Drei Gründe, warum Hinkley Point C wohl nie gebaut wird
Gastkommentar von Dr. Reinhard Uhrig
Trotz vieler Probleme setzt die britische Regierung voll auf den AKW-Neubau. Dabei könnte der Brexit zum Showstopper werden.
Es gibt sie doch: englische Politiker, die Atomkraft richtig gefährlich und unwirtschaftlich finden. Getroffen habe ich sie im walisischen Aberystwyth, wo ich auf einer Anti-Atom-Konferenz den österreichischen Kampf gegen Atom-Subventionen vorstellen durfte. Dort trafen sich Politiker und Aktivisten aus Wales und England, darunter auch ein Atomingenieur im «Unruhestand», der viele Jahre in den bestehenden Hinkley-Point-Blöcken gearbeitet hat. Seit Fazit: Alles, was schiefgehen kann, geht schief – daran ändert auch ein neuer Reaktortyp nichts.
Technik: Alles hin in Flamanville
Kommen wir zum ersten Grund, warum Zweifel angebracht sind, dass die beiden Reaktoren in Hinkley Point C jemals fertig werden: Der EPR-Reaktortyp, der «Europäische Druckwasserreaktor», funktioniert noch nirgendwo auf der Welt. Die angeblich sicherere Technik ist komplex und störanfällig, dazu kommt Pfusch am Bau. Das Projekt in Finnland ist neun Jahre im Verzug, Reaktorbauer und Betreibergesellschaft prozessieren sich in Grund und Boden, die Kosten haben sich verdreifacht.
Das EPR-Projekt in China verzögert sich ebenfalls, das in Frankreich ist eine technische Katastrophe: Bei Kontrollen fand die französische Nuklearaufsicht Karboneinschlüsse im Stahl des Reaktordruckbehälters, welche die Festigkeit des AKW-Kernstücks beeinträchtigen können. Um das zu klären, ruhen seit bald zwei Jahren die Bauarbeiten, ein baugleicher Reaktordeckel wurde zerstört, um die mechanische Widerstandskraft zu testen. Mit Ergebnissen wird Mitte 2017 gerechnet. Falls die Festigkeit nicht gegeben ist, muss der Reaktorbauer den Druckbehälter verschrotten. Das leitet über zu Grund Zwei: finanzielle Probleme.
Atomkraft – ein wirtschaftliches Desaster
Der französische Reaktorbauer Areva ist pleite: Technische Probleme und die viel zu hohen, nicht wettbewerbsfähigen Preise für den Reaktor, der so komplex wird, dass er auch nie sicher sein kann, haben den französischen Staat als Mehrheitseigentümer dazu bewogen, den Konzern zu zerschlagen und den Bereich Reaktorbau dem noch viel größeren Konzern Électricité de France (EDF) einzuverleiben – und der Steuerzahler zahlt drauf.
Allerdings ist EDF selbst fast pleite. Mit 37,4 Milliarden Euro Schulden steht der Betreiber der französischen Reaktorflotte mit 58 alternden AKWs vor der Herkulesaufgabe, 55 Milliarden Euro in technische Nachrüstungen dieser Reaktoren investieren zu müssen. Wo da auch noch der Zwei-Drittel-Anteil an den 28 Milliarden für Hinkley Point herkommen soll, ist völlig unklar. Hinkley Point C könnte s
chlicht am Geld scheitern.Grund Drei: Der Rechtsstaat schlägt zurück
Als die EU-Kommission 2014 die Subventionen für Hinkley Point C unter enormem politischen Druck durchpeitschte, hatte sie nicht mit dem österreichischen Widerstand gerechnet. (Auch im Alpenland geht der politische Widerstand gegen Atomkraft natürlich nicht direkt von der Regierung aus, sondern von uns NGOs und der Zivilgesellschaft, welche die Regierung mit Petitionen und Medienöffentlichkeit «motiviert».) Österreich klagte damals vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die EU-Kommission. Die wichtisten Argumente gegen die politisch motivierte Entscheidung waren
- die falsche Einschätzung von Atomkraft als «neue Technologie»,
- die laufende Betriebsbeihilfe für die Reaktoren (die ist illegal),
- die falsche rechtliche Basis: Die Kommission prüfte unter den Lissaboner Verträgen der EU – gab aber als Grund für die Zulässigkeit die unzutreffende Vertragsbasis «EURATOM» an.
Mit einer Entscheidung wird Ende 2017 gerechnet. Nach Berufung wird das finale Urteil etwa zeitgleich mit dem EU-Austritt Großbritanniens erwartet. Das Urteil wird im Erfolgsfall – für den ich auf rechtlicher Basis sehr gute Anzeichen sehe – zur Rückzahlung aller bisher geflossener Subventionen führen. Und das würde weitere finanzielle Probleme für die Reaktorbauer bedeuten, was auch das Projekt Hinkley Point C zu Fall bringen könnte.
Ein Urteil gegen die Entscheidung der EU-Komission würde zudem einen wichtigen Präzedenzfall verhindern – und belegen: Atomkraft ist keine förderwürdige Technik; sie ist zu gefährlich, zu teuer und zu schmutzig, um einen Beitrag zur Energiewende zu leisten, wie die Erneuerbaren es tun.
Brexatom: Das Ende von EURATOM?
Unabhängig vom Bauprojekt Hinkley Point C droht der britischen Atomindustrie noch allgemeineres Ungemach: Eine Fußnote der britischen Austrittserklärung vom Januar 2017 bestätigt, wogegen die Atomindustrie seit Monaten anlobbyierte: Großbritannien wird auch aus dem EURATOM-Vertrag austreten, der längst zum Anachronismus geworden ist. Denn während die EURATOM-Parallelstrukturen in der EU-Kommission die Kontrollen von Nuklearmaterial und -anlagen verantworten, soll durch die «Atomgemeinschaft» auch weiterhin «die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien» gefördert werden, wie es in Artikel 1 des Vertrages heißt.
Das blinde Stolpern Großbritanniens aus dem Atomvertrag bedeutet aber, dass das Land in kürzester Zeit Ersatzverträge mit der EU und Drittstaaten abschließen müsste, um weiter Brennstoff importieren und die Sicherheit der Anlagen überwachen zu können – was derzeit durch Inspektionen im Rahmen von EURATOM erfolgt. Wenn dies nicht gelingt, wird der Betrieb der britischen Reaktoren beim Ende des Brennstoffes eingestellt werden müssen. Die britischen Atomkraftwerke kämen mangels Brennstoff und Sicherheitsprüfungen zu einem abrupten Stillstand.
Das wäre ja endlich mal eine positive Vision für die nahe Zukunft, auch wenn das für eine geordnete Energiewende des Landes ein ähnlich großer Schock wäre wie der abrupte Stillstand der japanischen Atomkraftwerke nach Fukushima.
Den Teilnehmern der Konferenz in Wales ist aber klar, dass die Zukunft erneuerbar ist: Sie entsteht überall rund um die alten Atomreaktoren, nicht nur in Hinkley Point. Jetzt heißt es: Ärmel hochkrempeln und die Energierevolution selbst in die Hand nehmen – und durch politischen Druck die wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Fehlentscheidungen der Regierung aufhalten.
Reinhard Uhrig ist Anti-Atom-Campaigner und Kampagnen-Teamleiter von GLOBAL 2000 / Friends of the Earth Austria. Er ist Anti-Atom-Aktivist seit seiner Jugend in Bayern (Wackersdorf). Er hat nach Studium und Arbeit im Verlagswesen 2010 sein persönliches Anliegen zum Beruf gemacht.
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