Gruppe mit Transparenten
Klimaschutz

Vladimir Slivyak kritisiert: Die Initiative zur Verdreifachung der Atomkraft-Kapazitäten ist unrealistisch, aber sie schadet dem Klimaschutz.

Atomkraft-Greenwashing auf der COP28

Text: Vladimir Slivyak, aus Dubai

Eine neue Initiative einer Reihe von Ländern zur Verdreifachung des Anteils der Atomkraft in der Welt bis 2050 wird demnächst auf der COP28 in Dubai vorgestellt werden. Der Hauptinitiator dieser Koalition sind die USA, denen sich das Vereinigte Königreich, Frankreich, Japan, Südkorea, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Länder angeschlossen haben. Insgesamt gibt es etwa 22 Länder, darunter Polen, Ghana und Marokko, die ihre ersten Atomkraftwerke bauen möchten. Die Mitglieder der Pro-Atomkraft-Koalition sammeln noch Unterschriften.

Dies ist die namhafteste Pro-Atomkraft-Initiative, die wir in den vergangenen Jahren bei den UN-Klimagesprächen erlebt haben. Trotz der Tatsache, dass sie von einigen recht einflussreichen Ländern ausgeht, ist die Zahl der Unterzeichner:innen im Vergleich zu den fast zweihundert Ländern, die an der COP28 in Dubai teilnehmen, relativ gering. Vermutlich lässt sich hieran schon die skeptische Haltung der meisten Länder gegenüber der Idee, den Klimawandel durch den Bau neuer Atomkraftwerke zu bekämpfen, ablesen. Denn dafür gibt es eine Reihe gewichtiger Gründe.

Atomkraft: zu langsam, zu teuer

Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen sind jetzt notwendig, nicht erst in einigen Jahrzehnten. Bei einem konventionellen Atomkraftwerk vergehen vom Beginn der Planung bis zur Stromerzeugung oft 10 bis 15 Jahre, in manchen Fällen sogar 20 oder 30 Jahre. Dagegen haben Erneuerbare Energien einen viel schnelleren Effekt auf die Emissionsreduzierung, während der Bau von Atomkraftwerken große finanzielle Ressourcen verschlingen kann, die dann bei der groß angelegten Entwicklung der Solar- und Windenergie fehlen. Die Kosten für einen einzigen Atomreaktor können heute 10 Milliarden Dollar übersteigen und sind laut einer Studie der renommierten US-Investmentbank Lazard damit die teuerste Art der Energieerzeugung.

Aber das ist nicht alles. Ausgehend von einer durchschnittlichen Lebensdauer der Atomreaktoren von 40 Jahren wird bis 2030 etwa die Hälfte der weltweit 415 Reaktoren aus Altersgründen außer Betrieb genommen werden. Um eine spürbare Verringerung der Emissionen zu erreichen, müssten unvorstellbar viele Atomreaktoren gebaut werden. Zu viele, um realistisch zu sein.

In den Berichten der großen Forschungsorganisationen wird der Anteil der Atomkraft in ihren Szenarien überschätzt. Das optimistische Szenario des IPCC-Sonderberichts über die globale Erwärmung von 1,5 °C impliziert beispielsweise, dass in den nächsten zehn Jahren mehr Atomkraftwerke gebaut werden müssten, als heute weltweit in Betrieb sind. Dies ist schlichtweg nicht möglich. Kürzlich widmete sich ein Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW den Widersprüchen in den weit verbreiteten Szenarien.

Die Nutzung von Atomenergie ist gefährlich

Und natürlich sollten wir nicht vergessen, dass es in jedem Atomkraftwerk zu Unfällen kommen kann, die Hunderte von Milliarden Dollar kosten können, wie 2011 im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. Außerdem produzieren alle Reaktoren nukleare Abfälle, die für Tausende von Jahren gefährlich bleiben werden. Und es wird viel kosten, ihre sichere Lagerung zu gewährleisten – nicht nur für uns, sondern auch für künftige Generationen.

Um noch ein paar Aspekte zu ergänzen: Die Tatsache, dass eine Reihe von Ländern, die zivile Atomkraftwerke betreiben, nicht weit davon entfernt sind, Atomwaffen zu bauen, wird die Atomkraft kaum attraktiver machen. Gerade mal ein Jahr ist es her, dass Russland das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja beschlagnahmt und gezeigt hat, wie von einem Atomkraftwerk jederzeit eine neue Katastrophe ausgehen kann. Weder die Bemühungen der IAEO noch die Ermahnungen der Weltgemeinschaft haben etwas bewirkt. Und im japanischen Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi fließen nach dem zweitgrößten Atomunfall in der Menschheitsgeschichte weiterhin große Mengen radioaktiv kontaminierten Wassers ins Meer.

Schielt die Pro-Atomkraft-Koalition auf Klima-Finanzmittel?

Es ist schwer, die Atomtechnologie noch umstrittener zu machen. Ihre Auswirkung auf die Bekämpfung des Klimawandels wird minimal bleiben. Einige große Länder, die jetzt die unrealistische Initiative verfolgen, die Atomkraft bis 2050 zu verdreifachen, haben jedoch wahrscheinlich andere Interessen im Sinn. Und diese Interessen könnten bei der Finanzierung des Klimaschutz liegen. Zum Beispiel die Zuweisung von Geldern für den Bau neuer Atomkraftwerke aus dem Klimafonds. Oder die Verrechnung der Gelder, die westliche Länder für den Bau von Atomkraftwerken in anderen Ländern ausgeben, mit ihrem Beitrag zum Klimafonds.

Genauso könnte es sein, dass arme Länder zum Bau von Reaktoren gedrängt werden, weil die Atomunternehmen, vor allem im Westen, Geld brauchen. Es ist die Zurückhaltung der Investoren, in riskante Atomprojekte zu investieren, die in der Vergangenheit zur Stagnation der westlichen Atomindustrie geführt hat. Es geht nicht um das Klima – es geht darum, dass die Atomindustrie in den entwickelten Ländern dringend Geld braucht, um zu überleben. Und das sollte nicht passieren, wenn wir das Klima für die zukünftigen Generationen retten wollen.