Klimagerechtigkeit für alle
Ein Gastbeitrag von Burkhard Menke
In Zeiten der Klimakrise werben die Kirchen um Solidarität, Nachhaltigkeit und schnelles Handeln – denn anders ist die Schöpfung nicht zu bewahren.
Wer sich mit Online-Satellitenbildern auf seinen Rombesuch einstimmt, könnte es für einen regennassen Platz halten. Doch das Silbergrau, das die vatikanische Audienzhalle so markant von den umliegenden Gebäuden abhebt, verdankt sie den über 2.000 Solarmodulen auf ihrem Dach. 2008 installiert, sind sie eine passende Erinnerung an das Pontifikat von Benedikt XVI. Wie kein anderer vor ihm hat er – von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen – das Thema Nachhaltigkeit und speziell den Klimawandel auf die Agenda der katholischen Kirche gesetzt.
Das gemeinsame Haus
Immer wieder variiert Benedikt dabei den Gedanken, der dem Wort «Ökologie» zugrunde liegt: Die Lehre (griechisch: «lógos») vom Haus (griechisch: «oikía») legt eine umsichtige Ordnung nahe, in der alles seinen Platz, seine Bedeutung und seinen Wert hat. Es geht im Großen wie im Kleinen um Verhältnismäßigkeit in einem Geflecht von Beziehungen und Abhängigkeiten. Von Benedikt stammt auch das Wort vom «gemeinsamen Haus» Erde, in dem alle Menschen miteinander leben.
Umsicht und Rücksichtnahme sind für den emeritierten Papst Haltungen, die in allen Lebensbereichen unabdingbar sind. Denn «die Verhaltensmuster, nach denen der Mensch die Umwelt behandelt, beeinflussen die Verhaltensmuster, nach denen er sich selbst behandelt, und umgekehrt», schreibt er in seiner Enzyklika «Caritas in veritate» (Art. 51). Raubbau an der Natur ist auch Raubbau am Menschen; wer für sich selbst das Maß verloren hat, tut der Umwelt – und damit allen anderen Menschen – Gewalt an.
Anhand der Klimaprobleme sehen wir heute, dass die Grundfesten der Erde bedroht sind – durch unser Verhalten.
Das sieht auch Papst Franziskus so. In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2014, der ersten seiner Amtszeit, erklärt er: «Die Menschheitsfamilie hat vom Schöpfer ein gemeinsames Geschenk erhalten: die Natur. Die christliche Sicht der Schöpfung beinhaltet ein positives Urteil über die Zulässigkeit der Eingriffe in die Natur, um einen Nutzen daraus zu ziehen, unter der Bedingung, dass man verantwortlich handelt (…) und die Ressourcen klug zum Vorteil aller nutzt. (…) Stattdessen lassen wir uns oft von der Habgier, vom Hochmut des Herrschens, des Besitzens, des Manipulierens und des Ausbeutens leiten; wir bewahren die Natur nicht, respektieren sie nicht und betrachten sie nicht als eine unentgeltliche Gabe, für die man Sorge tragen und sie in den Dienst der Mitmenschen, einschließlich der kommenden Generationen, stellen soll.»
Der Papst aus Argentinien hat nichts gegen ein gutes Leben, im Gegenteil. Aber er wendet sich dagegen, dass die Schwachen vom guten Leben ausgeschlossen sind und häufig noch die Folgen des guten Lebens der Starken zu tragen haben.
Das Klima gehört allen
Dieses Kernanliegen eines guten Lebens für alle, ohne Ausschließung der Schwachen, hat Franziskus in der Enzyklika «Laudato si’» (LS) konkreter entfaltet. Das Rundschreiben «über die Sorge für das gemeinsame Haus» wurde im Juni 2015 veröffentlicht – zur Unterstützung der Pariser Klimakonferenz im Spätherbst desselben Jahres. Es heißt darin:
«Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle. (…) Es besteht eine sehr starke wissenschaftliche Übereinstimmung darüber, dass wir uns in einer besorgniserregenden Erwärmung des Klimasystems befinden. (…) Die Menschheit ist aufgerufen, sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, Änderungen im Leben, in der Produktion und im Konsum vorzunehmen, um diese Erwärmung oder zumindest die menschlichen Ursachen, die sie hervorrufen und verschärfen, zu bekämpfen» (LS 23). «Besonders muss man der Tatsache Rechnung tragen, dass der Umweltbereich des gesamten Planeten zur ‹Entsorgung› gasförmiger Abfälle gebraucht wird (…) Die Erwärmung, die durch den enormen Konsum einiger reicher Länder verursacht wird, hat Auswirkungen in den ärmsten Zonen der Erde» (LS 51).
Leider herrscht eine allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber diesen Tragödien.
Hinsichtlich des Klimawandels behandelt Laudato si’ im Einzelnen den Anstieg des Meeresspiegels und dessen Folgen für Arme, die Erderwärmung und ihre Konsequenzen, die Auswirkungen der Treibhausgase und Risiken des Emissionshandels, die Ausbreitung der Wüsten und die Erwärmung des Meeres. «Die schlimmsten Auswirkungen werden wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten auf die Länder des Globalen Südens zukommen. (…) Leider herrscht eine allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber diesen Tragödien» (LS 25).
Über das Heute hinausdenken
«Der Rhythmus des Konsums, der Verschwendung und der Veränderung der Umwelt hat die Kapazität des Planeten derart überschritten, dass der gegenwärtige Lebensstil, da er unhaltbar ist, nur in Katastrophen enden kann, wie es bereits periodisch in verschiedenen Regionen geschieht» (LS 161). Der Handel mit Emissionsrechten ist für den Papst keine Lösung. Da die Länder des Globalen Südens dafür kein Geld haben, müssen vor allem sie den Ausstoß von Treibhausgasen eingrenzen und ihre eigene Entwicklung bremsen. Er nimmt die Industrieländer in die Pflicht, die «stärker dafür verantwortlich sind, zur Lösung der Probleme beizutragen, die sie verursacht haben» (LS 170). Es geht um verbesserte Technologien, aber vor allem um ein Umdenken beim Lebensstil.
Die Bezeichnung Fortschritt verdient nur, was allen zugutekommt.
Im Juni 2018 traf Papst Franziskus 40 Top-Vertreter großer Unternehmen wie Exxon Mobil, BP oder Shell im Vatikan, um mit ihnen über den Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energieträger zu sprechen. Er rief die Klimaziele von Paris 2015 in Erinnerung und umwarb die Manager: «Ich lade Sie ein, die Keimzelle einer Gruppe von Leadern zu sein, deren Vorstellung von der globalen Energieumstellung so beschaffen ist, dass sie alle Völker der Erde berücksichtigt, ebenso wie die zukünftigen Generationen, jede Spezies und alle Ökosysteme.»
Für den Oktober 2019 hat der Papst eine Bischofssynode mit dem Titel «Amazonien – neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie» angesetzt. Die Ankündigung des neuen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, den indigenen Bewohnern werde «kein Zentimeter Land» bleiben, verheißt nichts Gutes für den Regenwald, die grüne Lunge der Erde. Mit klaren Worten dürfte zu rechnen sein.
Theologie lehrt, die Schöpfung zu achten
Warum befasst sich die Kirche mit Fragen des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit? Die Welt ist nach jüdisch-christlichem Verständnis kein Zufall. Der Kosmos, die Natur, das Leben, all dies ist Schöpfung. Die Schöpfungsberichte am Beginn der Bibel (Genesis 1,1 – 2,25) sind nicht als Protokolle der Weltentstehung zu lesen, sondern als Hymnen darauf, dass alles einem Gott zu verdanken ist, der in der Welt sich selbst mitteilt und die Menschen segnet. Das ist die Grundlage, alles andere ist sekundär. So wird die Natur zunächst entmythologisiert und dadurch beherrschbar: Selbst Sterne und Planeten sind keine Götter, sondern wurden vom Schöpfer an ihren Ort gesetzt und unterliegen seinen Regeln. Jeder Mensch hat die gleiche Würde als Abbild Gottes und trägt Mitverantwortung für die Schöpfung.
Die Annahme des Schöpfergottes ist eine Absage an jeden Dualismus und dessen Missachtung des Materiellen. Im Gegenteil: Durch die Geburt Jesu, in der nach christlichem Verständnis Gott zum Menschen – und damit zu einem Teil der Schöpfung – wird, wird die Schöpfung geheiligt. Diese Heiligung gipfelt in der «Auferstehung des Leibes»: Der Mensch wird in allen seinen Lebensbezügen bewahrt. Die Schöpfung ist für Christen unbedingt positiv, ihre Pflege ein göttlicher Auftrag. Patriarch Bartholomaios I. spricht darum wohl zu Recht von einem «angeborenen ökologischen Bewusstsein der Kirche».
Klimaschutz – Anliegen der praktizierten Ökumene
Bartholomaios, das Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christen, wird in seinem Hirtenbrief zum Schöpfungstag 2018 deutlich: «Wir alle wissen, dass heute die größte Bedrohung für die Umwelt und die Menschheit der Klimawandel und seine katastrophalen Folgen für das Leben selbst auf der Erde ist.» In dieser Frage sieht man alle christlichen Kirchen in ungewohnter Einigkeit. Es geht ihnen um den Erhalt der Schöpfung und um Klimagerechtigkeit, auf die jeder Mensch den gleichen Anspruch hat. 1983 hat der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) im kanadischen Vancouver den «Konziliaren Prozess» angestoßen, der den Dreiklang «Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung» untrennbar gemacht hat – mit starkem Nachhall auch in der katholischen Kirche (die dem ÖRK nicht angehört).
Vor dem Pariser Klimagipfel wandten sich die Kirchen des ÖRK, die katholische Kirche und hohe Vertreter aller weiteren Weltreligionen mit dem gemeinsamen Aufruf «Climate, Faith and Hope» an alle Regierungen. Darin bezeichnen sie den Klimawandel als lebensbedrohliches Faktum und als großes Hindernis bei der Überwindung der Armut. Es gehe «um das Überleben der Menschheit». Die Religionen bieten den Staaten ihre Unterstützung bei der Bekämpfung des Klimawandels und der «Sorge um die Erde» an.
In seiner «Erklärung zur Klimagerechtigkeit» vom November 2016 würdigt der ÖRK die vereinbarten Ziele von Paris: «Vor allem begrüßt der ÖRK, dass dieses Abkommen die Klimakrise stärker aus einer gerechtigkeitsorientierten Perspektive betrachtet und ein lange erwartetes Hoffnungszeichen für die gibt, die am meisten unter den Auswirkungen des Klimawandels zu leiden haben.» Zugleich macht der ÖRK klar, dass den Vereinbarungen jetzt die Umsetzung folgen muss.
Unterstützt vom «Global Catholic Climate Movement» (GCCM), einem weltweiten Netzwerk katholischer Organisationen, Diözesen und Orden, forderten auch die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen Europas, Asiens, Ozeaniens und Afrikas im Oktober 2018 zu einer «ehrgeizigen Umsetzung» der Pariser Klimaschutzziele auf. Von den Regierungen ihrer Kontinente verlangen sie eine gerechte Neuverteilung von Ressourcen, sie rufen zu einem nachhaltigen Lebensstil auf und verkünden das Ende kirchlicher Investitionen in fossile Energien.
Nachhaltige Entwicklung als neues Leitziel
Die Handreichung der deutschen katholischen Bischöfe «Der Klimawandel – Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit» aus dem Jahr 2006 zitiert eine Studie der Weltgesundheitsorganisation, der zufolge bereits im Jahr 2000 circa 150.000 Todesopfer auf das Konto des menschengemachten Klimawandels gingen. Es fehle nicht an allgemeinen moralischen Appellen, sondern «an der breiten Umsetzung beispielhaften und glaubwürdigen Handelns» (Nr. 58).
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlichte 2009 die Denkschrift «Umkehr zum Leben. Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels». Das Papier betrachtet den Klimawandel und die weltweite Entwicklung der Armut in einem direkten Zusammenhang; es fordert eine neue Bemessung wirtschaftlichen Erfolgs: «Das Wachstum, das in der Form der Wachstumsrate des realen, also preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts (BIP) zum vorherrschenden Ziel der Politik und der Wirtschaft geworden ist, ist als Leitziel einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Gesellschaft nicht geeignet» (Kap. 6.1).
Das neue Leitziel muss nachhaltige Entwicklung sein – auch für die Kirche selbst: «Wir können nicht auf die bessere Einsicht anderer warten, sondern müssen selbst Zeugnis des Glaubens an die Gerechtigkeit Gottes ablegen.» Und «es geht nicht nur darum, unser Wissen und technisches Können anderen zur Verfügung zu stellen, sondern auch darum, uns dem zu öffnen, was andere uns über den Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen, über eine Ökonomie der Genügsamkeit, über ein erfülltes Leben zu sagen haben» (Kap. 7).
Klimaschutz ist eine «Querschnittsaufgabe» der Kirche, die alle Ebenen und Handlungsfelder durchzieht. «Das bedeutet vor allem eine Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen» (Kap. 7.1) und das Festhalten am Ausstieg aus der Atomkraft.
Kernenergie ist kein verantwortlicher Beitrag zum Klimaschutz und behindert den Umbau der Energieversorgung.
Im April 2018 wurde das «Ökumenische Netzwerk Klimagerechtigkeit» ins Leben gerufen, in beiden Kirchen getragen von einer breiten Basis großer Institutionen, um «das kirchliche Engagement für Klimagerechtigkeit in Politik und Gesellschaft zu stärken».
«Der menschengemachte Klimawandel ist Realität. Zunehmend spüren wir auch in Deutschland seine ökologischen und sozialen Auswirkungen», schreibt der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck im Dokument «Schöpfungsverantwortung als kirchlicher Auftrag», das die Bischöfe Ende November 2018 publiziert haben. Darin geben sie kirchlichen Einrichtungen aller Ebenen Handlungsempfehlungen zu nachhaltiger Entwicklung.
Klimawandel – mehr als eine Glaubensfrage
Was können die Einzelnen tun? Alle Kirchen empfehlen einen solidarischen Lebensstil, der hilft, CO2-Emissionen einzusparen. Alle empfehlen Investitionen in nachhaltige Energien und ressourcenschonendes Wirtschaften auf allen Ebenen. Papst Franziskus rät zudem zu einer Sprache, die in der Wirtschaft verstanden wird: «Eine Änderung der Lebensstile könnte dazu führen, einen heilsamen Druck auf diejenigen auszuüben, die politische, wirtschaftliche und soziale Macht besitzen. Das ist es, was die Verbraucherbewegungen erreichen, die durch den Boykott gewisser Produkte auf das Verhalten der Unternehmen ändernd einwirken und sie zwingen, die Umweltbelastung und die Produktionsmuster zu überdenken» (LS 206).
Für die Kirchen ist der Klimawandel also keine Glaubensfrage, sondern reale Bedrohung der Lebensgrundlage aller und zugleich Ausdruck einer großen Ungerechtigkeit. Wer etwas dagegen tun will, findet bei den Kirchen Verbündete, Argumente und Ideen.
Lesetipps:
Benedikt XVI.: «Wir müssen anders leben! Damit die Schöpfung überleben kann», herausgegeben von Jürgen Erbacher, Freiburg 2012.
Papst Franziskus: «Laudato si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Die Umwelt-Enzyklika mit Einführung und Themenschlüssel», Stuttgart 2015.
«Umkehr zum Leben: Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland», Gütersloh 2009 (Link zum PDF)
Burkhard Menke
Jahrgang 1961, ist Diplomtheologe. Im Verlag Herder war er ab 1996 Lektor von Kardinal Joseph Ratzinger beziehungsweise – nach dessen Wahl zum Papst 2005 – von Benedikt XVI. Bis heute begleitet er verlegerisch Buchausgaben päpstlicher Texte sowie weltkirchlicher Dokumente und hat für etliche von ihnen Themenschlüssel erstellt. Seit 2016 arbeitet er als Lektor in der Verlagsgruppe Patmos. Er lebt mit seiner Familie in Freiburg im Breisgau.