Erinnern Sie sich? Vor einem Jahr schauten wir alle bange auf die Füllstände der Gasspeicher und fragten uns, ob wir im Winter eine Gasmangellage erwarten könnten. Diese ist ja, wie wir inzwischen wissen, ausgeblieben, dennoch ist seit Russlands Angriff auf die Ukraine und spätestens mit der Sprengung der Nordstream-Pipelines unsere bisherige Haupt-Gasquelle versiegt. Um Folgen für die deutsche Wirtschaft gering zu halten, machte sich Wirtschaftsminister Habeck daran, neue Lieferquellen zu erschließen. Und da man zu Lieferländern wie Katar und den USA nicht mal eben eine Pipeline legt, wird in diesem Fall auf Liquified Natural Gas (LNG) zurückgegriffen. Hier wird Erdgas unter hohem Druck verflüssigt und per Schiff transportiert.
Doch für LNG-Importe braucht es eine Infrastruktur. Und die wird gerade im «neuen Deutschlandtempo» (Olaf Scholz) errichtet – wenn auch nicht ganz geräuschlos. Umwelt- und Klimaschutzorganisationen stellen sich entschlossen gegen die Pläne. Tatsächlich gibt es in Sachen LNG einige Probleme, die wir hier einmal betrachten wollen.
Problem 1: Fracking
Es fängt schon bei der Förderung des Exportguts an: In Ländern wie den USA und Kanada ist Fracking – hierzulande noch verboten – eine gängige Fördermethode, um neue Gasvorkommen zu erschließen. Dabei wird Grundwasser mit Chemikalien versetzt und in den Boden gepresst, um das in Gesteinsschichten lagernde Gas zu erschließen. Die Risiken für Mensch und Natur sind noch nicht vollständig erforscht. Gefahr besteht laut Umweltverbänden für die Trinkwasserqualität, sie kritisieren den Flächenverbrauch und die Zerstörung von Naturlandschaften durch Fracking-Projekte. Noch kritischer sind die Emissionen von Gas, das bei oder nach der Förderung in die Atmosphäre entweicht. Methan ist als Treibhausgas 28 Mal wirksamer als CO2.
Problem 2: Energieaufwand
Um das Gas in flüssiger Form in die Tanks zu kriegen, muss es stark heruntergekühlt und komprimiert werden. Das ist nur unter hohem Energieaufwand möglich. Etwa ein Zehntel des enthaltenen Brennwerts muss für den Prozess aufgewendet werden. LNG ist demnach alles andere als energieeffizient.
Problem 3: Klimaschädlichkeit
Treibhausgasemissionen durch entweichendes Methan fallen nicht nur bei der Förderung des Gases an, an jedem Punkt der Transportkette entweicht potenziell Methangas in die Atmosphäre (vgl. dazu unsere Studiezur Wärmewende). Hinzu kommen die Emissionen durch den Schiffstransport selber – bekanntlich ist die Schifffahrt ein bedeutender Umwelt- und Klimasünder, der aber vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erhält (lesen Sie dazu mehr im EWS Energiewende-Magazin).
Bis zu 530.000 m3 mit Chlor- und Bromnebenprodukten belastete Abwässer fließen täglich in die Jade.
Problem 4: Gefahr für die Ökologie des Wattenmeers
Das Wattenmeer ist Weltnaturschutzerbe und einer der wichtigsten natürlichen Lebensräume der Welt. Doch die LNG-Infrastruktur bedroht das sensible und bereits durch die Klimakrise belastete Ökosystem zusätzlich. Besonders kritisch sehen Umweltverbände wie NABU, BUND und WWF, dass das vor Wilhelmshaven liegende LNG-Schiff «Hoegh Esperanza» ohne ausreichende Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt wurde.
Auf den Schiffen wird das flüssige Methan wieder in einen gasförmigen Zustand umgewandelt. Um die entsprechenden Anlagen frei von Algen zu halten, kommen auf den Schiffen Biozide zum Einsatz. Dass die so belasteten Abwässer in die Nordsee eingeleitet werden dürfen, kritisieren die Umweltverbände besonders scharf. Die «Hoegh Esperanza» leitet laut Betreiber Uniper täglich bis zu 530.000 Kubikmeter mit Chlor- und Bromnebenprodukten belastete Ab- und Prozesswässer in die Jade. Der erhöhte Schiffsverkehr stellt ein zusätzliches Problem für Natur und Umwelt dar.
Problem 5: Befürchtete Auswirkungen auf Tourismus
Auf Rügen ist ein offener Konflikt entbrannt: Per Beschleunigungsgesetz wurde das LNG-Terminal vorangetrieben, doch bei der Bevölkerung kommt das Gesetz gar nicht gut an. Sie befürchtet einen Rückgang des Tourismus, besonders wenn es zu Umweltkatastrophen kommt. Mehrere Bürgermeister versuchen daher, die LNG-Pläne vor Gericht zu stoppen.
Problem 6: Überkapazität und fossiler Lock-In
Nach dem Motto „Lieber zu viel als zu wenig“ sollen nun insgesamt drei LNG-Landterminals entstehen, zusätzlich wurden acht schwimmende LNG-Anlegeterminals von der Regierung gechartert. Mehr als benötigt wird, kritisieren Umweltverbände. Mit der Gesamtheit der Anlagen könnten jährlich 73 Milliarden m3 Erdgas umgesetzt werden. Zum Vergleich: Die jährliche Importmenge aus Russland betrug vor Kriegsbeginn 46 Mrd. m3 – hier wird also deutlich mehr als kompensiert. Da weiterhin keine krisenhafte Gasmangellage besteht und der Kurs ja vom fossilen Gas wegführen soll, ist äußerst zweifelhaft, ob diese Kapazitäten je benötigt werden, bemängelt das New Climate Institute in seiner Studie.
Diese Kritik teilt auch der Thinktank Dezernat Zukunft e. V. in seiner Stellungnahme gegenüber dem deutschen Bundestag. Durch die unregulierte Nutzung in Nicht-Krisenzeiten seien die LNG-Projekte nicht vereinbar mit den Klimazielen. Denn damit die Anlagen keine «stranded assets», also Investitionsruinen werden, haben die Betreiber starkes Interesse, diese laufen zu lassen, bis sie sich rechnen. Damit droht also ein Lock-In, eine vorläufige Festlegung auf die Nutzung von Erdgas in einem Ausmaß, das jedes Treibhausgasbudget sprengt. Die Wissenschaftsplattform Klimaschutz mahnt an, Lieferverträge nur mit kurzen Laufzeiten zu schließen.
Auch das Versprechen, die Anlagen so zu bauen, dass sie zukünftig für den Import von klimaneutralem Wasserstoff genutzt werden können, muss mit Vorsicht genossen werden. Schließlich erfordert verflüssigter Wasserstoff einen Stahl, der extrem tiefen Temperaturen standhalten muss. Wird der Wasserstoff hingegen in Ammoniak gebunden, braucht es besonders korrosionssichere Tanks. Die Umweltverbände fordern einen klaren Ausstiegs- und Umstiegsplan.
Es droht das nächste Desaster für den deutschen Klimaschutz.
Fazit
Nach dem Wegfall Russlands als Gaslieferant ist die Regierung einerseits in der Pflicht, die Energieversorgung des Landes zu sichern, dies aber andererseits mit Umwelt- und Klimaschutz abzuwägen. Die Studien sprechen dafür, dass mit den zu groß angesetzten Kapazitäten genau dies nicht geschehen ist. Es droht das nächste Desaster für den deutschen Klimaschutz. Gebaut wird – ungeachtet aller Proteste – trotzdem, obwohl die Genehmigungen noch nicht vollständig vorliegen.
Titelfoto: Strand von Prora, Binz von Phillip Deus auf Unsplash