Eins ist klar: die Energiewelt von morgen wird mit Erneuerbaren Energien anders aussehen. Damit die Klimaziele erreichbar werden, müssen überall im Land weitere Erneuerbare-Energie-Anlagen entstehen, kleinere, wie Photovoltaikmodule auf den Dächern, sowie größere, wie Wind- und Solarparks. Um Anreize für deren Ausbau zu schaffen, und breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen, ist es am besten, wenn möglichst viele Bürger:innen mit einbezogen werden und auch direkt profitieren können. Eine vielversprechende Idee hierzu ist die des Energy Sharing in Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (auf Englisch REC, Renewable Energy Communities).
Gemeinschaftlich erzeugen, gemeinschaftlich verbrauchen
In Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften schließen sich Bürger:innen zusammen, um in ihrer Region EE-Anlagen gemeinschaftlich zu finanzieren und zu betreiben – Genossenschaften sind ein Beispiel, wie das konkret aussehen kann. Das ist eine eher indirekte Form der Beteiligung, die sich für die Teilnehmer:innen vorrangig in Form einer Gewinnbeteiligung auszahlt. Beim Energy Sharing ist die Beteiligung direkter.
Obiges Schaubild zeigt, wie das funktioniert: Die Bürger:innen schließen sich zu einer lokalen Erzeugungs- und Verbrauchsgemeinschaft zusammen. Wer Strom vom eigenen Dach ernten kann, und ihn nicht selbst verbraucht, verkauft ihn an die Gemeinschaft; wer «nur» Strom bezieht, profitiert trotzdem von günstigeren Preisen. Der Mehrbedarf wird durch größere Erzeugungsanlagen gedeckt, etwa durch Wind- oder Solarparks – auch diese können von der Gemeinschaft finanziert werden. Digitale Zähler- und Steuerungsgeräte gleichen die Stromflüsse bilanziell aus.
Tatsächlich ist diese Idee nicht nur Theorie, sondern erfreut sich bereits wachsender Beliebtheit. In Österreich etwa gibt es schon zahlreiche kleinere Projekte. Für eine breitenwirksame Verbreitung stehen in Deutschland jedoch noch gesetzgeberische Hürden im Wege:
Rechtliche Grundlage für dieses Modell bildet die Richtlinie RED II der EU-Kommission, die nicht nur den Begriff der EE-Gemeinschaften europarechtlich definiert, sondern auch Energy Sharing als Solidaritätsmodell aufführt. Die EU unterstreicht mit dieser Gesetzgebungsvorlage, dass sie die Bevölkerung in einer zentralen Rolle zum Gelingen der Energiewende sieht. Besagte Richtlinie hätte eigentlich bis Juni 2021 in deutsches Recht überführt werden müssen, doch bislang ist das nicht geschehen.
Die Vorteile von Energy Sharing
Dabei war es doch gerade das Engagement der Bürger:innen, welches die Energiewende bislang vorangetrieben hat. Mit dem aktuellen Preisanstieg der fossilen Energien dürfte die Motivation, sich mittels eigener Energiegewinnung unabhängig(er) zu machen, größer sein denn je.
Die Erfahrungen zeigen: Wer selbst an Erneuerbaren-Erzeugungsanlagen beteiligt ist, gewinnt ein neues Verständnis für Energie. Das erhöht die allgemeine Akzeptanz der Anlagen und beseitigt damit eines der Hemmnisse, die einem beschleunigten Ausbau entgegensteht. Wer selbst von den Erträgen eines Windparks oder einer PV-Freiflächenanlage profitiert, wird weniger wahrscheinlich dagegen protestieren. Mehr noch: Mit einer guten Aussicht auf Einsparungen und Erlöse entstehen konkrete Anreize, Investitionen in Erneuerbare zu tätigen, was das Ausbautempo beschleunigen würde. Teil einer EE-Gemeinschaft zu sein, bietet ein ungleich höheres Identifikationspotenzial mit der Energieproduktion.
Denn mit der vertieften Auseinandersetzung wird ein Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Erzeugung und Verbrauch geschaffen. So ist es beispielsweise sinnvoller, das Elektroauto zu laden, wenn gerade die Mittagssonne für eine hohe Verfügbarkeit von PV-Strom sorgt. Auch diese Erfordernisse der neuen Energiewelt werden unmittelbarer greifbar, wenn man selbst an der Energieerzeugung beteiligt ist. Zusätzlich können die EE-Gemeinschaften Regeln festlegen, mit denen eine Flexibilisierung des Verbrauchs gefördert wird, etwa, den Strom günstiger anzubieten, wenn gerade besonders viel erzeugt wird.
Appell an die Politik
Mit Energy Sharing werden Konsument:innen zu Akteur:innen, die lokale Wertschöpfung wird gestärkt, Flexibilisierung gefördert und Ausbauhindernisse beseitigt. Insgesamt also eine wichtige Idee, um die dezentrale, demokratische und bürgernahe Energiewende voranzubringen. Das hat auch die aktuelle Bundesregierung erkannt und Energy Sharing im Koalitionsvertrag festgehalten. Wörtlich heißt es dort: «Wir stärken die Bürgerenergie als wichtiges Element für mehr Akzeptanz. Im Rahmen des europarechtlich Möglichen werden wir die Rahmenbedingungen für die Bürgerenergie verbessern (Energy Sharing, Prüfung eines Fonds, der die Risiken absichert) und insgesamt die De-minimis-Regelungen als Beitrag zum Bürokratieabbau ausschöpfen.»
Nun muss diese Absichtserklärung Realität werden. Das fordert ein breites Bündnis von über dreißig NGOs, Verbänden und Unternehmen, zu dem auch wir gehören. In einem offenen Brief an Umweltministerin Steffi Lemke und Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck wird die Koalition aufgefordert, den rechtlichen Rahmen jetzt im deutschen Gesetz zu verankern. Um Energy Sharing als ein mögliches Modell für EE-Gemeinschaften als Rechtsform zu etablieren, muss erst einmal eine Definition für beides festgeschrieben werden. Anschließend müssen Rechte und Pflichten definiert werden – und zwar möglichst unbürokratische, denn die komplexe Gesetzeslage und der hohe Verwaltungsaufwand war bislang einer der zentralen Hemmschuhe für den Ausbau der Erneuerbaren in Bürger:innenhand. Außerdem schlägt das Positionspapier vor, den von der neuen Regierung geplanten Bürger:innenenergie-Fonds so auszugestalten, dass neu gegründete Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften unkompliziert Starthilfe bekommen können.
Wir hoffen, dass die Bundesregierung diese Impulse bald aufgreift, und die Voraussetzungen schafft, um Energy Sharing zu ermöglichen. Angesichts der aktuellen Situation war es nie dringender, diesen wichtigen Baustein einer demokratischen, solidarischen, dezentralen und nachbarschaftlichen Energieversorgung auf den Weg zu bringen.