Eine Umfrage des Jacques Delors Centre in Kooperation mit Wissenschaftler:innen der Universität Oxford und der Humboldt-Universität zu Berlin mit mehr als 15.000 Befragten in Frankreich, Polen und Deutschland kommt zu dem Ergebnis, dass eine breite Mehrheit der Menschen weiterhin eine ehrgeizige Klimapolitik befürwortet. Das Forschungsinstitut zeigt, dass die vielbeschworene gesellschaftliche Bewegung gegen grüne Politik stark übertrieben dargestellt wird. Die Forscher:innen appellieren deshalb an die Parteien, im Europawahlkampf konstruktive Maßnahmen, insbesondere zur Transformation der Wirtschaft, anzubieten, anstatt sich an einer angeblichen Klimamüdigkeit in der Gesellschaft abzuarbeiten.
Mit Jannik Jansen, im Jacques Delors Centre unter anderem zuständig für das Themenfeld «gerechte Transformation und sozialer Zusammenhalt», sprachen wir darüber, welche Erkenntnisse die Forschungsgruppe im Detail aus der Umfrage gewonnen hat.
Interview
Herr Jansen, was war das überraschendste Ergebnis Ihrer Umfrage?
Angesichts von Bauernprotesten auf den Straßen und teils hitziger Debatten über einzelne Klimamaßnahmen in den Parlamenten wurde in den vergangenen Monaten ja viel über eine Klimamüdigkeit europäischer Bürger:innen gesprochen. Gerade vor dem Hintergrund der Energiekrise und hoher Inflationsraten wäre es tatsächlich nicht überraschend, wenn sich immer mehr Menschen in Europa vom Klimaschutz abwenden würden.
Wir wollten aber empirisch überprüfen, wo die Bürger:innen in dieser Frage wirklich stehen. Entgegen unserer anfänglichen Erwartung zeigen die Daten, dass sich eine Mehrheit in allen drei Ländern weiterhin eine ehrgeizige Klimapolitik wünscht. Das hat uns durchaus überrascht.
Gibt es denn gravierende Unterschiede in den Umfragen zwischen Deutschland, Polen und Frankreich?
Wir haben die relative Popularität von verschiedenen Klimaschutzmaßnahmen abgefragt und man kann zunächst einmal sagen, dass die Präferenzen grundsätzlich ähnlich sind. Am beliebtesten unter Befragten in allen drei Ländern sind grüne Investitionen in den Ausbau der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur, in den Netzausbau und auch Investitionen zur Transformation der Industrie. Gleichzeitig finden wir aber auch breite Unterstützung für die Förderung grüner Schlüsselsektoren, also Wind, Solar und Speichertechnologie. Weniger beliebt sind erwartungsgemäß umfassende Verbote oder die CO2-Bepreisung, gerade in den Sektoren Heizen oder Verkehr.
Wenn man die Transformation im eigenen Geldbeutel zu spüren fürchtet…
Ja, so könnte man das sagen, aber was an unseren Ergebnissen auch auffällt, ist, dass die Zustimmung zu einem breiten Spektrum an Klimaschutzmaßnahmen in Frankreich nochmals erkennbar höher ist als in Deutschland und Polen.
Können Sie sagen, warum die Zustimmung in Frankreich höher ist?
In unserer Befragung geben in Frankreich schon jetzt 80 Prozent der Befragten an, dass sie die negativen Folgen des Klimawandels stark spüren, oder dass sie davon ausgehen, in den nächsten 5-10 Jahren negativ betroffen zu sein. Das ist insofern nachvollziehbar, als dass Frankreich in den vergangenen Jahren sehr stark unter extremen Hitzewellen und Dürren zu leiden hatte. Was möglicherweise auch eine Rolle spielt, ist, dass in Frankreich mit der Atomenergie eine relativ CO2-arme Stromerzeugung etabliert ist. Dies könnte dazu beitragen, dass in Frankreich eine CO2-Bepreisung auf weniger Skepsis stößt. Dass ist allerdings nur eine Vermutung. Es ist aber wichtig zu betonen, dass auch in Deutschland und Polen die Unterstützung für ein breites Spektrum an Maßnahmen sehr hoch ist.
In Deutschland hat sich die Debatte ja im vergangenen Jahr sehr um das Thema Heizen gedreht. Dies hat möglicherweise dazu beigetragen, dass hinsichtlich der Gesamthaltung der Bevölkerung zu Klimaschutzmaßnahmen insgesamt ein verzerrtes Bild entstanden ist. Insofern denke ich, dass es jetzt wirklich darauf ankommt, sich darauf zu konzentrieren, wie wir unsere Klimapolitik auf europäischer Ebene gerade in der kommenden Legislaturperiode für die Zukunft weiterentwickeln und eine gute Balance zwischen allen Interessen finden.
Eine gute Balance, meinen Sie damit auch einen sozialen Ausgleich?
Genau. Unsere Befragung hat auch ergeben, dass die Zustimmung zu einer CO2-Bepreisung zunimmt, wenn sie mit einer Form sozialer Kompensation einhergeht, und zwar in allen drei Ländern und über Parteigrenzen hinweg. Am besten schneidet eine progressive Kompensation ab. Das heißt, alle bekommen etwas, aber die besonders Betroffenen, beispielsweise Menschen mit niedrigem Einkommen, werden stärker berücksichtigt.
Dazu gibt es ja auch schon Ansätze, wie zum Beispiel das Klimageld in Deutschland.
Ja. Die konkrete Umsetzung ist noch in der Diskussion. Was aber jetzt schon beschlossen ist: Auf europäischer Ebene wird der Emissionshandel 2027 auf die Sektoren Gebäude und Verkehr ausgeweitet, und die sind politisch sensitiv. Es ist aber auch jetzt schon vorgesehen, dass ca. 25 Prozent der Einnahmen aus dem Emissionshandel in einen Klimasozialfonds fließen werden. Daraus wird ein Anteil dafür verwendet, Kompensationsmaßnahmen zu finanzieren oder auch besonders betroffene Haushalte bei grünen Investitionen, zum Beispiel Wärmepumpen oder Wärmedämmung, zu unterstützen.
Wie diese Maßnahmen umgesetzt werden, liegt dann aber in der Hoheit der einzelnen Mitgliedstaaten.
Ja, die Mitgliedstaaten haben bis Mitte 2025 Zeit, konkrete Pläne für die nationale Ausgestaltung der Maßnahmen unter dem Klimasozialfonds aufzustellen. Schon jetzt ist jedoch absehbar, dass die für den Klimasozialfonds vorgesehenen Gelder für den sozialen Ausgleich und die Unterstützung von grünen Investitionen in Privathaushalten voraussichtlich nicht ausreichen werden. Es ist klar, dass die Mitgliedstaaten zusätzliche Mittel dafür einplanen müssen, damit die Menschen darauf vertrauen können, dass die Kosten für die Transformation fair verteilt werden. Wichtig ist diese Fairness aber auch für andere potenzielle Klimamaßnahmen auf der europäischen Ebene: Unsere Daten sagen, dass zum Beispiel die Polen sehr viel offener für gemeinsame EU-Investitionen für die grüne Transformation sind, wenn diese zur Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten beitragen.
Was genau ist in diesem Zusammenhang mit Konvergenz gemeint?
Nicht alle europäischen Staaten haben die finanziellen Mittel, um die grüne Transformation ihrer Wirtschaft in gleichem Maße voranzutreiben. Da besteht natürlich die Gefahr, dass die reicheren Staaten letztlich stärker profitieren, zum Beispiel weil sich dort die Zukunftstechnologien ansiedeln würden. Eine koordinierte gemeinsame grüne Investitionspolitik auf EU-Ebene könnte sicherstellen, dass auch in ärmeren Mitgliedstaaten grüne Investitionen getätigt werden, und somit wachsenden Ungleichheiten zwischen den Ländern vorbeugen.
Wir haben in unserer Befragung in Polen deutlich gesehen, dass eine Angleichung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der EU dort für die Zustimmung zu europäischen Klimamaßnahmen eine wichtige Rolle spielt. Auch die Befragten in Deutschland und Frankreich wären eher bereit, ein europäisches Investitionsinstrument zu unterstützen, welches gleichzeitig anderen gemeinsamen Prioritäten dient, beispielsweise einer strategischen Unabhängigkeit von Staaten wie Russland oder China.
Ihre Daten würden für die Gestaltung der europäischen Klimapolitik wichtige Impulse liefern. Wie speisen Sie diese in die Kreise politischer Entscheidungsträger:innen ein?
Wir nutzen unterschiedliche Kanäle, um unsere Studien in die Öffentlichkeit zu tragen, dazu gehören Webinare und Podcasts. Damit erreichen wir in der Bevölkerung eine relativ breite Hörerschaft. Auch in den Medien wurde die Umfrage erfreulich häufig aufgegriffen, zum Beispiel im Spiegel oder der Zeit. Ergänzend adressieren wir auch politische Entscheidungsträger:innen direkt und präsentieren unsere Ergebnisse zum Beispiel in Ministerien.
Ihr Einfluss ist aber natürlich nur schwer messbar.
Sicher und natürlich liefern wir auch erstmal nur eine einzelne Studie. Wichtig ist daher, was Parteien und Politiker:innen aus den Ergebnissen solcher Umfragen machen. Aus unserer Sicht ist die wichtigste Botschaft, dass Klimaschutz weiterhin nicht ausschließlich ein Anliegen von grünen und linken Wähler:innen ist. Auch wenn man angesichts der öffentlichen Debatten einen anderen Eindruck gewinnen könnte, wünschen sich auch Menschen im konservativen und liberalen Spektrum ambitionierte Klimapolitik. Es kommt vor allem darauf an, wie man dieses Ziel verfolgt. Unsere Befragung hat deutlich gezeigt, dass grüne Investitionen sowie die soziale Abfederung der Folgen der Transformation breite Mehrheiten finden. Damit kann man auch vermeiden, dass diese Klimamüdigkeit, die wir jetzt in unseren Daten noch nicht sehen, irgendwann tatsächlich entsteht. Es ist ungemein wichtig, dass wir rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien an dieser Stelle keinen Nährboden geben.
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