Absicht oder Unvermögen?
Ein Kommentar von Sebastian Sladek
Die Energiewende befindet sich in den letzten Jahren in einem dauerhaften Wendemanöver. Das ursprüngliche Ziel Klimaschutz rückt immer weiter in die Ferne.
Bröckelt das «Gemeinschaftswerk Energiewende» – oder zerfällt es gar? Von der neu aufgelegten Großen Koalition war energiepolitisch wenig bis nichts zu erwarten. Schließlich haben selbst die größten Optimisten nur in ganz besonders guten Nächten geträumt, dass eine durch äußere Zwänge zusammengehaltene Notgemeinschaft dieses gewaltige Infrastrukturprojekt zügig vorantreiben würde. Dass vier Jahre Stillstand bei der Energiewende drohten, schien schlimm genug. Aber weit gefehlt: Eine solche Abfolge von Rückwärtssaltos, wie sie nun unter der Regie des neuen Wirtschaftsministers vorbereitet wird, dürften auch die wenigsten Pessimisten erwartet haben. Doch man hätte es ahnen können, hatte doch «Mister Energiewende-als-Gemeinschaftsaufgabe» Peter Altmaier bereits in der Vergangenheit immer wieder als Abrissbirne der Energiewende geglänzt.
Wir erinnern uns
Da erfolgte im Spätjahr 2010 zunächst der schwarz-gelbe Ausstieg aus dem rot-grünen Atomausstieg. Maßgeblich verantwortlich für den Ausstiegsbeschluss: Peter Altmaier. Der damalige Fraktionsgeschäftsführer der Union steuerte die entscheidende Umweltausschusssitzung weitgehend alleine, sodass der Beschluss nie durch die Opposition gefährdet werden konnte. Dem folgten Begleitmaßnahmen, wie beispielsweise die Zerschlagung der Photovoltaikindustrie, die immer klarer hervortreten ließen, dass es um eine grundsätzliche Richtungsentscheidung ging: Atomkraft oder Energiewende.
Nach Fukushima schien man im Frühjahr 2011 verstanden zu haben, dass Atomkraft eine verantwortungslose Hochrisikotechnologie ist und die Zukunft einer dezentralen, atomstromlosen, erneuerbaren Energieversorgung gehören sollte. Doch schnell wurden wir auch hier wieder eines Besseren belehrt: Die Demontage der Energiewende ging im Anschluss munter weiter. Es folgten Schlag auf Schlag die sukzessive Aushöhlung der EEG-Kernmechanismen (wie die Umstellung auf das Ausschreibungsverfahren), ein Rollback des Konzessionsvergaberechts durch das Bundeskartellamt und das Schüren von Kostenpanik (Altmaiers «Strompreisbremse ») bei gleichzeitiger kostenmäßiger Entsolidarisierung (Industrieprivileg).
Die Zielführung der Energiewende, der Aufbau einer klimaschonenden Energieerzeugung (und nein, Atomkraft war und wird nie eine Klimaschutztechnologie sein), ist jedenfalls flöten gegangen. So ist das Projekt inzwischen zu einem lang angelegten Wendemanöver geworden, und es drängt sich immer mehr die Frage auf, ob nicht das eigentliche Ziel die Destruktion des Projektes ist. Ist das zu pessimistisch? Bedauerlicherweise nein. Dazu zwei Beispiele aus jüngerer Vergangenheit.
Zahnlose Kommission für den Kohleausstieg
Ende Mai 2018 stand die Mitgliederliste einer Kommission fest, deren Gründung unter der Federführung des BMWi steht. Dem Bekenntnis zum Klimaschutz im Koalitionsvertrag folgend sollte die Kommission einen Plan zum Kohleausstieg samt Stilllegungsdaten und Begleitmaßnahmen erarbeiten. Klingt gut, die Erfahrung gemahnt aber zum Misstrauen. Schon der Name: «Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung» – da fehlt der Klimaschutz.
Als Vorsitzende wurden unter anderem zwei ehemalige Ministerpräsidenten aus der ostdeutschen Braunkohleregion berufen. Die ordentlichen Mitglieder stammen insbesondere aus Industrie- und Branchenverbänden sowie Verbänden der konventionellen Energiewirtschaft, aus Gewerkschaften sowie aus ein paar Umwelt- und Forschungsorganisationen. Fraglos sind unter den Mitgliedern einige kompetente wie engagierte Streiter, die ihre Stimme für die grundsätzliche Priorisierung des Klimaschutzes erheben werden.
Die Zusammensetzung und Mehrheitsverhältnisse lassen allerdings befürchten, dass der Klimaschutzgedanke kaum Gehör finden wird. Das Ergebnis dürfte irgendwann wenig bis nichts sein, und es bleibt die Feststellung: Lieber Herr Altmaier, wer den Sumpf austrocknen will, der darf doch die Frösche nicht fragen!
Angriff auf die Grundpfeiler des Ausbaus
Zweites Beispiel: Laut einem Spiegel-Online-Artikel vom 25. Mai 2018 plant das BMWi, den Einspeisevorrang für Erneuerbare-Energien-Anlagen zu kippen. Das EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz), wesentlicher Motor für den Ausbau Erneuerbarer in Deutschland, wird seit seiner initialen Verabschiedung im Jahr 2000 im Wesentlichen von zwei Säulen getragen.
Eine Säule ist die garantierte Einspeisevergütung, deren Tragfähigkeit durch regelmäßiges Dagegentreten bereits erheblich reduziert wurde. Das Ganze ist nicht frei von Ironie: Während in der öffentlich-medialen Darstellung die Vergütungssätze für den solarinteressierten Zahnarzt oft als unverschämt hoch gebrandmarkt wurden, empfanden die etablierten Player der Energiewirtschaft diese Renditeaussichten über lange Jahre als unverschämt niedrig – bis sie schließlich augenreibend registrierten, dass sich auf dem Erzeugermarkt immer mehr ihnen unbekannte Akteure tummeln. Doch man hat ja Freunde in Berlin, die mittels Ausschreibungen und Offshore-Offensiven die Wogen wieder glätten.
Nun also die zweite Säule, der Einspeisevorrang. Wer eine regenerative Stromerzeugungsanlage errichtet, darf den erzeugten Strom auch ins öffentliche Netz einspeisen. Muss die Anlage aus Gründen der Netzstabilität abgeregelt werden, erhält der Betreiber eine Entschädigung für entgangene Produktionserlöse. Ohne diese Garantie können viele neue Anlagen aus ökonomischen Gründen nicht mehr errichtet werden. Noch folgenschwerer erscheinen allerdings die Folgen des Wegtretens dieser Säule für den sogenannten Anschlusszwang. Muss ein Netzbetreiber bei Wegfall des Einspeisevorrangs derartige Anlagen überhaupt noch ans Netz anschließen? Und selbst wenn der Anlagenbetreiber einen Aufkäufer jenseits des EEG nachweisen könnte: In welchem Zeitfenster darf er mit einem Netzanschluss rechnen?
«Abrissunternehmen Altmaier»
Die erste Säule, propagandistisch sturmreif geschossen und dann immer wieder plakativ teildemontiert, trägt schon nicht mehr wirklich. Die zweite ist nun einer Attacke ausgesetzt, die bei entsprechender Beantwortung der anhängigen Fragen zum kompletten Einknicken führen kann. Alles ist so möglich – vom Baustopp bis zum Teil- oder Gesamteinsturz des bereits vorhandenen Gebäudes «Energiewende». Es drängt sich der Eindruck auf, das «Abrissunternehmen Altmaier» wolle diesmal ganze Arbeit leisten.
Noch sieht zumindest die Fassade des Gebäudes ganz gut aus – international wird daher nicht gegeizt mit Bekenntnissen zur Energiewende. Doch hinter der Fassade ist die Entkernung längst im Gange. Allen, die sich mit der Transformation unseres Energiesystems beschäftigen, ist klar, dass die ökonomische und technische Herausforderung durchaus zu meistern ist, es dazu jedoch einer dauerhaften Zustimmung der Bevölkerung bedarf. Trotz hoher Befürwortung haben sich manche Politiker auf die Dauerbeschwörung eines Mantras verlegt, wie wichtig die Belange und die Akzeptanz der Bürger seien. Volle Zustimmung, dieses Projekt stemmen wir nur als Gemeinschaft! Allerdings stellt sich mittlerweile die Frage, ob uns dabei nicht die Politik von der Fahne geht.
Sebastian Sladek, geboren 1977, ist in Schönau im Schwarzwald aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er studierte Klassische Archäologie in Freiburg und nahm 2008 seine Tätigkeit bei den EWS auf. Seit 2011 ist er dort in geschäftsführender Verantwortung und seit 2015 auch Mitglied des Vorstands.