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Dr. Michael Sladek, Mitgründer und ehemaliger Vorstand der EWS, ist verstorben. Lesen Sie hier den Nachruf.

Auf Erfolgen ausruhen? Nicht unser Ding.

Die Geschichte der EWS

Ein Störfall für den Atomlobbyismus zu sein – mit diesem Versprechen gelang es den EWS 1996, die Mittel für ihr Stromnetz zu sammeln. Begonnen hatte die Geschichte aber bereits 1986 …

Super-GAU in Tschernobyl

«In dem sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ist es offenbar zu dem gefürchteten GAU gekommen, dem größten anzunehmenden Unfall.» So lautet die erste Meldung, die an einem Sonntagabend im April 1986 Deutschland per Tagesschau erreichte. Was genau passiert ist, bleibt lange unklar. Doch vier Tage später bestätigen die Zeitungen, was viele befürchtet hatten: radioaktiven Niederschlag – auch in Südbaden.

Die atomare Strahlung erreicht Westeuropa

Ursula Sladek im Jahr 1986

Letztendlich hat Tschernobyl bei uns wie eine Bombe eingeschlagen. Bei mir nicht sofort, aber dann am nächsten Tag, wie ich begriffen habe, was das eigentlich bedeutet. Das war mir vorher nicht so klar: Auf einmal zu sehen, dass eine Entfernung von 2.000 Kilometern so gut wie gar nichts ist, dass die Radioaktivität in Dosen, die wirklich schädlich sind, bis hierherkommt – das hätte ich vorher nicht gedacht.

Ursula Sladek, fünffache Mutter und Stromrebellin

Gründung der ersten Bürgerinitiative

Im Frühsommer nach Tschernobyl dominiert die Hilflosigkeit das Leben besorgter Eltern: Was essen, was tun, wenn verstrahltes Freilandgemüse beschlagnahmt und Spielplätze geschlossen werden? Man beratschlagt sich mit anderen Eltern und wird aktiv – auch in Schönau im Schwarzwald. Eine Anzeige im lokalen Anzeiger gibt den Anstoß zur Gründung der Bürgerinitiative «Eltern für eine atomfreie Zukunft».

Atomkraft einfach wegsparen!

Die Schönauer Bürger:innen wollen nicht auf Politik und Energieversorger warten. Sie bieten Beratungen zum Stromsparen an, sorgen mit Infoständen für Aufklärung. Sie veröffentlichen Energiespartipps und schreiben Stromsparwettbewerbe aus. Zudem organisieren sie Hilfe für eine Kinderkrebsklinik in Kiew. Und mit ungewöhnlichen Aktionen machen sie ihr Anliegen populär: Die Kabarettgruppe «Wattkiller» geht auf Tournee. 

Drei fröhliche Menschen lehnen in einem niedrigen Keller an einem hüfthohen Blockheizkraftwerk.

Die ersten Rebellenkraftwerke

Im nächsten Schritt gründet die Initiative eine kleine Firma, um die Produktion von ökologischem Strom zu fördern. Sie reaktivieren kleine Wasserkraftwerke und unterstützen Bürger:innen, die in Blockheizkraftwerke und Photovoltaikanlagen investieren.

Strommonopolist behindert Initiativen

Vom örtlichen Energieversorger und Atomkraftwerksbetreiber KWR fordert die Initiative energiesparfreundliche Tarife – und die Förderung regenerativer Energien. Doch die KWR weisen die Initiative zurück und bieten stattdessen 1990 der Stadt 100.000 DM zusätzliche Konzessionsabgabe, wenn diese den Vertrag mit der KWR frühzeitig für weitere 20 Jahre verlängert. Auch dieser neue Vertrag lässt die ökologischen Forderungen der Bürgerschaft vollkommen unberücksichtigt.

Unterwegs zum Bürger-Stromnetz

Mittlerweile ist den Stromrebell:innen klar geworden, dass eine ökologische Stromversorgung nur dann entstehen kann, wenn sie ihre Stromversorgung selbst in die Hand nehmen, sprich das örtliche Stromnetz übernehmen. Um zu verhindern, dass mit der Vertragsverlängerung bestehende Verhältnisse zementiert werden, bietet die Initiative daraufhin ebenfalls 100.000 DM, wenn die Stadt den Vertrag nicht vorzeitig verlängert.

Erster Bürgerentscheid 1991

Mit knapper Mehrheit entscheidet der Gemeinderat, das ungewöhnliche Angebot der Bürgerinitiative abzulehnen und den Konzessionsvertrag mit dem bisherigen Energieversorger KWR sofort zu verlängern. Noch in derselben Gemeinderatssitzung kündigt die Initiative einen Bürgerentscheid an. Es entbrennt ein harter Wahlkampf, bei dem jede Stimme zählt.

Zeit gewinnen – aber mit Herz!

Michael Sladek zeigt ein Lebkuchenherz

Der Stromrebell Michael Sladek erinnert sich: «Wir wollten in dem Wahlkampf dem kalten Geld Emotionen entgegensetzen. Emotion hat was mit Herz zu tun. Unser Slogan hieß ‹Ja zu Schönau› und was lag näher, als dass wir ein Herz gebacken haben, wo ‹Ja› draufstand. An jedem Frühstückstisch am Wahltag lag dieses Herz, jeder wusste die richtige Antwort im Bürgerentscheid.»

Die Bürgerinitiative gewinnt die Abstimmung im Oktober 1991 schießlich knapp. Der Konzessionsvertrag des bisherigen Energieversorgers wird nicht vorzeitig verlängert. Die Initiative gewinnt wertvolle Zeit, um ihr ehrgeiziges Vorhaben voranzubringen.

Stromrebellen gründen die EWS

Video-Vorschau

Der Gründungsvertrag wird unterschrieben - ein «geiler Moment» für Stromrebell Wolf-Dieter Drescher.

Im Januar 1994 werden dann, obwohl längst nicht alle Hürden überwunden sind, die Elektrizitätswerke Schönau GmbH (EWS) gegründet. Einziger Gesellschafter ist die Netzkauf Schönau GbR, an der über 650 Bürger beteiligt sind.

Was dem Unternehmen noch fehlt, ist die Konzession zum Betrieb des Stromnetzes. Weil sich im Stadtrat seit den Kommunalwahlen im Jahr zuvor die Mehrheiten verändert haben, stehen die Chancen für die EWS mittlerweile gut. Und so vergibt der Stadtrat am 20. November 1995 die Konzession an die EWS.

Monopolist macht Stimmung

Nach dem Gemeinderatsvotum zugunsten der EWS sieht die Gegenseite ihre letzte Chance in einem zweiten Bürgerentscheid. Der soll bewirken, dass die Konzessionsvergabe der Stadt an die EWS widerrufen wird. Der Wahlkampf wird noch heftiger geführt als 1991, der Monopolist sieht wieder einmal die Lichter ausgehen. In Anzeigen diffamiert er die EWS als «Fritzchen, das sich um den Posten eines Installateurmeisters bewirbt».

Bundesweite Schützenhilfe durch Mitstreiter

Doch mittlerweile ist Schönau zu einem Symbol der Anti-Atom-Bewegung geworden, das weit über die Region ausstrahlt. Engagierte Menschen aus Kunst, Philosophie, Wissenschaft und Technik treffen sich bei den ersten Schönauer Stromseminaren und unterstützen die Arbeit der Stromrebell:inen mit Rat und Tat.

Zweiter Bürgerentscheid bringt Durchbruch

Bei einer Rekordwahlbeteiligung von fast 85 Prozent werden die EWS 1996 mit knapper Mehrheit zum neuen Schönauer Stromversorger gewählt. Als in den Schönauer Wahllokalen die Ergebnisse bekannt werden, kennt die Freude der Aktivist:innen keine Grenzen. «Wir sind uns nur noch heulend in den Armen gelegen», wird eine Mitstreiterin sich später erinnern.

KWR liefern sich Rückzugsgefechte

Zwar ist man nun der demokratisch legitimierteste Energieversorger der Welt – aber noch muss man dem alten Netzbetreiber KWR das Schönauer Stromnetz abkaufen. Der verlangt über 8,7 Millionen DM. Ein Phantasiepreis, rund doppelt so hoch wie der, den ein Gutachten der EWS errechnet hat.

Doch will man nach dem Motto «Erst zahlen, dann klagen» den überhöhten Kaufpreis aufbringen. Vier Millionen DM stellen die EWS aus Beteiligungen und dem «Schönauer Energiefonds» bereit. Den überhöhten Teil des Preises muss man aber mit Spenden finanzieren, sonst würde das Unternehmen unwirtschaftlich und bekäme vom Ministerium keine Zulassung für den Netzbetrieb.

Die Störfall-Kampagne erobert Deutschland

Video-Vorschau

Kinospot für die Störfall-Kampagne

Man kommt auf die Idee, die größten deutschen Werbeagenturen zu bitten, kostenlos eine Spendenkampagne für die Schönauer Energie-Initiativen zu entwickeln. Und tatsächlich sagen mehrere Agenturen zu. Die Energie-Initiativen entscheiden sich für die «Störfall-Kampagne». Die Kampagne wird bundesweit gestartet – und entfaltet überwältigende Wirkung. Die Stromrebell:innen erleben Unglaubliches: Umweltschutzverbände rufen zu Spenden auf, Zeitungen sponsern Anzeigen, bei Privatfeiern wird zugunsten von Spenden auf Geschenke verzichtet. So dauert es nur wenige Monate, das zusätzlich benötigte Geld zu sammeln.

Energieversorger mit Rebellenkraft

Ab Juli 1997 versorgen die EWS Schönau mit Energie und bieten in ihrem Netz energiesparfördernde Tarife und gute Vergütungen für ökologische Stromerzeugung. Die größte Solaranlage im Ort wird auf der evangelischen Kirche errichtet – ein wichtiger Schritt für Schönau auf dem Weg zur «Solarhauptstadt». Aber nicht nur vor Ort entstehen in der Folge neue Ökokraftwerke: Mit dem Förderprogramm «Sonnencent» unterstützen die EWS mittlerweile bereits rund 8.400 kleine dezentrale Kraftwerke in Bürgerhand.

Energiewende fördern

Das Förderprogramm der EWS ist mit dem Unternehmen stetig gewachsen und schafft heute weit über die Förderung von Bürgerkraftwerken hinaus Beiträge zur lokalen und globalen Energiewende. Schwerpunkte des Förderprogramms sind Bürgerenergiewende, Energiegerechtigkeit und Klimaschutz.

Rebellische Energie für alle!

Bundesweiter Stromvertrieb

1998 wird dann der Strommarkt liberalisiert: Nun kann jede:r selbst über seinen Stromlieferanten entscheiden. Sofort bieten die EWS  bundesweit Ökostrom an – und viele Mitstreiter:innen aus Zeiten der Bürgerbewegung wechseln zu den EWS. Heute sind es über 200.000 Haushalte, die echten Ökostrom, frei von jeglichen Verflechtungen mit Kohle- und Atomkraftwerksbetreibern, von den EWS beziehen.

Rebellenkraft aus Biogas

2009 bewerben sich die EWS erfolgreich um die Gaskonzession in Schönau. Damit startet auch der Gasvertrieb in Baden-Württemberg, Bayern und Bremen. Ab März 2015 liefern die EWS dann bundesweit Gas mit einem Biogasanteil von bis zu 100 %. Ein Teil des Gaspreises wird wie beim Strom als Sonnencent für die Förderung der ökologischen Energieerzeugung eingesetzt.

Die EWS heute

Seit Dezember 2009 ist die heutige EWS eG als eingetragene Genossenschaft die Eigentümergesellschaft der Elektrizitätswerke Schönau. Zuvor war das Unternehmen mit über 650 Gesellschaftern als GbR organisiert. Die Genossenschaft erleichtert die Aufnahme neuer Mitglieder und stärkt die Handlungsfähigkeit des Unternehmens. Die EWS sehen es als eine ihrer Hauptaufgaben an, die Teilhabe möglichst vieler Menschen an Energieverteilung und -produktion zu ermöglichen, nicht nur in Schönau – sondern überall!

Auszeichnungen für die EWS

Die Arbeit der «Schönauer Stromrebell:innen» wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, z.B. dem Europäischen Solarpreis, dem Nuclear-Free-Future Award und dem Deutschen Gründerpreis.

Schönauer Stromseminare

Die Schönauer Energie-Initiativen vergeben gemeinsam mit der Stadt den Preis «Stromrebell:in des Jahres», der anlässlich der Schönauer Stromseminare vergeben wird. Auf diesen Seminaren treffen sich bis heute die Mitstreiter:innen von damals mit Angehörigen einer neuen Generation, welche die Ideen der EWS mit eigenen Aktionen und Projekten weitertragen – regional und international. So wie Katja Diehl, die 2023 für ihre unbeirrbare und zielstrebige Arbeit für eine menschenfreundliche, inklusive und ökologische Mobilität ausgezeichnet wurde.

Zur Stromrebellen-Galerie

Die Stromrebell:innen der letzten Jahre

Eine neue Generation tritt an

Vorstände der EWS eG - Sebastian Sladek, Alexander Sladek, Armin Komenda
Sebastian Sladek, Alexander Sladek und Armin Komenda

Das Gründerehepaar Ursula und Michael Sladek zieht sich nach fast 30-jährigem Engagement zum Jahresende 2014 aus dem Geschäft des Bürgerunternehmens zurück. Die Lehrerin und der vollbärtige Arzt waren über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg die bekanntesten Repräsentanten der Initiativen und der EWS.

Nun rücken die beiden Söhne Alexander und Sebastian Sladek an ihre Stelle im Genossenschaftsvorstand. Beide waren bereits seit mehreren Jahren als Geschäftsführer von Tochterfirmen der EWS tätig gewesen. Außerdem wird ein zusätzlicher Vorstandsposten neu geschaffen: Armin Komenda wechselt vom Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband zu den EWS.

Wofür die EWS heute stehen

Die Geschichte der EWS ist die Geschichte ihrer Initiator:innen und Mitarbeiter:innen – und vielen aus der Schönauer Bürgerschaft. Aber auch die der zahlreichern Menschen, die deutschlandweit und international gemeinsam mit uns darauf hinarbeiten, einen ökologischen Umbau der Energiewirtschaft herbeizuführen – weg von zentralistischen und hin zu dezentralen Strukturen. Denn die Zukunft der Energie gehört in Bürgerhand!