Ein neues süd-nord-politisches Online-Magazin ist seit dem 19. Dezember 2022 auf www.iz3w.orgzu lesen und zu hören. Martina Backes und Clara Taxis sind Teil des Teams, die den Online-Auftritt konzipiert haben und das Magazin redaktionell betreuen. Das Projekt wird durch das EWS-Förderprogrammunterstützt.
Infolge der Energiekrise ist Energiesparen in Deutschland angesagt. Auch wenn es zuvorderst um die Versorgungssicherheit geht, hilft das ja auch gegen den weltweiten Klimawandel. Welche internationale Dimension hat das Energiesparen?
Martina Backes: Die gravierenden Auswirkungen der Erderwärmung mit der Zunahme von Dürren, Bränden und tropischen Wirbelstürmen treffen vor allem die Menschen im Globalen Süden: Küsten und Ackerland degradieren, Ernten werden vernichtet, Trinkwasser wird teuer, Böden versalzen, Schlammlawinen begraben ganze Dörfer in den Anden. In armen Staaten fehlen den Menschen die finanziellen Möglichkeiten, sich durch Klimaanpassung oder Maßnahmen der Katastrophenvorsorge zu schützen. Jede Tonne Klimagase, die wir in Deutschland einsparen können, senkt das Risiko steigender Klimakrisen auf der Welt. Energiesparen bremst also die Erderwärmung und ist somit auch ein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit.
Sparen bedeutet, anders als eine reine Umstellung auf regenerative Energieerzeugung, dass Ressourcen nicht verbraucht werden: Rohstoffe, Transportwege, Arbeit. Brauchen wir also auch dabei mehr Sparsamkeit?
Martina Backes: Seit langem läuft es für die Industriestaaten nach einem recht einfachen Muster: Sie kaufen dort ein, wo soziale und ökologische Kosten des Abbaus vor Ort bleiben, etwa in den Kupferminen in Peru, in den Kobaltminen in DR Kongo oder den Platinminen in Südafrika. Die Fertigprodukte, etwa Kupferleitungen, Akkus oder Leiterplatten, werden für viel Geld auf dem Weltmarkt verkauft. Die aktuellen Diskussionen um die Erdgas-Geschäfte mit Russland oder die Öl-Deals mit Golfstaaten müssten also auch um andere Rohstoffe breiter geführt werden. Gerade im Kontext der Energiewende. Während nämlich das Elektroauto unsere Klimabilanz verbessern soll, führt der Abbau von Lithium aus Salzseen in den trockenen Hochsteppen Südamerikas zu Wasserknappheit.
Clara Taxis: Hier setzen wir mit unserem neuen süd-nord-politischen Online-Magazin an. Unser Anspruch ist es, die Entwicklungen im Bereich der Energiewende aus verschiedenen, internationalen Perspektiven zu begleiten. Beispielsweise wird es in dem vom EWS-Förderprogramm unterstützten Online-Dossier darum gehen, die Wirkungszusammenhänge zwischen Klimawandel, Rohstoff- und Energiepolitik zu vermitteln. Wir bringen in unseren Dossiers Audio- und Printbeiträge zusammen, durch die unterschiedlichen Formate können wir persönliches Storytelling und politische Analyse immer wieder neu kombinieren.
«Viele Themen, gerade aus dem Globalen Süden, finden medial nach wie vor viel zu wenig Berücksichtigung. Das wollen wir ändern.»
Wozu braucht es in Zeiten der Informationsüberflutung im Internet eine weitere Informationsquelle?
Clara Taxis: Eigentlich genau wegen dieser Überflutung. Viele Leser:innen wünschen sich die Einordnung der Informationen, die uns theoretisch zwar jederzeit zur Verfügung stehen, praktisch für die Einzelnen aber kaum zu überblicken sind. Als iz3w haben wir den Anspruch, den Dingen auf den Grund zu gehen, kritisch nachzufragen, einzuordnen. Viele Themen, gerade aus dem Globalen Süden, finden medial nach wie vor viel zu wenig Berücksichtigung. Das wollen wir ändern.
Martina Backes: Außerdem spiegeln die meisten verfügbaren Informationen – vor allem die in deutscher Sprache – weitgehend den westlichen Blick auf die Welt wider. Uns geht es darum zu zeigen, wie in afrikanischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Gesellschaften über Themen wie Klimakrise, Weltwirtschaft, aber auch Rassismus und Postkolonialismus berichtet und diskutiert wird. Expert:innen, auch kritische Beobachter:innen, sind schließlich nicht nur hierzulande zu finden. Gerade, um die Tragweite lokaler Erfahrung darzustellen, braucht es auch lokale Quellen.
Wie kommt eine vergleichsweise kleine Redaktion mit wenig Budget an ein solches Netzwerk?
Martina Backes: Die Print-Ausgabe der iz3w erscheint seit mehr als 50 Jahren. Insofern haben wir bereits ein großes Netzwerk an Journalist:innen, unabhängigen NRO, politischen Gruppen und Medien aus dem Globalen Süden, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir hoffen, dass wir über unsere Dossiers und Schwerpunkte weitere Kontakte aufbauen und vertiefen werden.
Clara Taxis: Auch in dem konkreten Projekt kooperieren wir mit verschiedenen Partnerorganisationen, etwa mit dem selbstorganisierten Refugee Radio «Our Voice» sowie dem Netzwerk Afrique-Europe-Interact, die ihrerseits enge Kontakte in den Maghreb-Raum und nach Westafrika pflegen. Auf den Austausch freuen wir uns sehr.
«Wir verknüpfen gerne soziale und kulturelle Anliegen mit ökologischen Perspektiven und umgekehrt.»
Und wann wird das Projekt abgeschlossen, das Dossier fertig sein?
Clara Taxis: Abschließen ist in diesem Fall gar nicht das Ziel! Wir sehen die Dossiers als offenen Prozess, in dem es immer wieder neue Beiträge geben soll, die neue Aspekte aufgreifen und Debatten in Gang bringen. An den Start gehen soll das Dossier aber im Herbst 2023, mit Beiträgen rund um den Zusammenhang zwischen Energiewende, Klimawandel und Rohstoffpolitik.
Martina Backes: Es lohnt sich aber auch jetzt schon, einen Blick auf die Seite zu werfen und in den drei Dossiers, die dort zu finden sind, zu stöbern. Es geht darin wahlweise um die Rückgabe von kolonialem Raubgut, um das Reisen und touristisches Geschehen an Orten des Grauens beziehungsweise des Gedenkens an menschliche Verbrechen oder aber, parallel zu unserer neuen Printausgabe, um das Horrorgenre in Literatur und Film. Das ist besonders spannend, da wir das Genre als Medium für gesellschaftskritische Perspektiven in Ländern analysieren, in denen Meinungs- und Pressefreiheit sonst wenig Raum haben. Dafür sind wir bekannt: Wir verknüpfen gerne soziale und kulturelle Anliegen mit ökologischen Perspektiven und umgekehrt, um komplexen Sachverhalten und politischen Aushandlungsprozessen von allen Seiten auf den Zahn zu fühlen.