ein amüsierter BI-Mitstreiter, den ich auf der Straße traf. «Dat isser!“, rief er plötzlich, sprang auf die Fahrbahn, breitete die Arme aus und erklärte dem verdutzten Fahrer: «Hier, ich hab se! Die is dat mit dem R4 und dem Fass!»

Ich erkannte ihn wieder und brach innerlich zusammen. Der freundliche Herr von der Gewerbeaufsicht, der mir tags zuvor die Finessen der Filter (Güteklasse S) unterbreitet hatte! Nervös und fahrig rezitierte er Passagen aus der Strahlenschutzverordnung, die mir angeblich verbieten, eine Deko, die jeder Honk als Attrappe identifiziert, aufs Auto zu schnallen. Von Bußgeldern über Tausend Mark war die Rede. Die bettelarme Studentin war amüsiert und lächelte den diensteifrigen Behörden-Diener freundlich an, versuchte, Druck aus dem Kessel zu nehmen. Der entfloh jedoch in sein Auto und fuhr von dannen. Unter Lachtränen rannte ich in die Wohnung und telefonierte alle Käseblättchen durch: «Hören Sie, ich hab ne lustige Geschichte.» Und weil ich grad in Schwung war, rief ich auch bei der WAZ an. Wie konnte ich ahnen, dass unser bockigster Widersacher gerade im Urlaub war?

Als die Zeitung einen Fotografen rausschickte und am Folgetag einen großen Artikel mit Bild druckte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Das Telefon stand nicht still, Freund:innen und BI-Leute meldeten sich kichernd und glucksend. Ach, und auf der Demo war was los! Als wir die laut donnernden Fässer durch die Stadt rollten, bekamen wir Gelächter, Applaus und Kommentare à la: «Hömma, dat dürft Ihr doch gaanich – dürft Ihr dat denn?»

 

Gerd Schinkel (Liedermacher und Anti-Atom-Aktivist)

Anti-Atom-Radler:innen kriegen Hunger, der gestillt werden muss, denn ohne Mampf kein Kampf und womöglich Wadenkrampf. Auf der, noch von Jochen Stay penibel für den Sommer 2022 zum Atomausstieg vorgeplanten, «.ausgestrahlt»-Radtour auf der Nordroute ist meine Frau Martina geradelt - und ich habe ein Begleitfahrzeug mit Fahrradgepäckträger gesteuert.

So habe ich nicht nur das Ersatzrad transportiert, sondern auch meine Gitarre und eine Gesangsanlage für möglichen Bedarf. Damit bin ich dann auch häufig schon eher am Zielort der Etappe gewesen und konnte gelegentlich Wam und sein Team bei den Vorarbeiten fürs Mittagessen unterstützen. Die Schnibbelei ist nicht meine Leidenschaft, mit veganem Essen fremdel ich auch noch mitunter, und mit Schärfe bei der Würze hab ich’s auch nicht so. Aber alles kein Grund zur Aufregung… Möhren zu schälen oder was immer der Chefkoch bereithielt, war durchaus feinmotorisch leistbar, und es hat auch die Zeit bis zur Ankunft der radelnden Protestkarawane verkürzt. Nebenbei hat man so manches Detail aus bewegten Lebensläufen erfahren. Drei Wochen Etappen fahren am Lenkrad ist auch eine lange Strecke.

Im Rückblick war es eine tolle Zeit, auch als einer unter vielen anderen Protesteinsätzen seit Mitte der Siebziger Jahre. Bei mir haben die eher singend stattgefunden - in der Hoffnung, damit zum langen Kampf um den Atomausstieg einen adäquaten Soundtrack beisteuern zu können. Meine Lieder stehen fast alle im Archiv Atomerbe. Vielleicht bleibt davon ja das eine oder andere Lied im Gedächtnis, zur Erinnerung an ausdauernde Demonstrationen im Laufe der Jahrzehnte, um den Enkeln davon vorzuschwärmen.

Titelbild: Annette Etges