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Brüssel stärkt Bürgerenergie

Ein Gastkommentar von Josh Roberts, Übersetzung von Dominik Fehrmann

Nach neuen EU-Regelungen gelten Bürgerenergiegesellschaften und «Prosumer» als Energiemarktteilnehmer. Was sind die Perspektiven?

Als Pioniere der Energiewende hatten Bürger und Bürgerenergiegesellschaften noch nie einen leichten Stand. Neben technologischen Hindernissen stießen sie ständig auf politischen Widerstand, zudem auf ein Regulierungssystem, das fossile Energie und Atomkraft begünstigte, sowie auf jede Menge «Platzhirsche», welche sie als lästige Konkurrenz betrachteten.

Trotz all dieser Widerstände hat sich die Bürgerenergie bereits zu einer europaweiten Bewegung entwickelt. So schätzt die «European federation for renewable energy cooperatives» (REScoop.eu) die Zahl an Bürgerenergiegesellschaften in Europa auf über 3.000 – eine mögliche Rechtsform einer Bürgerenergiegesellschaft ist die eingetragene Genossenschaft (eG). Und die Zukunftsaussichten sind vielversprechend: Laut einer Studie des niederländischen Beratungsinstituts «CE Delft» könnte bis 2050 knapp die Hälfte aller EU-Haushalte an der Erzeugung Erneuerbarer Energie (EE) beteiligt sein, 37 Prozent davon im Rahmen einer Bürgerenergiegesellschaft. Auch die Anzahl an Prosumern, die Energie nicht nur verbrauchen, sondern auch selbst erzeugen, dürfte somit rapide ansteigen. Die technologischen Hindernisse scheinen offenbar überwunden, die politischen noch nicht.

Potential für den Ausbau von Bürgerenergie in den EU

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Gestapeltes Säulendiagramm, Stromerzeugung in Terrawattstunden (TWh), 2015, 2030 und 2050,

2015: Energiegemeinschaften erzeugen 8 und Privathaushalte 129 Terrawattstunden,

2030 Energiegemeinschaften erzeugen 199 und Privathaushalte 19 Terrawattstunden,

2030 Energiegemeinschaften erzeugen 569 und Privathaushalte 362 Terrawattstunden.

Quelle: Studie «The potential of energy citizens in the European Union» CE Delft, 2016

Bislang hatte sich die Bürgerenergiebewegung ohne formelle Anerkennung oder Unterstützung seitens der europäischen Gesetzgebung entwickelt – ein Zustand, der mittlerweile untragbar geworden ist, denn die Bemühungen um eine Integration der Erneuerbaren in den Strommarkt erhöhen das Risiko, dass Prosumer und Bürgerenergiegesellschaften durch Großkonzerne vom Markt verdrängt werden. Doch dieses ungleiche Kräftespiel steht nun vor einem grundlegenden Wandel: Gut ein Jahr lang verhandelten die Europäische Kommission, der Europäische Rat und das Europäische Parlament die neue Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EE-Richtlinie), in der erstmals Rechte für Bürgerenergiegesellschaften und Prosumer verankert wurden.

Schutz kleiner Akteure

Zum einen sind Eigenverbrauch und Bürgerenergiegesellschaft – letztere wird in der Richtlinie als «Erneuerbare-Energien-Gemeinschaft» («Renewable Energy Community») bezeichnet – nun klar definiert. So muss sichergestellt sein, dass EE-Gemeinschaften autonom sind, sowohl intern hinsichtlich einer demokratischen Unternehmensführung als auch extern, mit Blick auf die Unabhängigkeit der Gemeinschaft von äußeren kommerziellen Interessen. Zudem gibt die Definition vor, dass eine lokale Kontrolle der EE-Gemeinschaften gewährleistet sein muss, dass alle Bürgerinnen und Bürger vor Ort daran beteiligt werden können und dass sie in erster Linie auf das Gemeinwohl abzielen müssen – und nicht auf finanzielle Gewinne.

Diese Definition stärkt die EE-Gemeinschaften, die mit ihrem Geschäftsmodell ja keine herkömmlichen Profitabsichten verfolgen, denn kommerzielle Energieunternehmen versuchen immer öfter, sich ebenfalls als «Gemeinschaften» auszugeben. Mithilfe dieser Kriterien können jetzt «echte» EE-Gemeinschaften von vorgetäuschten unterschieden werden.

Neue Rahmenbedingungen, gestärkte Rechte

Des Weiteren werden die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, bestehende wie potenzielle Hemmnisse für die Entstehung von EE-Gemeinschaften zu überprüfen. Die nationalen Regierungen müssen Rahmenbedingungen schaffen, die EE-Gemeinschaften einen diskriminierungsfreien Marktzugang ermöglichen, unter anderem durch angemessene und transparente Verfahren und Gebühren. Zudem müssen die Gemeinschaften offen sein für sozial schwache oder unter Energiearmut leidende Bürger.

EU-Bürger, die Prosumer oder Teil einer EE-­Gemein­schaft werden wollen, können sich nun auf einige Rechte berufen, wie zum Beispiel das Recht, auf dem Energiemarkt tätig werden zu dürfen, ohne dadurch Verbraucherrechte zu verlieren, oder das Recht von EE-­Gemeinschaften, Energie untereinander zu tauschen.

Auch bei der Entwicklung ihrer Förderregelungen müssen die Mitgliedsstaaten künftig die Besonderheiten der EE-Gemeinschaften berücksichtigen. Die EE-Richtlinie enthält eine Art Leitfaden für Maßnahmen, die Mitgliedsstaaten für kleinere Marktakteure beschließen können. Dazu gehört ein direkter Zugang zu Fördermaßnahmen oder die Befreiung von Ausschreibungen, wie sie seit 2017 in Deutschland durchgeführt werden.

Künftig genießen Prosumer und Gemeinschaften, die EE-Anlagen zum Eigenverbrauch installieren wollen, auch besonderen Schutz, speziell vor unverhältnismäßig hohen Abgaben und Gebühren. Gegen diese Regelungen hatten sich nationale Regierungen in den Verhandlungen bis zuletzt heftig gewehrt. Wenngleich das Ergebnis nicht perfekt ist, bietet es Prosumern und EE-Gemeinschaften neuen Handlungsspielraum.

Zwei Schritte vorwärts, einen zurück?

So dürfen die Mitgliedsstaaten im Grundsatz selbsterzeugten EE-Strom, der auf dem Grund und Boden des Prosumers verbleibt, mit keinerlei Gebühren belegen, sofern die Leistung der Anlagen unter 30 Kilowatt liegt. Selbstverständlich gibt es auch dazu Ausnahmen und die Regelungen sind nicht perfekt. So begrenzen sie künstlich den Kreis derer, die von solchen Schutzmaßnahmen profitieren. Vor allem EE-Gemeinschaften, die auf kollektiven Eigenverbrauch abzielen, werden durch die Schwelle von 30 Kilowatt stark eingeschränkt. Diese Deckelung wird auch Mieter in großen Mehrfamilienhäusern ausschließen und könnte als Fehlanreiz sogar dazu führen, dass Bauträger PV-Anlagen unterhalb der 30-kW-Grenze installieren, anstatt die Dachflächen voll auszunutzen.

Trotz einiger offener Fragen und Einschränkungen kann man die neue EE-Richtlinie mit Blick auf die Bürgerenergie in Europa als bahnbrechend ansehen. 2019 werden sich die nationalen Regierungen mit der Umsetzung der Neuregelungen beschäftigen müssen. Auch wenn sie dabei von manchen Neuerungen überrascht sein dürften: Sie sind verpflichtet, diese in nationale Gesetze zu überführen.

Deshalb kann die Bedeutung dieser Regelungen für Bürgerinnen und Bürger, die Teil der Energiewende werden wollen, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dabei ist ganz entscheidend, dass sie ihre neuen Rechte kennen, um zu wissen, was genau sie von ihrer jeweiligen Regierung einfordern können. Uns bietet sich damit eine nie dagewesene Gelegenheit, das Energiesystem zu demokratisieren. Nun gilt es, diese Gelegenheit zu ergreifen!

 

Porträtfoto

Josh Roberts

arbeitet als «Advocacy Officer» für REScoop.eu, einen Verband von Energiegemeinschaften und -initiativen in ganz Europa mit Sitz in Brüssel, die sich Erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und anderen sauberen Energietechnologien verschrieben haben. Er ist der verantwortliche Koordinator des Beitrags von REScoop.eu zu den Verhandlungen über das EU-Legislativpaket «Saubere Energie für alle Europäer».

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04. Dezember 2018 | Energiewende-Magazin