Da es in den vergangenen Jahren versäumt wurde, den Ausbau der Erneuerbaren Energien schneller voranzubringen und uns aus der Abhängigkeit von fossilen Energien zu befreien, befinden wir uns nun in einer Situation, in der die Energieversorgung auf der Kippe steht. Ursächlich dafür ist die weltweite Energiekrise, die im Zuge des brutalen und verbrecherischen Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine ausgelöst wurde. Zur Bewältigung dieser schwierigen Situation ist es auch sehr wichtig, weniger Energie zu verbrauchen.
Während heutzutage fast jeder Energieversorger Energiespar-Tipps veröffentlicht und seine Kund:innen mehr oder weniger engagiert beim Energiesparen unterstützt, war das im Jahr 1986 noch nicht üblich. In diesem Jahr kam es in der damaligen Sowjetunion im Atomreaktor in Tschernobyl zu einer Explosion im Reaktorgebäude und zur gefürchteten Kernschmelze, woraufhin sich eine radioaktive Wolke in ganz Europa ausbreitete.
Im Schwarzwaldstädtchen Schönau fanden sich damals engagierte Eltern zusammen, die sich nach dem Super-GAU in Tschernobyl Anregungen für ihre Energiespar-Aktivitäten tatsächlich aus den USA holten. In einem Vortrag in Basel berichtete der Energieberater von Präsident Jimmy Carter, dass 1978, nach der ersten Ölkrise, in den USA Gesetze erlassen worden waren, die Energieversorger zur Sparsamkeit verpflichteten. So durften diese ihre Kosten für neue Großkraftwerke erst dann auf die Strompreise umlegen, wenn sie nachweislich alle Energiesparmaßnahmen ausgeschöpft hatten. Große Energieversorger klärten ihre Kund:innen über das Energiesparen auf und stellten zinslose Kredite für energiesparende Geräte zur Verfügung.
Atomkraft wegsparen
Die in Schönau aktive Eltern-Gruppe gründete schließlich am 19. Mai 1987 die Bürgerinitiative «Eltern für atomfreie Zukunft e.V.» (EfaZ). Mit dem Namen wurde zum Ausdruck gebracht, dass es nicht «gegen», sondern «für» etwas geht – ein positiver und zukunftsgewandter Blick. Mit an Bord: Die EWS-Mitgründer:innen Ursula und Michael Sladek. Die Initiative begeisterte sich für den Gedanken, durch Energiesparen den Atomausstieg zu beschleunigen, also die Atomkraftwerke einfach wegzusparen. Sie startete die ersten Versuche und wollten herausfinden, ob man auch mit weniger Strom auskommen kann, ohne dass sich dadurch die Lebensqualität verändert.
Und tatsächlich bestätigten die Erfahrungswerte mehrerer Monate mehr oder weniger große Einsparungen - das gab Mut, die eigenen Aktivitäten auszudehnen. Die ganze Stadt Schönau sollte jetzt mitmachen beim Stromsparen. Und so startete die EfaZ am 19. Januar 1988 ihren ersten Stromsparwettbewerb in Schönau. Das Motto: Raus aus der Ohnmacht – rein ins Handeln! Die Bürgerinitiative wollte nicht länger auf Politik und Konzerne warten, fing einfach selber an und ganz Schönau machte mit.
Und da die meisten Menschen sich gern mit anderen messen, nutzte die Initiative diese Eigenschaft und stellte das «Weiter, höher, schneller» in den Dienst des Atomausstiegs. Damit verbunden wurden Konzerte, Tagungen, Infostände und Vorträge organisiert. Auch die Idee, Gewerbe und Industrie zu beteiligen, ging auf. Attraktive Preise wurden gestiftet, wie eine klimafreundliche Italien-Busreise vom Reisebüro, Gutscheine für stromsparende Elektrogeräte und vieles mehr. Die örtliche Sparkasse steuerte den Druck von Flyern und Plakaten bei – die Initiative erhielt mehr Unterstützung, als sie zu hoffen gewagt hatte.
Organisation des Stromspar-Wettbewerbs
Die Wettbewerbsteilnehmer:innen, die eingangs eine Anmeldung unterzeichnen mussten, um eine gewisse Verbindlichkeit herzustellen, sollten innerhalb eines Jahres so viel Strom sparen wie möglich. Wer dann pro Kopf am meisten eingespart hatte, war unter den Sieger:innen und erhielt einen Preis. Natürlich konnte niemand verpflichtet werden, auch wirklich mitzumachen. Zudem sollten diejenigen nicht außen vor gelassen werden, die schon zu Beginn einen sehr niedrigen Stromverbrauch hatten und daher nur begrenzte Einsparmöglichkeiten. Also gab es eine zweite Gewinner:innen-Kategorie: diejenigen mit dem geringsten Pro-Kopf-Verbrauch.
Bürger:innen motivieren und informieren
Stromspar-Wettbewerbe waren damals etwas völlig Neues, das von den Medien gerne und ausgiebig aufgegriffen wurde. Die Tageszeitungen berichteten, veröffentlichten ebenso wie die Gemeindeblätter die Stromspar-Tipps und wiesen auf die Veranstaltungen der Stromrebell:innen hin. Diese waren wöchentlich mit Infoständen vertreten und propagierten über den Wettbewerb hinaus auch Mülltrennung und umweltfreundliches Mobilitätsverhalten.
Auf der Spur des Glühbirnenmännchens
Die sorgfältig recherchierten Stromspar-Tipps wurden bald in der kleinen Broschüre «Strom sparen – leicht gemacht» zusammengefasst und mit dem «Glühbirnenmännchen» illustriert. Die Initiative verlieh unentgeltlich Stromzwischenzähler, damit die Teilnehmer:innen stromfressende Haushaltsgeräte identifizieren konnten.
Den Kauf neuer, sparsamer Geräte unterstützten Energieberater. Sehr hilfreich beim Sparen waren Wochenstrom-Verbrauchslisten, in die die Stromkund:innen den jeweiligen Wochenverbrauch selbst eintrugen. Diese regelmäßige Rückmeldung sorgte schnell für ein ganz anderes Verbrauchsverhalten. Dazu kam die spezielle Tippserie «Entwickeln Sie ein liebevolles Verhältnis zu Ihrem Stromzähler und besuchen ihn einmal wöchentlich». Diese Tipps entwickelten so etwas wie einen Kultcharakter, die Leser:innen amüsierten sich und folgten erstaunlicherweise diesen Tipps mehr als den rein informativen.
Energiespar-Themen als Dauerbrenner?
Essentiell waren die Veranstaltungen zum Strom- und Energiesparen, die über die achtjährige Laufzeit der Stromspar-Wettbewerbe regelmäßig durchgeführt wurden. Natürlich kann man nicht acht Jahre lang Vorträge zu diesem Thema halten, ohne dass das Interesse irgendwann erlahmt. Was also tun, wenn man Energiesparen ständig im Bewusstsein halten will?
Die Lösung war laut der ehemaligen EWS-Geschäftsführerin Ursula Sladek, das Thema in Kurzvorträge von fünf bis zehn Minuten zu verpacken und an den Anfang aller möglichen Vorträge und Veranstaltungen zu stellen. Mit Arztvorträgen wurde die ganze Breite der Bevölkerung erreicht, mit Informationen zum Thema Erbrecht die älteren Jahrgänge.
Die Jugend begeisterte sich für Rockmusik - und auch die Freunde klassischer Musik oder des Kabaretts kamen nicht zu kurz. So war für jeden etwas dabei – und für alle die Stromspar-Informationen.
Ergebnisse der Stromspar-Wettbewerbe
An den Wettbewerben haben in Schönau zwischen 15 und 20 Prozent der Haushalte teilgenommen. Die Einsparungen bewegten sich pro Jahr zwischen 11 und 15 Prozent, wobei viele Teilnehmer:innen mehrere Jahre lang mitmachten. Betrachtet man die Gruppe von Stromsparer:innen, die an allen Wettbewerben teilgenommen haben, so konnten diese ihren Pro-Kopf-Verbrauch um rund 25 Prozent verringern.
Der Durchschnittsverbrauch der «Stromsparer:innen» lag 1992 pro Kopf und Jahr etwa 20 Prozent unter dem des «normalen» Haushaltskunden. Die wahre Zahl der Stromsparer:innen in Schönau dürfte allerdings viel größer gewesen sein als die der Wettbewerbsteilnehmer:innen. 1992 antworteten 22 Prozent der Teilnehmer:innen einer Umfrage, dass sie die Tipps nutzten und Strom sparen würden, dies aber nicht öffentlich machen wollten.
Ausstrahlung und Breitenwirkung
Die Ideen fanden vor allem in den ersten Jahren viele Nachahmer:innen. Besonders beliebt waren dabei die Stromspar-Tipps, die in Auszügen in kommunalen Anzeigeblättern, auf Internet-Seiten von Umweltverbänden und -vereinen oder von Privatpersonen veröffentlicht wurden. Selbst andere Energieversorger fragten um die Erlaubnis an, die Tipps der Stromrebell:innen für ihre Kund:innen zur Verfügung stellen zu dürfen. Die Stromspar-Broschüre wurde vielfach nachgedruckt und fand in ganz Deutschland Verbreitung.
Auch die Politik wollte nicht außen vor sein: Zur ersten Preisverleihung kam ein Staatssekretär aus dem Bundesumweltministerium nach Schönau, ab dem siebten Stromspar-Wettbewerb übernahm der damalige baden-württembergische Umweltminister, Harald B. Schäfer, die Schirmherrschaft. «Der siebte Schönauer Stromspar-Wettbewerb ist für mich ein Beweis, wie auf kommunaler Ebene viele kleine Anstrengungen … eine signifikante Verminderung des Stromverbrauchs ergeben», so der Umweltminister in seinem Grußwort.
Energiesparen, Energieeffizienz und Erneuerbare Energien sind die drei Säulen der Energiewende und der Schlüssel zum Klimaschutz. Jede:r von uns kann über den Erfolg der Energiewende mitentscheiden und darüber, wie unsere Welt in Zukunft aussehen wird. Arbeiten wir gemeinsam daran, dass auch künftige Generationen noch ein gutes Leben führen können.