Klimaschutz im Untergrund
Ein Bericht von Rebecca Hahn
In unseren Böden sind Unmengen an CO₂ gespeichert. Die Humusvorräte darin aufzustocken könnte helfen, klimaschädliche Emissionen zu kompensieren.
Braune Krümel, hier und da ein welkes Blatt oder ein abgebrochener Zweig – auf den ersten Blick macht eine Handvoll Erde nicht viel her. Dabei können sich darin mehr Lebewesen tummeln, als es Menschen auf der Welt gibt. Milliarden Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze und Algen sowie eine große Vielzahl an Würmern, Milben, Springschwänzen, Insektenlarven, Schnecken, Spinnen und Asseln wuseln durch das Erdreich. Und je mehr es im Boden wimmelt, umso wertvoller ist er. Denn die Winzlinge unter unseren Füßen schaffen Humus, der den Boden überhaupt erst fruchtbar macht. Zugleich speichern sie damit große Mengen an Kohlenstoff in der Erde. Könnte darin auch eine Lösung für den Klimaschutz liegen?
Unscheinbar und unschätzbar wertvoll: Humus
Aktuellen Schätzungen zufolge lagern in den Böden weltweit rund 2.500 Gigatonnen Kohlenstoff – etwa dreimal so viel wie in der Atmosphäre. Abgestorbene Pflanzen oder Überreste toter Tiere werden von den Bewohnern des Erdreichs zersetzt. Dieser Prozess wird als «Humifizierung» bezeichnet. Asseln zum Beispiel krabbeln über den Boden und fressen Pflanzenreste. Auch die Springschwänze, winzige Gliedertierchen, häckseln tote Blätter und Stängel klein. Aaskäfer wiederum ernähren sich von Tierkadavern. Und Würmer ziehen herabgefallenes Laub in ihre Gänge, verspeisen es dort und düngen mit ihrem Kot die tieferen Bodenschichten. Die Feinarbeit übernehmen anschließend Pilze, Bakterien und Fadenwürmer, die selbst die kleinsten Überreste noch zersetzen.
Das fein zerkleinerte organische Material, das nach all diesen Prozessen übrigbleibt, wird als Humus bezeichnet. Er besteht gut zur Hälfte aus Kohlenstoff und ist leicht an seiner charakteristischen dunkelbraunen Farbe zu erkennen. Erst der Humus ermöglicht, dass aus dem Boden wieder neue Pflanzen sprießen können. Er liefert Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphor und Schwefel und kann ähnlich wie ein Schwamm Wasser binden. Durch seine Porosität kann er das Drei- bis Fünffache seines Eigengewichts an Wasser speichern. Zudem filtert der Humus Schadstoffe und verlangsamt so deren Eintrag ins Grundwasser.
Der größte Anteil des Humus im Boden besteht aus sogenanntem Dauerhumus. Dieser wird aus Abbaustoffen gebildet, die am Ende der Humifizierung entstehen und eine Verbindung mit mineralischen Bodenpartikeln eingehen. «Solange diese organische Substanz sicher von Tonpartikeln eingeschlossen ist, ist sie für Mikroorganismen nur schwer verfügbar», sagt Martin Kaupenjohann, Leiter des Fachgebiets Bodenkunde am Institut für Ökologie der Technischen Universität Berlin. Im Gegensatz zum leicht abbaubaren Nährhumus, der von Mikroben im Boden rasch wieder als Nahrungs- und Energiequelle genutzt wird, bleibt der Dauerhumus deshalb lange Zeit bestehen.
Bodenart und Bewirtschaftung entscheidend
Wie hoch die Humusgehalte im Boden sind, ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Um den Zustand der Agrarflächen in Deutschland zu erheben, nahmen Wissenschaftler des «Thünen-Instituts für Agrarklimaschutz» in Braunschweig über mehr als sieben Jahre hinweg Bodenproben von Äckern, Wiesen und anderen landwirtschaftlichen Flächen in der gesamten Bundesrepublik. Über 25.000 Bohrkerne wurden im Labor analysiert. Mit rund 2,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoff stelle der oberste Meter der landwirtschaftlich genutzten Böden den größten terrestrischen Kohlenstoffspeicher in Deutschland dar, konstatieren die Forscher in ihrem 2018 veröffentlichten Bericht. Ihre Untersuchungen zeigen: Besonders viel organischer Kohlenstoff steckt in Mooren oder moorähnlichen Böden; flachgründige und sehr sandige Böden hingegen enthalten vergleichsweise wenig Kohlenstoff.
Aber auch die Form der Bewirtschaftung spielt eine Rolle: In Äckern ist im Schnitt rund halb so viel Kohlenstoff gespeichert wie in Grünland, auf dem überwiegend Gras und Wiesenkräuter wachsen. Ein Grund dafür ist die weniger intensive Durchwurzelung der Ackerflächen, durch die eine geringere Menge Kohlenstoff in den Boden gelangt – doch auch das Pflügen nagt an den Kohlenstoffvorräten im Acker. Das intensive Bearbeiten des Bodens habe zur Folge, dass die Ton-Humus-Aggregate aufgebrochen werden, sagt Kaupenjohann: «So wird die organische Substanz, die zuvor eingeschlossen war, verfügbar und kann abgebaut werden.» Außerdem gelange durch die Bodenbearbeitung Sauerstoff in die Erde, was den Mikroorganismen gute Lebensbedingungen verschaffe. Dadurch werde der Abbau der organischen Substanz beschleunigt.
Der Boden kann dazu beitragen, dass der Treibhauseffekt verstärkt wird.
«Das größte Problem, wenn es um die Landnutzung geht, ist die Absenkung von Grundwasser in Feuchtgebieten», sagt Kaupenjohann. Wenn auf Flächen, die für Ackerbau eigentlich zu feucht seien, der Grundwasserspiegel abgesenkt werde, gelange zunehmend Luft und damit Sauerstoff in den Boden. Auch dabei führt die Belüftung zu einem raschen Abbau der Kohlenstoffvorräte.
Dieser Verlust bedeutet nicht nur eine Verarmung der Böden, sondern auch eine Bedrohung für das Klima. Denn wird die Aktivität der Mikroorganismen im Erdreich angeregt, atmen sie mehr Kohlenstoffdioxid aus. «Der Boden kann also dazu beitragen, dass der Treibhauseffekt verstärkt wird», sagt Markus Reichstein, der am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena die Abteilung für Biogeochemische Integration leitet. «Andersherum kann der Boden natürlich auch dazu beitragen, den Treibhauseffekt abzuschwächen, wenn wir es schaffen, mehr Kohlenstoff darin zu speichern.»
Kann gezielter Humusaufbau Emissionen vermeiden?
Genau darauf zielt die sogenannte 4-Promille-Initiative «Böden für Ernährungssicherung und Klima» ab, die 2015 vom damaligen französischen Agrarminister Stéphane Le Foll bei den Verhandlungen zu den Pariser Klimaschutzzielen vorgestellt wurde. Mit dieser Initiative soll weltweit die Aufmerksamkeit von Staaten, Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen und Institutionen auf den engen Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Bodenkohlenstoff gelenkt werden. Wenn in allen Böden der Welt pro Jahr vier Promille organisches Material zusätzlich gespeichert würden, so die Kernidee, dann könnten die menschengemachten Treibhausgasemissionen größtenteils kompensiert werden.
Laut «FAO», der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, enthalten die meisten Böden weltweit zwischen zwei und zehn Prozent Humus. Auf vielen Acker- und Weideflächen sind es jedoch längst nur noch ein bis zwei Prozent. Und ständig geht wertvoller Boden verloren. Ein Teil erodiert, weil er weggeweht oder weggeschwemmt wird. Anderenorts verwandeln sich einst fruchtbare Böden durch Überweidung und Rodungen in Wüsten oder sie werden für Bauprojekte versiegelt. Wieder andere Böden werden durch den intensiven Einsatz von Mineraldüngern und Pestiziden ausgelaugt, bis sie praktisch tot sind und der gesamte Humuskreislauf zusammenbricht. Die Aufstockung der Humusvorräte könnte also gleichermaßen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und die Böden selbst schützen.
Humusaufbau – eine uralte Kulturtechnik
Beispiele für gezielte Humusmehrung finden sich in der Menschheitsgeschichte zur Genüge: Der Bodentyp Plaggenesch im Osnabrücker Land etwa entstand, weil die Menschen dort im 12. und 13. Jahrhundert bereits begonnen haben, den Boden kontinuierlich mit organischem Material zu füttern. Die sandigen Böden Nordwestdeutschlands waren wenig ertragreich. Deshalb stachen die Landwirte Heide- und Grasplaggen ab und verwendeten sie als Einstreu für die Ställe. Vermengt mit den Ausscheidungen der Tiere sowie mit Asche und Küchenabfällen wurden die Plaggen dann wieder als Dünger auf den Äckern ausgebracht.
Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts löste die zunehmende Einführung des Mineraldüngers die Plaggenwirtschaft ab. Bis dahin waren dicke humose Bodenschichten angewachsen, die bis heute in weiten Teilen erhalten und noch immer besonders ertragreich sind. «Das Spannende ist, dass dieses Fruchtbarmachen von Böden in ganz unterschiedlichen Erdteilen stattgefunden hat», sagt Martin Kaupenjohann. «Das wurde in Südamerika durchgeführt. Die Wikinger haben das gemacht und die Germanen auch.» Auch in den Ostsee-Anrainerländern im baltischen Raum finde man tiefgründige schwarze Böden, die durch menschlichen Einfluss entstanden seien. In diesen Fällen sei Tang und anderes organisches Material aus dem Meer in die Böden eingearbeitet worden.
Das Fruchtbarmachen von Böden hat in ganz unterschiedlichen Erdteilen stattgefunden.
Vielerorts wird den alten Traditionen nun wieder Leben eingehaucht. Zunehmend beliebter wird etwa «Terra preta», zu Deutsch «schwarze Erde» – ein Konzept, das indigene Völker im Amazonasgebiet entwickelt haben, um für reichere Erträge in ihren Waldgärten zu sorgen. Dazu sammelten sie Holz- und Pflanzenkohle, Exkremente, Mist und Küchenabfälle in Tongefäßen und ließen die Mischung unter Luftabschluss fermentierten. Auf diese Weise blieben die Nährstoffe in der Mixtur erhalten, mit der anschließend der Waldboden gedüngt wurde. Bis heute finden sich deshalb im sonst nährstoffarmen Regenwaldboden dicke humose Erdschichten, die von einem intensiven Terra-preta-Einsatz zeugen.
Nachgeahmt wird das Prinzip heute durch verschwefelte Pflanzenkohle. Dazu verkohlt man Holz bei Temperaturen zwischen 450 und 600 Grad Celsius. Bringt man dann die Pflanzenkohle in den Boden ein, können sich an ihrer porösen Oberfläche Mikroben ansiedeln. Außerdem dient sie als Wasser- und Nährstoffspeicher. Bevor die Kohle jedoch ins Gartenbeet wandert, muss sie vorbehandelt werden. Nicht umsonst ließen die Indios ihre Terra preta zunächst gären – in purer Form würde sie sonst dem Boden sogar Nährstoffe entziehen. Um das zu verhindern, wird die Pflanzenkohle heute entweder in den Kompost gegeben oder mit Viehmist, Jauche oder Urin vermengt. So aufbereitet kann die Pflanzenkohle in die Erde gemischt werden und den Boden mit Nährstoffen versorgen.
Auch «Schmitta», eine uralte jüdische Tradition, könnte zum Vorbild für eine nachhaltigere Bodenpflege werden. Dabei soll der Acker nach sechs Jahren Anbau für ein Jahr ruhen. In alten Zeiten sorgten die Bauern extra für dieses Sabbatjahr vor, indem sie bereits im Vorfeld genug Essen einlagerten. Zudem bauten sie mehrjährige Pflanzen an, die sie während «Schmitta» je nach Bedarf nur noch ernteten, während alle anderen Tätigkeiten auf dem Acker pausierten. So konnte sich der Boden erholen und neuen Kohlenstoff einlagern. Auch Martin Kaupenjohann empfiehlt Grünbrachen: «Zwei, drei Jahre Kleegras können den Humusgehalt im Boden deutlich erhöhen.» In der Biolandwirtschaft wird ohnehin regelmäßig Kleegras angepflanzt, weil es über die Wurzeln Stickstoff aus der Luft bindet, der – anders als in der konventionellen Landwirtschaft – bei Biobetrieben nicht über synthetische Dünger zugeführt wird.
Der Boden ist ein unsicherer Kohlenstoffspeicher.
Doch reicht der Humusaufbau allein aus, um den Klimawandel aufzuhalten? «Ich sehe das eher skeptisch», sagt Markus Reichstein. Es habe sich gezeigt, dass es schwieriger sei, im Boden Kohlenstoff zu speichern als beispielsweise in Holz. Darin bleibt der Kohlenstoff – vorausgesetzt, das Holz wird nicht verbrannt – für lange Zeit eingelagert. «Der Boden ist ein unsicherer Kohlenstoffspeicher», sagt Reichstein. Er sei vergleichbar mit einem Schwamm, der zwar Wasser aufnehme, aber schon unter ein wenig Druck wieder freigebe. Auch könne das, was im Boden gespeichert werde, theoretisch jederzeit wieder freigesetzt werden.
Befürchtet wird etwa, dass mit steigenden Temperaturen auch die Mikroben munterer werden und so mehr Kohlenstoffdioxid aus den Böden frei werde. «Die Modelle kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen», sagt Reichstein. Der reine Temperatureffekt bewirke, dass der Kohlenstoffkreislauf beschleunigt und damit mehr Treibhausgas freigesetzt werde. «Einige Modelle besagen umgekehrt aber, dass sogar zunehmend Kohlenstoff gespeichert wird, weil die Vegetation bei höheren CO2-Gehalten in der Atmosphäre produktiver ist, mehr Wurzeln ausbildet und dadurch mehr Kohlenstoff in den Boden gelangt», so Reichstein. Welcher der beiden Effekte letztlich überwiegt, und ob durch den Klimawandel nun mehr Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre gelangt oder mehr Kohlenstoff in die Böden eingelagert wird, ist unklar.
Der große Wert der Humusanreicherung liegt darin, Böden fruchtbarer zu machen.
Schon eine Änderung in der Landnutzung könnte dafür sorgen, dass aus den Böden plötzlich deutlich mehr Treibhausgas frei wird. In einer Untersuchung des Thünen-Instituts für Agrarklimaschutz, die sich kritisch mit der 4-Promille-Initiative auseinandersetzt, wird zudem darauf hingewiesen, dass sich nach mehreren Jahrzehnten ein neues Gleichgewicht des Bodenkohlenstoffvorrats auf höherem Niveau einstelle. Die Möglichkeiten zur Kohlenstoffspeicherung in Böden seien deshalb zeitlich begrenzt, da eine anfänglich hohe Kohlenstoffanreicherung pro Jahr nicht dauerhaft aufrechterhalten werden könne.
Begrüßenswert sei die 4-Promille-Initiative dennoch, sagt Martin Kaupenjohann: «Der große Wert der Humusanreicherung liegt darin, die Böden fruchtbarer zu machen.» So halten sie im Zweifelsfall auch besser den Widrigkeiten des Klimawandels stand, da humusreiche Böden weniger schnell austrocknen. Vieles spricht also dafür, die unsichtbare Welt unter unseren Füßen sorgsam zu hegen und ihr genug Nahrung und Zeit zu geben, um die Humusvorräte in Äckern, Weiden und Gartenbeeten wieder aufzustocken. Als einzige Lösung zum Klimawandel sei die Kohlenstoffspeicherung im Boden zwar sicherlich nicht zu sehen, meint Markus Reichstein: «Aber die Bodenfruchtbarkeit liefert ein zusätzliches Argument.»
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